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Die Ahnen. Gustav FreytagЧитать онлайн книгу.

Die Ahnen - Gustav Freytag


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Himmel nicht mehr sah, nur Äste und Blätter. Unter den grauen Stämmen herrschte tiefes Schweigen, selten tönte von hoch oben der Ruf eines Vogels. Da fuhr es leise am nächsten Baumstamm herab, ein Eichhorn setzte sich ihr gegenüber auf den Ast, neigte ihr zuweilen den kleinen Kopf zu und blickte sie mit den runden Augen an, während es eine Ecker in den Pfoten hielt und daran nagte. Auch Walburg grüßte das Waldtier und sprach rühmend: »Gut stehen dir deine Ohrbüschel und dein stolzer Schweif; sei mir freundlich, Rothaar, denn ich sinne dir nichts Böses, und könnte ich dir helfen mit Eicheln und Eckern in deinem Haushalt, ich täte es gern. Doch reicher bist du als ich, denn du hältst dein Wesen hoch in der Baumhalle, wir Menschenkinder aber schreiten beschwerlich über die Wurzeln. Ich kümmere mich um einen, den du leicht erspähst, wenn du durch die Wipfel schweifst, siehst du ihn auf seinem Wege, so laufe vor ihm, daß du ihn zu mir führst.« Das Eichhorn nickte mit dem Kopf, warf die Frucht auf den Boden und fuhr eilig den Stamm hinauf.

      »Es tut nach meinem Willen«, sprach Walburg lächelnd. Da vernahm sie einen schnellen Schritt, sie hörte sich beim Namen rufen und sah den Friedlosen, der zwischen den Stämmen auf sie zusprang, sich neben ihr in das Moos warf und ihre Hand faßte. »Kommst du doch«, rief er, und in dem frohen Schreck versagte ihm die Stimme. »Dich noch einmal zu sehen, habe ich heimlich gehofft, und täglich wandelte ich über das Moos, wie gebannt an den Baum.« Walburg strich ihm liebkosend die Wange und das Haar. »So bleich das Antlitz, verworren die Locke und hager der Leib, du armer Schatten, der das Sonnenlicht meidet, dir war der Wald feindlich, denn dein Aussehen ist vergrämt und dein Auge starrt wild auf das Kind deines Gastfreundes.«

      »Es ist unmenschlich im Walde, und fürchterlich ist die Einsamkeit für den Ausgestoßenen,« antwortete Ingram, »seinen Fuß klemmt die Baumwurzel, die Äste raufen ihm das Haar, und die Krähen in der Höhe reden mißtönend miteinander, ob er ihnen zum Fraß wird oder nicht.« Er fuhr empor. »Weiß ich doch nicht, ob ich mich freuen soll, da ich dich sehe; du kommst von den Priestern und du gehst zu ihnen zurück, um ihnen die gute Botschaft zu verkünden, daß du mich in Elend und Jammer gefunden hast.«

      »Ich war bei den Priestern und ich komme zu dir,« antwortete Walburg feierlich, »aus dem Hof der Christen bin ich gegangen, um für dich zu sorgen, wenn ich es vermag; die Menschen habe ich verlassen und den wilden Wald habe ich gewählt, wenn du mich haben willst.«

      »Walburg!« schrie der Friedlose, warf sich wieder neben ihr auf den Grund, er umschlang sie mit seinen Armen, drückte sein Haupt an ihren Leib und schluchzte wie ein Kind.

      Walburg hielt ihm das Haupt, küßte ihn auf sein Haar und sprach ihm tröstend wie eine Mutter zu: »Sei ruhig, du Wilder, ist dein Schicksal auch schwer, du hast eine, die dir‘s tragen hilft. Auch ich bin aufgewachsen nahe der Wildnis und nahe den Räubern der Grenze; die Bedrängten rettet wohl geduldiger Mut. Setze dich dort mir gegenüber, Ingram, und laß uns bedächtig reden wie sonst, wenn wir am Herde meines Vaters zueinander sprachen.«

      Ingram setzte sich gehorsam, aber er hielt ihre Hand fest.

      »Drücke auch nicht so traulich meine Hand,« mahnte Walburg, »denn ich habe dir Schweres zu sagen, was der Mund eines Mädchens nicht gern spricht.« Ingram aber unterbrach sie: »Bevor du redest, höre auch meine Meinung.« Er hob einen Kiesel aus dem Moose und warf ihn hinter sich. »So tue ich ab, was uns trennte, vergiß auch du, Walburg, was dich an mir gekränkt hat, gedenke nicht der Sorbenfessel und nicht der Lösung durch die Fremden, und ich flehe, verstöre mich nicht durch strenge Rede, denn so selig fühle ich mich jetzt, da ich dich vor mir schaue und deine Treue erkenne, daß ich um Bann und Friede wenig sorgen will. Du bist meinem Herzen sehr lieb, und heut, wo du zu mir kommst, mag ich an nichts denken als an dich und mich deiner zu freuen.«

      Der Schleier, welcher das halbe Antlitz der Jungfrau verhüllte, bewegte sich. »Sieh doch erst zu, Ingram, wen du lieb hast, wir loben den Freier, der vorher betrachtet, was er erwerben will.« Sie schlug den Schleier zurück, eine rote Narbe zog sich über die linke Wange, eine Hälfte des Gesichts war ungleich der anderen. »Das ist die Walburg nicht, deren Wange du einmal gestreichelt hast.« Er sah das Angesicht vor sich, welches ihn damals erschreckt hatte, wo er das Schwert gegen den Bischof hob. Sie blickte spähend nach ihm, und als sie sein Staunen sah, verhüllte sie die Wange wieder und wandte sich ab, um ihre Tränen zu verbergen.

      Ingram rückte sich näher und rührte leise an die andere Wange. »Laß mich diese küssen«, sagte er treuherzig. »Ich bin erschrocken, denn wild steht die Narbe in deinem Gesicht, aber ich weiß, daß du sie erhalten hast, als ich ein Tor war; und die Männer und Frauen werden dich darum nicht weniger ehren.«

      »Du sprichst ehrbar, Ingram, aber ich fürchte, mein Anblick wird dir dereinst mühselig, wenn du mich mit anderen vergleichst. Ich bin stolz, und wenn ich dein Weib werde, so will ich dich allein haben für Leben und Tod, denn das ist mein Recht. Auch ich will dir sagen, wie mir ums Herz ist. Als ich noch aussah wie andere Mädchen, hatte ich dich mir als Ehewirt gehofft, und wenn du nicht mein Gemahl wirst, so wird es schwerlich ein anderer Mann auf Erden, auch wenn mich einer begehren wollte. Vor kurzem aber hörte ich eine Stimme, die wie aus meinem Innern zu mir sprach, daß ich mich einem anderen Herrn verlobe, dem Himmelsgott, der selbst die Wundenmale trug. Den halben Schleier haben sie über mich gelegt, ob ich dereinst mein Haupt ganz verhülle oder nicht, darum sorgte ich in bitterer Angststunde.«

      Ingram sprang auf. »Viel Böses wünsche ich den Priestern, denn sie haben deine Gedanken von mir abgewandt.«

      »Das haben sie nicht getan,« versetzte Walburg eifrig, »du kennst sie nicht, die du schmähst. Setze dich wieder und höre ruhig, denn zwischen uns soll Vertrauen sein. Stündest du im Glück vor mir, so würde ich vielleicht mein Herz verbergen, und wenn du noch bei meinen nächsten Verwandten um mich werben wolltest, so wäre dir die Freite langwierig wegen der Narbe, denn ich würde deiner Beständigkeit nur schwer trauen. Jetzt aber sehe ich, daß dir ein Freund not tut und daß dein Leben in großer Gefahr ist, da ist die Angst um dich in mir übermächtig geworden, und ich bin zu dir gekommen, damit du unter den Raubtieren nicht verwilderst und, wenn ich‘s hindern kann, im Walde nicht vergehest. Denn ich weiß, und du weißt es auch, daß ich in der Not zu dir gehöre.« Sie nahm den Schleier ab: »Sehen sollst du mich fortan, wie ich bin, ich verstecke mein Gesicht nicht vor dir.«

      Wieder warf sich Ingram an ihrer Seite nieder und umfing sie. »Sorge nicht um meine Rettung und nicht um meine Seligkeit, an beiden liegt mir wenig, wenn du mir nicht sagst, was ich hören will, daß du zu mir kommst, weil du mich lieb hast.«

      »Ich will mich dir angeloben,« sprach Walburg leise, »wenn du mir dasselbe tust.«

      Jauchzend zog er sie in die Höhe. »Komm, wo die milde Sonne scheint, daß wir die heiligen Worte sprechen.« Aber als er ihr in die Augen sah, die in Liebe und Zärtlichkeit an seinem Angesichte hingen, verwandelte sich seine Gebärde, die herbe Sorge fiel ihm auf das Herz, und er wandte sich ab. »Wahrlich,« rief er, »ich bin wert, unter Wölfen zu hausen, daß ich die Tochter des toten Gastfreundes dem Grauen der Wildnis preisgeben will. Vergessen habe ich, wer ich bin. Jetzt sehe ich um mich graues Holz und wildes Kraut, und ich höre über mir den Schrei der Adler. Übel habe ich mein eigenes Leben beraten, aber ein niedriger Mann bin ich nicht, und die Treue eines Weibes mag ich nicht mißbrauchen, damit auch sie verderbe. Geh, Walburg, es war nur wie ein lustiger Traum.« Er lehnte sich an einen Baum und stöhnte, Walburg hielt seinen Arm fest.

      »Ich stehe doch unversehrt an deiner Seite, und ich vertraue auf den mächtigen Schutz dessen, den wir Vater nennen, und dazu auch auf Speer und Schwert meines Helden, an dem ich mich festhalte.«

      »Ich war ein Krieger, jetzt bin ich ein ruchloser Schatten. Es ist hart, Walburg, Feuer und Rauch zu meiden, noch härter, jedem Wanderer scheu aus dem Bereich seiner Augen zu weichen oder eines Kampfes gewärtig zu sein ohne Feindschaft und Grimm, nur weil der andere nach dem Friedlosen wie nach einem tollen Hunde schlägt. Aber härter als Leibesnot und Mord im Waldesdunkel ist es, feige das Haupt zu bergen und unrühmlich dahinzuleben wie das Ungeziefer unter den Bäumen, unerträglich ist solches Lungern, und die einzige Hilfe wird ein schnelles Ende im Schwertkampf. Geh, Walburg, und willst du mir deine Liebe erweisen, so sage einem, der einst mein Mann war, daß er mir ein gezäumtes Roß herführe, damit ich mir die letzte Rache suche.« Er warf sich auf den Boden und barg


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