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Münchhausen. Karl ImmermannЧитать онлайн книгу.

Münchhausen - Karl  Immermann


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Versicherungen zu geben, denn in der Taxuslaube hinter dem Genius des Schweigens entstand ein Geräusch und hervor trat Fräulein Emerentia, die in der Laube der ganzen Rede zugehört hatte. »Zum Henker«, rief der alte Baron, »das habe ich sauber gemacht!« Er entfernte sich eilig in das Schloß.

      Emerentia näherte sich Münchhausen und sprach mit sanfter Stimme: »Es ist eine zu alte Erfahrung, daß die höherstehende Natur von ihren Umgebungen für wahnwitzig gehalten wird, als daß mich die Worte des Vaters verletzen könnten. Vergebung daher ihm, und ferne sei es von mir, das Recht der Wiedervergeltung zu üben und Sie auf seine Einbildungen aufmerksam zu machen.

      Aber Dank bin ich Ihnen schuldig, teurer Meister, für die unvergleichliche Zartheit, mit welcher Sie mich heute zweimal aus dem Zimmer sendeten. Eine so rücksichtsvolle Behandlung tut unendlich wohl. Ich muß Ihnen meinen Dank durch eine Warnung betätigen. Hüten Sie sich vor dem Schulmeister, reizen Sie seine Ihnen bekannte Verrücktheit nicht durch hingeworfene Äußerungen, welche er auf sich und seine fixe Idee beziehen kann. Ich habe Ursache, zu glauben, daß die Krankheit dieses Mannes im Steigen ist; denn er kocht schon die sogenannte schwarze Suppe, ohne ihrer benötigt zu sein und schläft zuweilen im Freien auf dem lächerlichen Gebirge Taygetus — Zeichen gewiß einer innerlichen Gärung. Welches Unglück, wenn er plötzlich wütend würde, den Vater, wie leicht möglich, ansteckte, und beide die Riesenkraft der Raserei entfalteten! Wir Vernünftigen wären schwerlich imstande, sie zu bewältigen, ja nur uns vor ihnen zu retten.«

      Das Fräulein fuhr fort: »In den Stunden, in welchen ich der Empfindung nachhing, habe ich viel über den Wahnsinn nachgedacht und bin auf folgendes Resultat gekommen. Aller Wahnsinn ist eigentlich eine krankhafte Richtung der Natur, das Individuum in das Maßlose zu erweitern, und über die Schranken hinaus, welche die Selbstverleugnung und eine edle Ergebung in die Beschlüsse des Schicksals ihm setzt, ihm Güter, Gefühle und Genüsse anzueignen. Deshalb ist die geistige Krankheit auch verhältnismäßig häufiger bei Personen aus den geringen Ständen, die so vieles entbehren müssen, und schafft bei ihnen die Einbildung, daß sie Könige, Kaiser, ja Gott seien, oder daß sie große Schätze besitzen. Auch die Furcht vor Feinden und Verfolgern, welche nicht selten als Äußerung des Wahnsinns auftritt, und auf den ersten Anblick meiner Erklärung zu widersprechen scheint, bestätigt sie doch nur. Solche arme und unangesehene Leute haben nicht selten das geheime, nagende Gefühl ihrer Unbedeutendheit; nun kann nur ein Zufall, ein Mißgeschick ihre Seele erschüttern, so fangen sie an, eine erträumte Wichtigkeit in der Menge von geheimen Feinden, welche ihnen die schwärmende Phantasie vorgaukelt, zu genießen. Daher kommt es denn auch im Gegenteil, daß Fürsten und vornehme Personen, wenn sie ihren Verstand verlieren, in Stumpfsinn und Hinbrüten zu verfallen, oder sich ganz alberne Ideen einzubilden pflegen, wie z. B. daß sie von Glas seien, einen Sperling im Kopfe tragen und was dergleichen mehr ist. Natürlich; sie haben schon alles, was das Herz begehrt, deshalb muß die kranke Seele entweder über dem Ungestalteten brüten, oder sich mit den abenteuerlichsten, von Wunsch und Begehren ganz fernen Vorstellungen nähren.

      Die Anwendung dieser allgemeinen Bemerkungen auf den Schulmeister zu machen, ist sehr leicht. Die Natur hatte ihm eine Beimischung von Selbstgefühl gegeben, welche mit seinem geringen Amtsberufe nicht in Einklang stand, und diesen Einklang hat er sich nun durch seine stolze Träumerei von der spartanischen Abkunft luftschloßartig gestiftet und erbaut.«

      Münchhausen erstaunte noch mehr über diese Rede, als über die der andern Personen, welche er heute abend hatte sprechen hören. Er ging auf sein Zimmer, roch in die Luft hinaus, wie er oft zu tun pflegte, um die Beschaffenheit derselben für seine Zwecke zu erkunden, setzte sich auf sein Bett, und ließ sich vom Bedienten Karl Buttervogel, welcher inzwischen mit dem Waschwasser hereingekommen war und seinem Herrn die Nachtmütze aufgesetzt hatte, die Stiefeln ausziehen.

      »Karl«, sagte Münchhausen, »wir sind hier in einem Tollhause. Der alte Baron, das Fräulein, der Schulmeister sind sämtlich verrückt. Jeder von ihnen hat merkwürdigerweise einen klaren Blick in den Zustand des andern, und was noch merkwürdiger ist, sie reflektieren äußerst gescheit über den Wahnsinn. Aber nimm dich doch in acht; denn solche Zustände können durch die geringste Veranlassung gesteigert werden.«

      »Ich werd‘ schon«, versetzte Karl Buttervogel, indem er seinem Herrn die Beinkleider abstreifte. »Dem Fräulein hab‘ ich lang‘ was angesehen, sie schießt zuweilen so verzwickte Blicke auf mich. Aber gnädiger Herr, warum sind wir denn so fortgegangen, wo uns die drei Herren so reichlich in allem unterhielten, und Sie nichts zu tun hatten, als sich ein paar Stunden von ihnen studieren zu lassen? Und warum kriechen wir hieher in dieses verwunschene Schloß, wo sich wahrhaftig keine Maus satt fressen kann? Ich liege in einem dunkeln Loche, weder von Sonne noch Mond beschienen, und will ein Halunke sein, wenn ich seit drei Tagen Fleisch gerochen habe! Dazu sind die Wanzen in meiner Spelunk‘, jeden Morgen bin ich zerbissen, als hätte ich mich mit sechs Jagdhunden herumgebalgt! Lassen Sie uns je eher, je lieber fort, gnädiger Herr, denn so gern ich Ihnen diene, hier halte ich es nicht lange aus.«

      »Hier bleibe ich, so lange die Ursache dauert, welche mich hergeführt hat«; erwiderte der Freiherr mit Ansehn.

      »Die Ursache, welche hergeführt hat«, sagte Karl Buttervogel, »ist doch nur, daß Sie vom Pferde fielen, und diese hat aufgehört.«

      »O du Tor und Kurzsichtiger«, rief Münchhausen zornig, »der du immer nur den Sturz vom Pferde erkennst und nicht wahrnimmst — —«

      »Was, mein gnädiger Herr?«

      »Nichts!« versetzte Münchhausen barsch, warf sich auf sein Bette, daß die Not- und Hülfssponde, welche der Schulmeister roh zusammengefügt, knackte, und schlief sogleich ein.

      Karl Buttervogel stand mitten im Zimmer, die Kleidungsstücke seines Herrn auf dem Arme, und sagte, als er ihn schnarchen hörte: »Es ist wahrhaftig recht schlecht von meinem Herrn, daß er mir nicht sagen will, warum wir hier in dem vermaledeiten Neste bleiben? Keinen Lohn kriegt man von ihm, sondern wird ewig vertröstet auf die Zeit, wo er die Luft wird festmachen können, wie sie‘s in Paris tun, und dennoch kein ganzes Zutrauen! Ich weiß doch, daß er nicht mit rechten Dingen in die Welt gekommen ist, warum sagt er denn nicht, was er hier vorhat?«

      Zweites Buch. Der wilde Jäger

       Erstes Kapitel

Der Hofschulze

      Im Hofe zwischen den Scheuren und Wirtschaftsgebäuden stand mit aufgekrempten Hemdärmeln der alte Hofschulze und schaute achtsam in ein Feuer, welches zwischen Steinen und Kloben am Boden entzündet, lustig flackerte. Er rückte einen kleinen Amboß, der daneben stand, zurecht, legte sich Hammer und Zange zum Griffe bereit, prüfte die Spitzen einiger großen Radnägel, die er aus dem Bruststücke des vorgebundenen Schurzfells zog, legte die Nägel auf das Bodenbrett des Leiterwagens, dessen Rad er ausbessern wollte, und drehte die Stelle des Rades, von welcher ein Stück Schiene abgebrochen war, achtsam nach oben, worauf er durch untergeschobene Steine das Rad in seiner Stellung festigte.

      Nachdem er wieder ein paar Augenblicke in das Feuer gesehen hatte, ohne daß seine hellen und scharfen Augen davon zu blinzeln begannen, fuhr er rasch mit der Zange hinein, hob das rotglühende Stück Eisen heraus, legte es auf den Amboß, schwang den Hammer darüber, daß die Funken sprühten, schlug das noch immer glutrötliche um das Rad, da wo die Schiene fehlte, schlug und schweißte es mit zwei gewaltigen Schlägen fest, und trieb dann die Nägel, welche es in seiner weichen Dehnbarkeit noch immer leicht hindurchließ, an ihre Plätze.

      Einige der stärksten und heftigsten Schläge gaben dem eingefügten Stücke das letzte Geschick. Der Schulze stieß mit dem Fuße die vor das Rad gelegten Steine hinweg, faßte den Wagen bei der Stange, um das geflickte Rad zu prüfen, und zog ihn ungeachtet seiner Schwere ohne Anstrengung quer über den Hof, so daß die Hühner, Gänse und Enten, welche sich ruhig gesonnt hatten, mit großem Geschrei vor dem rasselnden Wagen entflohen, und ein paar Schweine aus ihrem eingewühlten Lager grunzend auffuhren.

      Zwei Männer, von denen der eine ein Pferdehändler, der andre ein Rendant oder Rezeptor war, hatten, unter der großen Linde am Tische vor dem Wohnhause sitzend und ihren Trunk verzehrend,


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