Besonderes Verwaltungsrecht. Группа авторовЧитать онлайн книгу.
kraft Natur der Sache für die Raumordnung im Gesamtstaat zugesprochen hatte. Auch in der Literatur[109] blieben die genauen Kompetenzgrenzen ungeklärt – insbesondere deshalb, weil auf Drängen der Länder der Bund sich beim Erlass des Raumordnungsgesetzes a.F. damit begnügte, lediglich seine Rahmenkompetenz gem. Art. 75 Abs. 1 Nr. 4 GG a.F. auszuüben[110] und die ihm vom Bundesverfassungsgericht zugebilligten Regelungskompetenz bezüglich einer Raumordnung im Gesamtstaat[111] zunächst nicht in Anspruch nahm. Dies änderte sich mit den ROG-Novellierungen 2008 und 2017, in denen der Bund von seiner Kompetenz der Raumordnung im Gesamtstaat umfassend Gebrauch machte, obwohl unklar war, ob nach der Föderalismusreform 2006 die ausschließliche Kompetenz des Bundes für die Raumordnung im Gesamtstaat fortbestand[112].
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Durch die Föderalismusreform 2006 wurde die Raumordnung der konkurrierenden Gesetzgebung zugeschlagen und die Länder gem. Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GG ermächtigt, von den bundesgesetzlichen Regelungen abzuweichen. Dadurch wurde die Frage aufgeworfen, ob weiterhin davon auszugehen ist, dass der grundgesetzliche Begriff der „Raumordnung“ nur die Landesplanung umfasst, oder ob der verfassungsändernde Gesetzgeber nicht durch die Neuregelung die ungeschriebene Vollkompetenz des Bundes für die Raumordnung im Gesamtstaat abgelöst hatte[113]. Für die zweite Auffassung spricht, dass das Grundgesetz nicht zwischen Bundes- und Landesraumordnung unterscheidet[114]. Wenn man dieser Ansicht folgt, hätten die Länder nicht nur bei Untätigkeit des Bundesgesetzgebers gem. Art. 72 Abs. 1 GG Regelungen zu treffen, sondern generell Raumordnungsangelegenheiten gem. Art. 72 Abs. 3 GG nach Belieben erschöpfend zu regeln. Der Landesgesetzgeber könnte über die Landesplanung hinaus auch Regelungen bezüglich der länderübergreifend bedeutsamen Planung und Koordination erlassen, d.h. allgemeine Regelungen des Bundesgesetzgebers bezüglich der gesamtstaatlichen Raumordnung ebenfalls außer Kraft setzen und anderweitig regeln.
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Die Intention des verfassungsändernden Gesetzgebers war jedoch eine andere. Die Koalitionsfraktionen gingen im Rahmen der Föderalismusreform davon aus, dass „es sich bei der Raumordnung nach Artikel 72 Abs. 3 Nr. 4 GG neu wie bisher um die Raumordnung der Länder handelt“[115]. Auch im weiteren Verlauf vertrat die Bundesregierung 2008 die Auffassung, dass die ungeschriebene Vollkompetenz nicht abgelöst wurde; Teile des neuen ROG-Entwurfs wurden auf diese Kompetenz gestützt[116]. Dies ist auch insoweit plausibel, als die im Baurechtsgutachten vom Bundesverfassungsgericht angeführten Argumente zur Herleitung der Kompetenz kraft Natur der Sache durch die Föderalismus-Reform gerade nicht nicht entkräftet wurden. Die Länder können den Gesamtraum – nicht einmal gemeinsam – bezüglich seiner länderübergreifenden Aspekte erfassen und koordinieren[117]. Im Ergebnis ist daher nach wie vor von der Anwendbarkeit der Kompetenz kraft Natur der Sache auszugehen, die sich jedoch nur auf Gestaltungsregeln bezieht, die auf Grund ihrer besonderen Eigenart zwingend durch den Bund zu regeln sind. Die Länder sind demnach gemäß Art. 70 Abs. 1 GG nicht befugt, Regelungen über die Raumordnung im Gesamtstaat zu treffen, da diese Kompetenz kraft Natur der Sache weiterhin dem Bund zusteht[118].
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Das Kernproblem raumordnungsrechtlicher Gesetzgebungskompetenzen liegt darin, dass der raumordnungsrechtlich in mehrere Ebenen unterteilte Raum faktisch nur einmal existiert[119]. Die verwirrende Diskussion um die Kompetenzverteilung wäre wahrscheinlich endgültig beendet worden, hätte man die Regelungsmaterie der Vollkompetenz kraft Natur der Sache in Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GG in Gestalt eines abweichungsfesten Kerns entsprechend den anderen Regelungsmaterien des Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, 2 und 5 GG aufgenommen. Diesbezügliche Vorschläge wurden jedoch vom Verfassungsgesetzgeber nicht umgesetzt[120], da er weiterhin davon ausging, dass der Raumordnungsbegriff des Grundgesetzes sich einheitlich auf die Landesplanung bezieht. Der abweichungsfeste Kern muss zur Vermeidung von Konflikten inhaltlich mindestens die Bundeskompetenz für die Raumordnung im Gesamtstaat kraft Natur der Sache umfassen. Auch die Bundesländer waren im Rahmen der Reformen ihrer Landesplanungsgesetze nach 2009 bemüht, „abweichende Sondergesetzgebung“ zu vermeiden und auf eine Klarstellung der Rechtslage hinzuwirken, so dass kompetenzrechtlichen Streitigkeiten in der Praxis kein Raum gegeben wurde.[121]
III. Umfang und Abgrenzung der Regelungsbereiche des Bundes und der Länder
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Durch Art. 74 Abs. 1 Nr. 31 GG n.F. konkurrieren Bund und Länder im Rahmen ihrer Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiet der Raumordnung. Mit Inkrafttreten der ROG Novellierungen von 2007 und 2017 stellte sich die Frage nach der Anwendbarkeit der jeweiligen Landesplanungsgesetze, insbesondere in welchem Umfang sie durch Regelungen des ROG 2008 und 2017 verdrängt wurden. Dabei hat sich gezeigt, dass die befürchtete Flut an Gesetzesnovellen „unter maximaler Ausschöpfung der Abweichungskompetenz“, gefolgt von einer „Ping-Pong“-Gesetzgebung[122] nicht eingetreten ist.[123] Im Übrigen gilt § 27 Abs. 3 ROG, wonach Verfahren zur Aufstellung von Raumordnungsplänen nach § 13 sowie Raumordnungsverfahren nach § 15, die vor dem 29.11.2017 förmlich eingeleitet wurden, nach den bis zum 28. November 2017 geltenden Raumordnungsgesetzen von Bund und Ländern abgeschlossen werden. Zudem ordnet § 27 Abs. 3 ROG an, dass am 29.11.2017 geltendes Landesrecht, das § 2 Abs. 2, die §§ 6 bis 12 ROG oder die Vorschriften des Abschnitts 2 des ROG ergänzt, sowie landesrechtliche Gebührenregelungen und weiter gehendes Landesrecht zur Beschleunigung des Verfahrens bei Änderung eines ausgelegten Raumordnungsplanentwurfs unberührt bleiben.
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Sofern ein Landesgesetzgeber von der Abweichungskompetenz Gebrauch macht, wird das Bundesrecht, soweit das Landesrecht von ihm abweicht, suspendiert. Hebt der Landesgesetzgeber das abweichende Gesetz wieder auf, kommt das Bundesrecht automatisch wieder zur Anwendung[124]. Probleme ergeben sich dabei bezüglich der Frage, was genau unter vom Bundesrecht „abweichende Regelungen“ i.S.d. Art. 72 Abs. 3 GG zu verstehen ist. Die meisten in der Literatur diskutierten Probleme im Hinblick auf die Abweichungskompetenz sind natürlich auch im Raumordnungsrecht von Relevanz. Insbesondere für den Rechtsschutz ist die Abgrenzung zwischen bloßen Wiederholungen und Abweichungen im Landesrecht entscheidend, da die Revisionsfähigkeit vor dem Bundesverwaltungsgericht gem. § 137 Abs. 1 VwGO nur für Bundesrecht gegeben ist und sich in den Landesplanungsgesetzen zahlreiche inhaltsgleiche, aber im Wortlaut leicht unterscheidende Normen wieder finden. Sicherlich ist es auch sinnvoll, aus dem Rechtsstaatsgebot ein ungeschriebenes „Zitiergebot“ herzuleiten[125]: Ein Landesgesetz, das normübergreifend aus ergänzenden, abweichenden und bloß inhaltsgleichen Regelungen besteht, kann unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht in Kauf genommen werden.
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Auf die näheren Einzelheiten der Landesplanungsgesetze wird noch einzugehen sein; allgemein kann jedoch zunächst festgehalten werden, dass die verschiedenen Landesplanungsgesetze vor allem divergierende Regelungen hinsichtlich der Organisation und Zuständigkeit der Behörden enthalten. Dies betrifft insbesondere die Frage der organisatorischen Zuständigkeit für die Regionalplanung[126].
I. Geltungsbereich, Aufgabe und Leitvorstellung der Raumordnung (§ 1 ROG)
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Nach § 1 Abs. 1 S. 1 ROG sind der Gesamtraum der Bundesrepublik und seine Teilräume zu entwickeln, zu ordnen und zu sichern. Der räumliche Geltungsbereich des Raumordnungsgesetzes umfasst gem. § 1 Abs. 4 ROG nicht nur das Festland, sondern auch die Eigengewässer, die Küstengewässer und die deutsche ausschließliche Wirtschaftszone, also den Bereich zwischen dem Küstenmeer und der 200-Seemeilen-Grenze (Art. 55, 57 des UN-Seerechtsübereinkommens). Dies soll durch zusammenfassende, überörtliche und fachübergreifende Raumordnungspläne, durch raumordnerische Zusammenarbeit und durch Abstimmung raumbedeutsamer Planung und Maßnahmen geschehen. Damit zählt der Bundesgesetzgeber die wichtigsten Instrumente zur Bewältigung seiner raumordnerischen Aufgaben an erster Stelle auf[127]. Einerseits dienen die in § 1 Abs. 1 ROG aufgezählten Instrumente somit dem eingangs geschilderten Ausgleich