Ungeduld des Herzens / Нетерпение сердца. Стефан ЦвейгЧитать онлайн книгу.
böhmische Aufwaschfrau ins Haus, die alte war gestorben, und am ersten Tag – sie hatte noch mit niemandem gesprochen – merkt sie, wie man mir mit meinen Krücken hinüberhilft in den Fauteuil. Im Schreck läßt sie die Schrubbürste fallen und schreit laut: ›Jeschusch, so ein Unglück, so ein Unglück! Ein so reiches, so vornehmes Fräulein … und ein Krüppel!‹ Wie eine Wilde ist Ilona auf die ehrliche Person losgefahren; gleich wollten sie die Arme entlassen und wegjagen. Aber mich, mich hat das gefreut, mir hat ihr Schrecken wohlgetan, weil es eben ehrlich, weil es menschlich ist, zu erschrecken, wenn man unvorbereitet so was sieht. Ich hab ihr auch sofort zehn Kronen geschenkt, und gleich ist sie in die Kirche gelaufen, um für mich zu beten … Den ganzen Tag hat’s mich noch gefreut, ja, faktisch gefreut, endlich einmal zu wissen, was ein fremder Mensch wirklich empfindet, wenn er mich zum erstenmal sieht … Aber ihr, ihr meint immer, mit eurer falschen Feinheit mich ›schonen‹ zu müssen, und bildet euch ein, daß ihr mir am End’ noch wohltut mit eurer verfluchten Rücksicht … Aber meint ihr, ich hab keine Augen im Kopf? Meint ihr, ich spür nicht hinter eurem Geschwätz und Gestammel das gleiche Grausen und Unbehagen heraus wie bei jener braven, jener einzig ehrlichen Person? Glaubt ihr, ich merk’s nicht, wie es euch mitten in den Atem fährt, wenn ich die Krücken anfaß, und wie ihr hastig Konversation forciert, nur daß ich nichts merke – als ob ich euch nicht durch und durch kennte mit eurem Baldrian und Zucker, Zucker und Baldrian, diesem ganzen ekelhaften Geschleim … Oh, ich weiß haargenau, daß ihr jedesmal aufatmet, wenn ihr die Tür wieder hinter euch habt und mich liegen laßt wie einen Kadaver … genau weiß ich’s, wie ihr dann augenverdreherisch seufzt ›Das arme Kind‹, und gleichzeitig doch höchst zufrieden seid mit euch selbst, da ihr so schonungsvoll eine Stunde, zwei Stunden dem ›armen kranken Kind‹ geopfert habt. Aber ich will keine Opfer! Ich will nicht, daß ihr euch verpflichtet glaubt, mir die tägliche Portion Mitleid zu servieren – ich pfeif auf allergnädigstes Mitgefühl – ein für allemal – ich verzichte auf Mitleid! Wenn Sie kommen wollen, dann kommen Sie, und wenn Sie nicht wollen, dann eben nicht! Aber ehrlich dann und keine Geschichten von Remonten und Pferdeausprobiererei! Ich kann … ich kann die Lügerei und euer ekelhaftes Geschone nicht mehr ertragen!«
Ganz unbeherrscht hat sie die letzten Worte herausgestoßen, brennend die Augen, fahl das Gesicht. Dann löst sich mit einemmal der Krampf. Wie erschöpft fällt der Kopf an die Lehne, und erst allmählich füllt wieder Blut die von der Erregung noch zitternden Lippen.
»So«, atmet sie ganz leise und wie beschämt. »Das mußte einmal gesagt sein! Und jetzt erledigt! Reden wir nicht weiter davon. Geben Sie mir … geben Sie mir eine Zigarette.«
Nun geschieht mir etwas Sonderbares. Ich bin doch sonst leidlich beherrscht und habe feste, sichere Hände. Aber dieser unvermutete Ausbruch hat mich derart erschüttert, daß ich alle Glieder wie gelähmt fühle; nie hat mich irgend etwas in meinem Leben so bestürzt gemacht. Mühsam hole ich eine Zigarette aus der Dose, reiche sie hinüber und zünde ein Streichholz an. Aber beim Hinüberreichen zittern mir die Finger dermaßen, daß ich das brennende Zündhölzchen nicht gerade zu halten vermag und die Flamme im Leeren zuckt und verlischt. Ich muß ein zweites Streichholz anzünden; auch dieses schwankt unsicher in meiner zitternden Hand, ehe es ihre Zigarette entflammt. Sie aber muß unverkennbar an der augenfälligen Ungeschicklichkeit meine Erschütterung wahrgenommen haben, denn es ist eine ganz andere, eine staunend beunruhigte Stimme, mit der sie mich leise fragt:
»Aber was haben Sie denn? Sie zittern ja … Was … was erregt Sie denn so? … Was geht Sie denn das alles an?«
Die kleine Flamme des Streichhölzchens ist erloschen. Ich habe mich stumm gesetzt, und sie murmelt ganz betroffen: »Wie können Sie sich denn so aufregen über mein dummes Geschwätz? … Papa hat recht: Sie sind wirklich ein … ein sehr merkwürdiger Mensch.«
In diesem Augenblick flirrt hinter uns ein leises Surren. Es ist der Lift, der zu unserer Terrasse herauffährt. Johann öffnet den Verschlag, und heraus tritt Kekesfalva mit jener schuldbewußten, scheuen Art, die ihm unsinnigerweise immer die Schultern niederdrückt, sobald er sich der Kranken nähert.
* * *
Ich stehe schleunigst auf, um den Eintretenden zu begrüßen. Er nickt befangen und beugt sich gleich über Edith, um ihr die Stirn zu küssen. Dann entsteht ein merkwürdiges Schweigen. Alle spüren ja alles von allen in diesem Haus; zweifellos muß der alte Mann gefühlt haben, daß eben eine gefährliche Spannung zwischen uns beiden schwingt; so steht er mit gesenkten Augen beunruhigt herum. Am liebsten, ich merke es, flüchtete er gleich wieder zurück. Edith versucht zu helfen.
»Denk dir, Papa, der Herr Leutnant hat heute zum erstenmal die Terrasse gesehen.«
Und »Ja, wunderschön ist es hier«, sage ich, sofort peinlich bewußt werdend, daß ich etwas beschämend Banales ausspreche, und stocke schon wieder. Um die Befangenheit zu lösen, beugt sich Kekesfalva über den Fauteuil.
»Ich fürchte, es wird hier bald zu kühl für dich. Wollen wir nicht lieber hinunter?«
»Ja«, antwortet Edith. Wir sind alle froh, dadurch ein paar ablenkende nichtige Beschäftigungen zu finden; die Bücher zusammenzupacken, ihr den Shawl umzulegen, mit der Glocke zu schellen, deren eine hier wie auf jedem Tisch dieses Hauses bereitliegt. Nach zwei Minuten surrt der Fahrtstuhl hoch und Josef rollt den Fauteuil mit der Gelähmten behutsam hin bis zum Schacht.
»Wir kommen gleich hinunter«, winkt ihr Kekesfalva zärtlich nach, »vielleicht machst du dich zum Abendessen zurecht. Ich kann unterdes mit dem Herrn Leutnant noch ein bißchen im Garten Spazierengehen.«
Der Diener schließt die Tür des Lifts; wie in eine Gruft sinkt der Rollstuhl mit der Gelähmten in die Tiefe. Unwillkürlich haben der alte Mann und ich uns abgewendet. Wir schweigen beide, aber mit einem Mal spüre ich, daß er sich mir ganz zaghaft nähert.
»Wenn es Ihnen recht ist, Herr Leutnant, möchte ich gerne etwas mit Ihnen besprechen … das heißt, Sie um etwas bitten … Vielleicht gehen wir hinüber in mein Büro drüben im Verwaltungsgebäude … ich meine natürlich nur, falls es Ihnen nicht lästig ist … Sonst … sonst können wir natürlich auch im Park spazierengehen.«
»Aber es ist mir doch nur eine Ehre, Herr von Kekesfalva«, antworte ich. In diesem Augenblick surrt der Lift zurück, um uns abzuholen. Wir fahren hinab, schreiten quer über den Hof zum Verwaltungsgebäude; mir fällt auf, wie vorsichtig, wie sehr an die Wand gedrückt Kekesfalva am Haus entlangschleicht, wie schmal er sich macht, als fürchte er, ertappt zu werden. Unwillkürlich – ich kann ja nicht anders – gehe ich mit ebenso leisen, vorsichtigen Schritten hinter ihm her.
Am Ende des niederen und nicht sehr sauber gekalkten Verwaltungsgebäudes öffnet er eine Tür; sie führt in sein Kontor, das sich als nicht viel besser eingerichtet erweist als mein eigenes Kasernenzimmer: ein billiger Schreibtisch, morsch und verbraucht, alte verfleckte Strohsessel, an der Wand ein paar alte, offenbar seit Jahren unbenutzte Tabellen über der zerschlissenen Tapete. Auch der muffige Geruch erinnert mich mißlich an unsere eigenen ärarischen Büros. Schon mit dem ersten Blick – wieviel habe ich verstehen gelernt in diesen wenigen Tagen! erkenne ich, daß dieser alte Mann allen Luxus, alle Bequemlichkeit einzig auf sein Kind häuft und für sich selber spart wie ein knickriger Bauer; zum erstenmal habe ich auch, da er mir vorausging, bemerkt, wie abgestoßen sein schwarzer Rock an den Ellbogen glänzt; wahrscheinlich trägt er ihn schon seit zehn oder fünfzehn Jahren.
Kekesfalva schiebt mir den breiten, schwarzledernen Bocksessel des Kontors hin, den einzig bequemen. »Setzen Sie sich, Herr Leutnant, bitte setzen Sie sich«, sagt er mit einem gewissen zärtlich eindringlichen Ton, während er sich selbst, ehe ich zugreifen kann, bloß einen der fragwürdigen Strohsessel heranholt. Nun sitzen wir hart aneinander, er könnte, er sollte jetzt beginnen, und ich warte darauf mit einer begreiflichen Ungeduld, denn was kann er, der reiche Mann, der Millionär, mich armseligen Leutnant zu bitten haben. Aber hartnäckig hält er den Kopf gesenkt, als betrachtete er angelegentlich seine Schuhe. Nur den Atem höre ich aus der vorgeneigten Brust. Er geht gepreßt und schwer.
Endlich hebt Kekesfalva die Stirn, sie ist feucht überperlt, nimmt die angehauchte Brille ab, und ohne diesen blitzenden Schutz wirkt sein Gesicht sofort anders, gleichsam nackter,