Strafrecht Besonderer Teil. Teilband 1. Reinhart MaurachЧитать онлайн книгу.
als verschärfte Form der einfachen Tötung behandelt. Sie erreicht aber dennoch nicht den Rang des Mordes, der sittlich verwerflichen Tötung, die auf niedrige Gesinnung schließen lässt. Als eine derart depravierende, den Mord begründende Tatsache gilt zunächst die Heimlichkeit der Tat (qui alium clam occiderit, quod „mord“ dicitur); im Gegensatz dazu steht der „dotslach, de nicht hemelik dan openbar is“. Mordqualifizierend wirken ferner Begehung zur Nachtzeit, aus Gewinnsucht (jemanden „umme syn dink“ ums Leben bringen), die Tötung eines Wehr- oder Ahnungslosen, unter Bruch eines Treueverhältnisses, bisweilen auch mit verbotener Waffe. Der Mord macht ehrlos, der Mörder stirbt den Tod am Rade, während der Totschläger meist die nicht entehrende Schwertstrafe beanspruchen kann.
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Anders das auf das römische Recht der Kaiserzeit zurückgehende italienisch-kanonische Recht, das mit der Rezeption Eingang in Deutschland findet. Nach dem Ausspruch Marcians „delinquitur autem aut proposito aut impetu aut casu“ verlegt es das Unterscheidungsmerkmal in das Vorliegen oder Fehlen eines Vorbedachtes, der Überlegung (propositum, praemeditatio). Sein Einfluss wird in Deutschland mit dem 14. Jhdt. bemerkbar; jetzt wird häufiger zwischen dem „mit verdachtem mut offentlich oder heimblich“ begangenen Morde und dem Totschlag „von jähem zorn oder von trunkenheit“ geschieden. Die Bambergensis und ihr folgend die PGO klären die Verhältnisse – für volle vier Jahrhunderte – im Sinne des Psychologismus. Sehr klar bezeichnet die Erstere als verwerfliche Tötung die „furgesetzte mörderey, die mit bosshafftiger vorbetrachtung und verwartung geschicht“, als weniger verwerfliche Tat dagegen die „todschleg, die von ungeschichten auss zorn und on bösen furgesatzten willen gescheen“ (Art. 250). Die PGO unterscheidet in Art. 137 den „fürsetzlichen“ (d.h. mit Vorbedacht handelnden) „mutwilligen“ (ohne Veranlassung handelnden) „Mörder“, dem das Rad droht, und den „Totschläger“, der „eyn todtschlag auss gecheyt (Jäheit) und zorn getan“, und der mit dem Schwerte gerichtet werden soll, wobei die Stelle die noch abweichenden, das Überlegungsmoment nicht berücksichtigenden Landesbräuche streng zurechtweist. Das Gemeine Recht verblieb bei dieser Auffassung, legte aber größeres Gewicht auf die Vermehrung der Qualifikationen, von denen einige wieder Annäherung an das ethische Moment aufwiesen, wie z.B. der Meuchelmord oder der Raubmord. Auf dem gleichen Boden steht das preuß. ALR 1794: Totschlag (II, 20, § 806) ist die durch bloße Erfolgsvoraussicht zurechenbare Tötung, Mord ist der Totschlag „mit vorher überlegtem Vorsatz“ (§ 826); der Mord wird weiter qualifiziert, z.B. durch Verwendung schwer zu vermeidender oder entdeckender Mittel oder Gift (§§ 839 ff.).
Eine eindeutige Klärung des Gegensatzes i.S. des Psychologismus brachte das 19. Jhdt. Der Code Pénal 1810 strafte als Totschlag (meurtre) in Art. 295 die bloße vorsätzliche Tötung, als Mord (assassinat) wurde in Art. 296/298 bedroht der „mit Überlegung oder Auflauerung“ (avec préméditation ou guet-apens) begangene Totschlag. Diese Unterscheidung trat alsbald ihren Siegeslauf an. In Deutschland folgte ihr zunächst das bayer. StGB 1813 (Art. 146: Mord – ein Totschlag, der mit Vorbedacht beschlossen oder mit Überlegung ausgeführt ist), dann die Mehrzahl der deutschen Partikularstrafgesetze (Übersicht Blei II § 4 II 2). Das preuß. StGB 1851 brachte in § 175 die Formulierung des Mordes als einer vorsätzlichen „und mit Überlegung ausgeführten“ Tötung, die als Mordparagraf (§ 211) in das StGB überging. Allerdings bestanden daneben weitere Qualifikationen, insbesondere die Tötung zur Ermöglichung einer Straftat (Art. 304 Code Pénal, § 178 preuß. StGB, § 214 StGB).
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Die Unterscheidung von Mord und Totschlag nach psychologischen Merkmalen, von der Wissenschaft von Beginn an überwiegend kritisch betrachtet, hat sich jedoch nicht bewährt. In der Tat war sie einerseits nicht fähig, den Unrechtsgehalt besonders verwerflicher Tötungen auch nur annähernd auszuschöpfen, andererseits führte sie zu unverständlicher Strenge und zwang die Gerichte zu Unehrlichkeit. So musste der Lustmord vielfach außerhalb des Bereiches des § 211 bleiben, da die erforderliche „Überlegung“ fehlte oder nicht nachweisbar war; umgekehrt zwang das Gesetz den Richter, Fälle mit geringer Strafwürdigkeit, wie z.B. die nach langen Gewissensqualen durchgeführte Tötung aus Mitleid, wegen der erwiesenen „Überlegung“ als Mord zu qualifizieren. Rein gesetzestechnisch erwuchs endlich eine erhebliche Schwierigkeit daraus, dass über den logischen Einbau des Tatbestandsmerkmals der „Überlegung“ keine Klarheit gewonnen werden konnte. Es blieb bis zuletzt umstritten, ob dieses Merkmal bei Planung der Tat, bei ihrer Ausführung oder in beiden Stadien vorliegen musste (nach h.M. nur bei Ausführung – sehr unbefriedigend!).
Durch Gesetz vom 4.9.1941 wurde daher, vorwiegend auf der Grundlage des (in dieser Form in der Schweiz selbst nicht Gesetz gewordenen) schweizerischen Entwurfes 1916 (Entw. Stooss)[2], mit einer grundsätzlichen Änderung der §§ 211, 212 und der Streichung der überflüssig gewordenen §§ 214, 215 das psychologische Moment durch das ethische ersetzt, allerdings nicht ohne, glücklicherweise folgenlos gebliebene, Konzession an den damals herumspukenden Gedanken des „Täterstrafrechts“ (vgl. u. Rn. 6 und 22). Totschlag ist heute die vorsätzliche Tötung schlechthin; Mord ist die vorsätzliche Tötung, die sich durch die Begehung als sittlich besonders verwerflich oder als besonders gefährlich darstellt. Damit wurde der Anschluss an das überlieferte deutsche Rechtsdenken wiedergewonnen. Der Anteil der Verurteilungen wegen Mordes an den vorsätzlichen Tötungen stieg zwar von 23% 1925–1939 auf 47% 1950–1975[3], doch ist hierbei auch die Enthemmung durch die Abschaffung der Todesstrafe 1949 zu berücksichtigen; überdies war der Anteil schon 1933–1939 auf 38% gegenüber 21% 1926–1932 gestiegen.
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In der jüngsten Zeit sind die Straftaten gegen das Leben immer mehr in den Blickpunkt der Kriminalpolitik gerückt. Umfangreiches rechtsvergleichendes Material bieten Simson-Geerds, Straftaten gegen die Person und Sittlichkeitsdelikte in rechtsvergleichender Sicht, 1969. Nachdem der Bundesjustizminister Ende 1969 eine Reform der Straftaten gegen das Leben als besonders dringlich bezeichnet hatte (SA-Berat. VI/3), wurde der einschlägige Teil des Alternativ-Entwurfs vorgelegt (Bes. Teil. Straftaten gegen die Person. 1. Hlbbd., 1970), und befasste sich die Strafrechtslehrertagung in Regensburg 1970 mit diesem Komplex[4]. 1977 entschied das BVerfG, dass die lebenslange Freiheitsstrafe nur dann mit Art. 1–3 GG vereinbar ist, wenn für den Verurteilten die Chance einer Strafaussetzung besteht und überdies § 211 restriktiv ausgelegt wird[5]. Die erstere Voraussetzung wurde mit dem 20. StÄG 1981 (Einfügung von § 57a StGB) erfüllt. Das Urteil löste eine erneute Reformbewegung aus[6]; insbesondere befasste sich der 53. DJT 1980 mit der Materie[7]. Das 6. StrRG hat sich darauf beschränkt, den zweihundert Jahre alten Privilegierungstatbestand der Tötung eines nichtehelichen Kindes in oder gleich nach der Geburt (§ 217 StGB)[8] abzuschaffen, da die einschlägigen Fälle im Rahmen des allgemeinen Privilegierungstatbestandes des § 213 StGB berücksichtigt werden könnten (BT-Dr. 13/8587 S. 34). Dessen Höchststrafdrohung wurde aber gleichzeitig auf zehn Jahre verdoppelt! Hier wurde eine segensreiche Strafmilderung, die anderen Staaten als Vorbild gedient hat (so noch Russland 1996), auf dem Altar der political correctness geopfert![9] Außerdem wurde der Tatbestand der Aussetzung (§ 221 StGB) erheblich erweitert (s.u. § 4).
Im Juni 2015 legte eine vom Bundesjustizministerium eingesetzte Expertenkommission ihren Abschlussbericht zu einer Reform der Tötungsdelikte vor. Einigkeit bestand in der Kommission darin, dass die auf eine Tätertypologie hindeutende Terminologie des geltenden Rechts („Mörder„ und „Totschläger„) durch eine an die Tathandlung anknüpfende sprachliche Fassung ersetzt werden sollte. Mit großer Mehrheit befürwortete die Kommission zudem eine Reform des § 211, nach der bei Mord zwar weiterhin regelmäßig, aber nicht mehr absolut zwingend eine lebenslange Freiheitsstrafe als Rechtsfolge verhängt werden müsse. Darüber hinaus wurde