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Als Mariner im Krieg. Joachim RingelnatzЧитать онлайн книгу.

Als Mariner im Krieg - Joachim  Ringelnatz


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Herzlich umarmt Dich Dein Wolf.«

      Auch Tante Michel hatte aus Österreich geschrieben, eine Karte, die noch nach München gerichtet und mir nun nachgesandt war:

      »Längenfeld in Tirol. — L. G.! Heute den 6.8.1914 erhielt ich früh Deine Karte besten Dank. Mein Brief mit Inhalt für Besorgungen für Marie wird hoffentlich jetzt auch bei Dir angelangt sein. Gestern sandte Dir Geburtstagskartenbrief mit 5 Mark ab. Sowie der Bahnverkehr eröffnet für Privatreisende, kehre ich heim. Wer hätte gedacht, daß es einen Weltkrieg gibt. Ich hoffe, Du kommst wegen Deiner Füße frei. Dein Sparkassenbuch liegt in meinem Vertikow, Schlafzimmer im zweiten Fach unter Wäsche rechts. Heute regnet es in Strömen. Bitte schließt nur ja die Korridortüre immer zu. Mir geht es so so. Nimm doch von der Wachholdersulz Speisekammer, ist für Husten gut. Nun lebe wohl! Die Bekannten grüßen. Herzlichste Grüße von Selma. Wie schade, daß Du keinen Datum auf die Karte geschrieben. Bitte bald Antwort geben.«

      Ich zog nach dem Dienst mit Pfeiffer und seiner Braut durch Matrosenschenken. Sie küßte ihn fortwährend und schwur bei jedem Glas unter Tränen, daß sie sich erschießen würde, wenn sie je erführe, daß ihr Toni gefallen sei.

      Am 18. August kam ich wunschgemäß auf Wache nach Mariensiel, einem Dörfchen, das eine Stunde entfernt am Ems-Jade-Kanal liegt. Wir, das hieß zwei Unteroffiziere und zwölf Mann, wurden bei der Bäuerin Harms einquartiert und lagen dort im Pferdestall auf Stroh. Die Landschaft war schön, malerische Scheunen zwischen alten knorrigen Bäumen, liebliche Wiesen mit grasenden Herden. Ohne die Sehnsucht, endlich einmal an die Kanonen zu kommen, hätten wir uns dort nach den trüben Kasernentagen restlos glücklich gefühlt. Unser Fähnrich meinte zwar, wir kämen noch früher und mehr ins Gefecht, als uns lieb sein würde.

      Die Witwe Harms empfing uns freundlich, und ich sagte ihr gleich: Wenn wir ihr bei irgendwelchen Arbeiten helfen könnten, möchte sie über uns verfügen.

      Jawohl: wir könnten Kartoffeln schälen. Auch gab es eine Menge Gartenarbeit und anderes, und wir hatten Fachleute unter uns. Ich freute mich, daß diese einen Nebenverdienst fanden und legte mich selbst, zum Nachdenken, hinter das Gehöft ins Gras in die Sonne.

      Es war unsere Aufgabe, mit scharf geladenem Gewehr einen zwischen Wällen und Blättergrün versteckten Pulverturm zu bewachen. Wir Unteroffiziere führten die Posten auf dunklen Wegen über eine halsbrecherische Brücke dorthin und holten sie wieder ab. Die Wälle waren mit Birnbäumen bepflanzt, und die Posten holten sich gleich mit dem Bajonett die riesigen, aber leider ganz unreifen Früchte herunter. Eine dieser Birnen verwahrte ich mir, in der Hoffnung, sie würde nachreifen.

      Wir lagen angekleidet und mit Schuhen im Stroh. Die Wolldecken waren dünn, und wir froren, weil Fenster und Türen des Pferdestalles offen standen. Über uns nisteten Schwalben. Morgens kleckste eine Henne dem Trockenbodengespenst mitten ins Gesicht, — so nannten wir einen Matrosen, weil er sich regelmäßig vorm Appell auf den Trockenboden geflüchtet hatte. Sein Fluchen, die Stimmen der Haustiere und die Sonne weckten mich. Ich verschaffte mir mit Mühe Seife, wusch mich wonnig ausführlich und rückte mir zwecks Kaffee mit Zigaretten einen Stuhl zwischen die Rosenbeete des Gartens.

      Aber mittags mußten wir uns schon zum zweitenmal über das Essen beklagen, und bald merkten wir, woran wir dort waren. Witwe Harms war steinreich. Sie hatte große Äcker und viel Vieh. Aber sie war herzlos geizig und verpflegte uns in einer Art, die durchaus nicht der Entschädigung entsprach, die ihr die Behörde dafür zahlte. Auch dachte sie nicht daran, sich den Matrosen, die ihr bei der Arbeit halfen, irgendwie erkenntlich zu zeigen.

      Ich hatte es mir und meinen Leuten zur eisernen Pflicht eingeprägt, im Quartier dankbar, höflich und bescheiden zu sein. In diesem Falle, da wir von Tag zu Tag schlechter behandelt und obendrein ausgenutzt wurden, gab ich die gegenteilige Parole aus.

      Wir entdeckten einen Zwetschgenbaum, der besonders reich mit köstlichen Früchten gesegnet war. Am Stamm hing ein Plakat mit der Aufschrift »Pflaumen nicht essen! Vergiftet! Vorsicht!« Wir lachten einander schweigend zu, und im Nu war alles heruntergefressen. Frau Harms war eine abscheuliche, ziemlich alte Dame, aber jeder meiner Leute erklärte, daß er diese Frau ob ihres schönen und reichen Gutes und in der Hoffnung auf baldiges Absterben sofort mit Freuden heiraten würde. Sie hatte zwei Mägde, eine Geistesgestörte und ein hübsches, braunverbranntes, nur leider allzu sprödes Mädchen. Wir fanden mehr Gegenliebe bei einem prächtigen Bernhardiner.

      In der Dorfschenke verlor ich am Billard gegen das Trockenbodengespenst, das sonst meisterhaft spielte, aber diesmal außer Fassung war, weil es zuvor, auf Pulverwache, in der Dusterheit nach einer Kuh geschossen hatte, die auf Befragen die Parole »Mühlhausen« nicht kannte. Ich tötete sieben Fliegen mit einem Schlag, das erste Blut, das ich vergoß, und verhaftete auf Posten einen Zivilisten, der sich verdächtig herumtrieb und keine Ausweise hatte. Es war ja so schön, wenn mal etwas verdächtig war.

      Übrigens mußten auch wir Unteroffiziere Posten stehen.

      Die Abende und Nächte in Mariensiel schienen mir besonders schön.

      Die Kartoffelschäler sangen »Stürmisch die Nacht, und die See geht hoch ...« ein Lied, das ich auswendig lernte, weil es so instinktiv richtig den Rhythmus eines Schiffes im Sturm trug. Durch den Jadekanal zogen kleine, schwere Holländerboote, die vor jeder Brücke ihre Segel einzogen und die Masten umlegten. Sie wurden selbstverständlich kontrolliert und überwacht. Die Brücken, die Bahndämme, die Übergänge alles wurde überwacht. Seebataillon und Marine stellten die Posten. Wächter zu Fuß, zu Pferd, zu Rad, teils mit Hunden an der Kette streiften herum. Wenn ich nachts in der romantischen Allee, die zu Harms Gehöft führte, einsam, ach so gern Wache stand, und die Ronde nahte, versteckte ich mich hinter einem Baum; und dann sprang ich plötzlich hervor, riß das Schloß gefährlich knackend auf und rief die, die mich überraschen wollten und nun selbst erschrocken waren, scharf an: »Halt! Wer da? Parole oder ich schieße!«

      Es trafen Leute in Mariensiel ein, die uns erzählten, daß sie an Bord der »Stralsund« ein Gefecht mit englischen Schiffen gehabt und dabei zwei feindliche Torpedobootszerstörer vernichtet, zwei andere untauglich gemacht hätten. Diese Leute lösten uns für einen Tag ab. Der Marsch von Mariensiel nach der Kaserne kam uns recht sauer an, für Infanteristen mit viel schwerem Gepäck wäre das ein Spaziergang gewesen, und die hätten dabei herzhaft Lieder gesungen. Bei uns kam nie ein Marschgesang zustande. Wenn wirklich ein paar Matrosen ansetzten, und eine Melodie mehr in sich hinein als aus sich heraus brummelten, dann machten die andern sich über ihn lustig, und außerdem kannten wir nur immer den Anfang der Texte.

      Ich feierte mit Toni Pfeiffer ein feuchtes Wiedersehen. Er war im Rauschzustand sehr komisch. Dann warf sich der lange Schlacks knallend auf den Bauch und schob sich in Schwimmbewegungen über den Hof. Beim Mittagessen mußte ich ihn aber oft ernsthaft korrigieren. Er warf dann mit Brotstücken um sich und gab ungeniert laute Gestänke von sich.

      Nachdem geraume Zeit das Gerücht verbreitet war, die Japaner hätten den Russen den Krieg erklärt, las man auf einmal, daß sie vielmehr uns ein Ultimatum gestellt hätten. Das hieße eventuell eine Großmacht mehr gegen uns. Aber wir meinten, in solchem Falle würde sich andererseits Amerika gegen Japan erheben.

      Abermals trotteten wir gen Mariensiel. Diesmal wurden wir von einem alten Obermaat geführt, der im Gruß-Reglement sichtlich unsicher war. Er erwies unterwegs infolgedessen hartnäckig überhaupt keine Ehrenbezeugung, und wenn wir ihm sagten: »Du, das war doch ein Offizier!?«, dann knurrte er jedesmal: »Ik häv keen sehn.« Es regnete kalt, und wir dachten unbehaglich an Musterung mit verrosteten Gewehren. Einige Leute trugen noch immer Zivilschuhe. Auf den Kleiderkammern wollte das Tohuwabohu kein Ende nehmen. Natürlich ward sofort von Unterschlagungen und Verhaftungen gemunkelt.

      Der braunen Magd in Mariensiel, die ich Teufel und die mich Bootsmaat Habicht nannte, streckte ich die Hand zum Gruße hin, aber das stolze Mädchen nahm sie nicht. Da brachte ich sie so zum Lachen, daß sie einen Schluck Kaffee über den Küchentisch spuckte, worauf nun ich mich stolz abwandte. Frau Harms brachte mir ein »Gedenkbuch an die Einquartierung bei Witwe Harms«, das sie auf irgendwessen Rat angelegt hatte, und bat mich, unsere Namen, Chargen, Adressen usw. einzutragen. Ich fügte, wie die vorige Wache getan hatte, ein Verschen zu:


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