Das Ich und das Es / Я и Оно. Зигмунд ФрейдЧитать онлайн книгу.
dieser Entwicklungsgeschichte der Könige berührt.
c) Das Tabu der Toten
Wir wissen, daß die Toten mächtige Herrscher sind; wir werden vielleicht erstaunt sein zu erfahren, daß sie als Feinde betrachtet werden.
Das Tabu der Toten erweist, wenn wir auf dem Boden des Vergleiches mit der Infektion bleiben dürfen, bei den meisten primitiven Völkern eine besondere Virulenz. Es äußert sich zunächst in den Folgen, welche die Berührung des Toten nach sich zieht, und in der Behandlung der um den Toten Trauernden. Bei den Maori war jeder, der eine Leiche berührt oder an ihrer Grablegung teilgenommen hatte, aufs äußerste unrein und nahezu abgeschnitten von allem Verkehr mit seinen Mitmenschen, sozusagen boykottiert. Er konnte kein Haus betreten, keiner Person oder Sache nahe kommen, ohne sie mit der gleichen Eigenschaft anzustecken. Ja, er durfte nicht einmal Nahrung mit seinen Händen berühren, diese waren ihm durch ihre Unreinheit geradezu unbrauchbar geworden. Man stellte ihm das Essen auf den Boden hin, und ihm blieb nichts übrig, als sich dessen mit den Lippen und den Zähnen, so gut es eben ging, zu bemächtigen, während er seine Hände nach dem Rücken gebogen hielt. Gelegentlich war es erlaubt, daß eine andere Person ihn füttere, die es dann mit ausgestrecktem Arm tat, sorgsam, den Unseligen nicht selbst zu berühren, aber diese Hilfsperson war dann selbst Einschränkungen unterworfen, die nicht viel weniger drückend waren als die eigenen. Es gab wohl in jedem Dorf ein ganz verkommenes, von der Gesellschaft ausgestoßenes Individuum, das in der armseligsten Weise von spärlichen Almosen lebte. Diesem Wesen war es allein gestattet, sich auf Armeslänge dem zu nähern, der die letzte Pflicht gegen einen Verstorbenen erfüllt hatte. War aber dann die Zeit der Abschließung vorüber und durfte der durch die Leiche Verunreinigte sich wieder unter seine Genossen mengen, so wurde alles Geschirr, dessen er sich in der gefährlichen Zeit bedient hatte, zerschlagen und alles Zeug weggeworfen, mit dem er bekleidet gewesen war.
Die Tabugebräuche nach der körperlichen Berührung von Toten sind in ganz Polynesien, Melanesien und in einem Teil von Afrika die nämlichen; ihr konstantestes Stück ist das Verbot, Nahrung selbst zu berühren, und die sich daraus ergebende Notwendigkeit, von anderen gefüttert zu werden. Es ist bemerkenswert, daß in Polynesien oder vielleicht nur in Hawaii[43] Priesterkönige während der Ausübung heiliger Handlungen denselben Beschränkungen unterlagen. Bei den Tabu der Toten auf Tonga tritt die Abstufung und allmähliche Aufhebung der Verbote durch die eigene Tabukraft sehr deutlich hervor. Wer den Leichnam eines toten Häuptlings berührt hatte, war durch zehn Monate unrein; wenn er aber selbst ein Häuptling war, nur durch drei, vier oder fünf Monate, je nach dem Rang des Verstorbenen; aber wenn es sich um die Leiche des vergötterten Oberhäuptlings handelte, wurden selbst die größten Häuptlinge durch zehn Monate tabu. Die Wilden glauben fest daran, daß, wer solche Tabuvorschriften übertritt, schwer erkranken und sterben muß, so fest, daß sie nach der Meinung eines Beobachters noch niemals den Versuch gewagt haben, sich vom Gegenteil zu überzeugen[44].
Im wesentlichen gleichartig, aber für unsere Zwecke interessanter sind die Tabubeschränkungen jener Personen, deren Berührung mit den Toten im übertragenen Sinne zu verstehen ist, der trauernden Angehörigen, der Witwer und Witwen. Sehen wir in den bisher erwähnten Vorschriften nur den typischen Ausdruck der Virulenz und der Ausbreitungsfähigkeit des Tabu, so schimmern in den nun mitzuteilenden die Motive der Tabu durch, und zwar sowohl die vorgeblichen als auch solche, die wir für die tiefliegenden, echten halten dürfen.
«Bei den Shuswap in Britisch-Kolumbia müssen Witwen und Witwer während ihrer Trauerzeit abgesondert leben; sie dürfen weder ihren eigenen Körper noch ihren Kopf mit ihren Händen berühren; alles Geschirr, dessen sie sich bedienen, ist dem Gebrauche anderer entzogen… Kein Jäger wird sich der Hütte, in welcher solche Trauernde wohnen, nähern wollen, denn das brächte ihm Unglück; wenn der Schatten eines Trauernden auf ihn fallen würde, müßte er erkranken. Die Trauernden schlafen auf Dornbüschen… und umgeben ihr Bett mit solchen. «Diese letztere Maßregel ist dazu bestimmt, den Geist des Verstorbenen fernzuhalten, und noch deutlicher ist wohl der von anderen nordamerikanischen Stämmen berichtete Gebrauch der Witwe, eine Zeitlang nach dem Tode des Mannes ein hosenartiges Kleidungsstück aus trockenem Gras zu tragen, um sich unzugänglich für die Annäherung des Geistes zu machen. So wird uns die Vorstellung nahegelegt, daß die Berührung» im übertragenen Sinne «doch nur als ein körperlicher Kontakt verstanden wird, da der Geist des Verstorbenen nicht von seinen Angehörigen weicht, nicht abläßt, sie während der Zeit der Trauer zu» umschweben«.
«Bei den Agutainos, die auf Palawan, einer der Philippinen, wohnen, darf eine Witwe ihre Hütte die ersten sieben oder acht Tage nach dem Todesfall nicht verlassen, es sei denn zur Nachtzeit, wenn sie Begegnungen nicht zu erwarten hat. Wer sie erschaut, gerät in Gefahr, augenblicklich zu sterben, und darum warnt sie selbst vor ihrer Annäherung, indem sie bei jedem Schritt mit einem hölzernen Stab gegen die Bäume schlägt; diese Bäume aber verdorren. «Worin die Gefährlichkeit einer solchen Witwe bestehen mag, wird uns durch eine andere Beobachtung erläutert.»Im Mekeobezirk von Britisch-Neuguinea wird ein Witwer aller bürgerlichen Rechte verlustig und lebt für eine Weile wie ein Ausgestoßener… Er darf keinen Garten bebauen, sich nicht öffentlich zeigen, das Dorf und die Straße nicht betreten. Er schleicht wie ein wildes Tier im hohen Gras oder im Gebüsch umher und muß sich im Dickicht verstecken, wenn er jemanden, besonders aber ein Weib, herannahen sieht. «Diese letztere Andeutung macht es uns leicht, die Gefährlichkeit des Witwers oder der Witwe auf die Gefahr der Versuchung zurückzuführen. Der Mann, der sein Weib verloren hat, soll dem Begehren nach einem Ersatz ausweichen; die Witwe hat mit demselben Wunsch zu kämpfen und mag überdies als herrenlos die Begehrlichkeit anderer Männer erwecken. Jede solche Ersatzbefriedigung läuft gegen den Sinn der Trauer; sie müßte den Zorn des Geistes auflodern lassen[45].
Einer der befremdendsten, aber auch lehrreichsten Tabugebräuche der Trauer bei den Primitiven ist das Verbot, den Namen des Verstorbenen auszusprechen. Es ist ungemein verbreitet, hat mannigfaltige Ausführungen erfahren und bedeutsame Konsequenzen gehabt.
Außer bei den Australiern und Polynesiern, welche uns die Tabugebräuche in ihrer besten Erhaltung zu zeigen pflegen, findet sich dieses Verbot» bei so entfernten und einander so fremden Völkern wie die Samojeden in Sibirien und die Todas in Südindien, die Mongolen der Tartarei und die Tuaregs der Sahara, die Aino in Japan und die Akamba und Nandi in Zentralafrika, die Tinguanen auf den Philippinen und die Einwohner der Nikobarischen Inseln, von Madagaskar und Borneo«. (Frazer, 1911, 353.) Bei einigen dieser Völker gilt das Verbot und die aus ihm sich ableitenden Folgen nur für die Zeit der Trauer, bei anderen bleibt es permanent, doch scheint es in allen Fällen mit der Entfernung vom Zeitpunkte des Todesfalles abzublassen.
Die Vermeidung des Namens des Verstorbenen wird in der Regel außerordentlich streng gehandhabt. So gilt es bei manchen südamerikanischen Stämmen als die schwerste Beleidigung der Überlebenden, den Namen des verstorbenen Angehörigen vor ihnen auszusprechen, und die darauf gesetzte Strafe ist nicht geringer als die für eine Mordtat selbst festgesetzte. (Ibid., 352.) Warum die Nennung des Namens so verabscheut werden sollte, ist zunächst nicht leicht zu erraten, aber die mit ihr verbundenen Gefahren haben eine ganze Reihe von Auskunftsmitteln entstehen lassen, die nach verschiedenen Richtungen interessant und bedeutungsvoll sind. So sind die Masai in Afrika auf die Ausflucht gekommen, den Namen des Verstorbenen unmittelbar nach seinem Tode zu ändern; er darf nun ohne Scheu mit dem neuen Namen erwähnt werden, während alle Verbote an den alten geknüpft bleiben. Es scheint dabei vorausgesetzt, daß der Geist seinen neuen Namen nicht kennt und nicht erfahren wird. Die australischen Stämme an der Adelaide und der Encounter Bay sind in ihrer Vorsicht so konsequent, daß nach einem Todesfall alle Personen ihre Namen gegen einen anderen vertauschen, welche ebenso oder sehr ähnlich geheißen haben wie der Verstorbene. Manchmal wird in weiterer Ausdehnung derselben Erwägung die Namensänderung nach einem Todesfall bei allen Angehörigen des Verstorbenen vorgenommen, ohne Rücksicht auf den Gleichklang der Namen, so bei einigen Stämmen in Victoria und in Nordwestamerika. Ja bei den Guaycurus in Paraguay pflegte der Häuptling bei so traurigem Anlaß allen Mitgliedern des Stammes neue Namen zu geben, die sie fortan erinnerten, als ob sie sie von jeher getragen hätten
43
Fußnote: Frazer (loc. cit.).
44
Fußnote: Frazer (1911, 140), nach Mariner (1818).
45
Fußnote: Dieselbe Kranke, deren» Unmöglichkeiten «ich oben mit den Tabu zusammengestellt habe, bekannte, daß sie jedesmal in Entrüstung gerate, wenn sie einer in Trauer gekleideten Person auf der Straße begegne. Solchen Leuten sollte das Ausgehen verboten sein!