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Die Rückkehr der Zeitmaschine. Egon FriedellЧитать онлайн книгу.

Die Rückkehr der Zeitmaschine - Egon  Friedell


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ganze Ahnungslosigkeit, wie ich es gelinde nennen will. Die zweifelnden Äußerungen des Zeitreisenden sind selbstverständlich alle ironisch gemeint, und zwar von einer Ironie, die jedes bessere Pferd verstehen müßte! Was Mr. Blank anlangt, so ist er mit voller Deutlichkeit nicht als der »klügste und seriöseste«, sondern als der bornierteste und oberflächlichste des Kreises geschildert, wofür allein schon sein Beruf bürgt: haben Sie denn nicht bedacht, daß er Herausgeber einer Zeitung ist, und noch dazu einer großen? Aber Sie scheinen ohne ›Konklusionen‹ zu lesen (wieder einmal weiblich zart ausgedrückt). Und Ihr dritter Kronzeuge, der Journalist Mr. Anthony Transic, schweigt allerdings den ganzen Abend, aber nicht »vielsagend«, sondern aus purer Dummheit!

      Aber auch die andere Eventualität, die Sie ansetzen, trifft in der Form, in der Sie es tun, keineswegs zu. Der Bericht über die Zeitreise enthält nämlich nicht etwa »ein Körnchen Wahrheit«, sondern die ganze Wahrheit und nicht ein Körnchen Fiktion. Was für sonderbare Vorstellungen von schriftstellerischer Anständigkeit müssen bei Ihnen verbreitet sein! Sie halten es also allen Ernstes für denkbar, daß ein unbescholtener Autor wie Mr. Wells die Stirne haben könnte, einem Referat über ein wissenschaftliches Experiment von höchster Tragweite etwas hinzuzusetzen oder auch nur wegzunehmen? Ein ingeniöser Gelehrter wie Mr.... (hier war im englischen Originalmanuskript etwas sorgfältig durchgestrichen) hätte seine gefahrvollen Versuche also nach Ihrer Ansicht nur zu dem Zwecke gemacht, um Mr. Wells die Unterlage zu einigen feuilletonistischen Spielereien zu liefern? Sehr gütig, daß Sie die Möglichkeit, es gebe den Zeitreisenden, mit einigem Zögern einräumen; natürlich gibt es ihn. Aber Ihr Betragen ist in jedem Fall unentschuldbar. Denn entweder zweifeln Sie an seinem Dasein: dann ist dieser Zweifel eine kontinentale Ungezogenheit, die mit aller geziemenden Entrüstung zurückgewiesen werden muß; oder Sie glauben an sein Dasein: dann ist Ihre Anfrage eine ebenso ungebührliche Indiskretion, denn nur für den Fall, daß es sich um ein Geschöpf der Phantasie handelt, hätten Sie das Recht, über seine Lebensschicksale Auskunft zu verlangen. Und endlich drittens ist es eine Anmaßung, Mr. Wells über seine Verpflichtung belehren zu wollen. Gerade weil er seine Pflicht gegen den Zeitreisenden und dessen Ruf sehr wohl kennt, verweigert er jede Auskunft. An der Striktheit dieser Ablehnung mögen Sie die geringe Delikatesse Ihrer Anfrage ermessen.

      Ihre aufrichtige Dorothy

      Hamilton Sekretärin

      P.S. Ihr Ersuchen um ein Autogramm muß Mr. Wells ebenfalls ablehnen. Da er von Beruf Schriftsteller ist, so übt er das Schreiben auch nur beruflich aus und fühlt sich nicht veranlaßt, an Privatpersonen schriftliche Arbeiten zu liefern. Er findet Ihr Ansinnen nicht weniger sonderbar, als wenn Sie von einem Buchhalter, dessen Beruf das Rechnen ist, verlangen wollten, er solle zu Ihrem Privatvergnügen eine Kolonne addieren, und dazu noch eine möglichst lange. Und Sie als Schauspieler wären sicherlich sehr erstaunt, wenn einer Ihrer ›Verehrer‹ Ihnen zumutete, ausschließlich für ihn eine Rolle zu memorieren.

      Mr. Anthony Transic, London

      Wien, am 19. Februar 1908

      Sehr geehrter Herr!

      Die beiliegenden beiden Kopien informieren Sie über meinen Briefwechsel mit Mr. Wells. Dieser Korrespondenz verdanke ich auch Ihren Namen, der in dem Roman oder vielmehr dem Protokoll über die Zeitmaschine (ob absichtlich oder aus Versehen, kann ich nicht beurteilen) nicht erwähnt wird. Daß mein Brief Sie, obgleich er einer genaueren Adressenangabe entbehrt, ohne erhebliche Verzögerung erreichen wird, steht für mich außer Zweifel, denn die Londoner Post ist so findig, daß sie sogar eine Depesche ohne Namensnennung, nämlich an den Zeitreisenden, bestellte; man kann aber auch sagen: nicht bestellte. Nämlich so: sogleich nach Empfang des Briefes der Miss Hamilton schickte ich ein Telegramm an Time Traveller London und bekam es prompt zurück mit dem Vermerk »gone on a journey«. Das ist ja bei einem ›Reisenden‹ nicht weiter verwunderlich, daß er sich auf einer Reise befindet; nur was das für eine Reise sei, hätte ich gar zu gern gewußt. Ist er noch immer auf der Zeitreise? Oder schon wieder? Oder nur auf einer ganz gewöhnlichen, wie auch andere Sterbliche sie unternehmen? Aber auf solche Detailfragen pflegt die Post leider keine Auskunft zu erteilen. Immerhin ist damit nunmehr unwiderleglich bewiesen, daß der Zeitreisende existiert. Ich will damit nicht sagen, daß ich in die Angaben, die Mr. Wells mir machen ließ, irgendeinen Zweifel gesetzt hätte. Ich habe Mr. Wells immer für einen besonders honorigen Charakter gehalten und tue es jetzt erst recht. Über sein Talent denke ich allerdings seit den Enthüllungen seiner Sekretärin weniger anerkennend. Wenn er nur ein Protokoll geliefert hat, so bleibt an schriftstellerischer Leistung nichts zurück als die von ihr selbst zugegebene Farblosigkeit und Formlosigkeit. Der menschliche Gesichtskreis wird durch seinen Bericht allerdings erweitert, aber das ist nicht sein Verdienst, sondern das des Zeitreisenden. Er hat gar keinen Anlaß, Bernard Shaw so von oben herab abzutun. Denn selbst zugegeben, daß dieser Ideologie eingeschmuggelt hat, so bliebe ihm immer noch der Ruhm der Emballage. Auch ein gänzlich wertloses Medikament, das in einem delikaten Schokoladenüberzug steckt, oder ein exquisit ausgestattetes Knallbonbon, in dem sich nichts als Luft befindet, hätte noch immer einen gewissen Reiz: nennen Sie das immerhin Luxus. Nun enthält aber das, was Mr. Wells Shaws Ideologie nennt, ebenfalls einen Schatz von Wahrheiten; nur sind es keine physikalischen, sondern moralische.

      Mr. Wells tut nämlich sehr unrecht, wenn er meine irrtümliche Vermutung, er sei ein Dichter, als grobe Beleidigung empfindet. Zu einer Beleidigung gehört doch die Absicht, und diese war ganz offensichtlich nicht vorhanden. Zudem gilt das hierzulande gar nicht als Ehrenkränkung.

      Nun, die Philosophie des Pragmatism, die der Amerikaner William James begründet hat, ist der Ansicht: unser gesamtes Weltbild ist eine Konvention, die sich durchgesetzt hat, weil sie nützlich ist, eine ›praktische Fiktion‹; und der große französische Mathematiker Henri Poincaré sagt in seinem Buch La valeur de la science, auch das System der Mathematik sei nur eine Konvention, es sei weder wahr noch falsch, es sei bequem; wir haben die euklidische Geometrie akzeptiert, nicht weil sie richtiger, sondern weil sie für uns wichtiger ist als die nichteuklidische. Wenn also sogar Linien, Flächen und Würfel Fiktionen sind, so brauchte Mr. Wells sich in seiner wissenschaftlichen Ehre nicht gar so gekränkt zu fühlen, weil ich auch ihm einige zutraute. Wenn Mr. Wells behauptet, ich hätte ihn, als ich ihm Phantasie zuschrieb, mit seiner Köchin verwechselt, so irrt er sich: seine Köchin hat eben die Phantasie einer Köchin, und er hat die Phantasie eines Wells – oder hätte sie, wenn er den Bericht erfunden hätte. Hingegen könnte man seine Sekretärin sehr leicht für eine Köchin halten, da sie gegen einen Briefschreiber, dessen ganze Schuld ein übergroßes Interesse an den Schriften des Mr. Wells ist, einen solchen Ton anschlägt. Ich möchte nicht gerne wissen, was für Ausdrücke sie gebraucht, wenn sie sich nicht so gelinde ausdrückt, wie sie fortwährend versichert.

      Dies führt mich zu dem Zweck meines Schreibens. Der Brief der Miss Hamilton erscheint mir nämlich in mehrfacher Hinsicht verdächtig. Wenn ich einen Brief erhielte, über den ich so dächte wie Mr. Wells über meinen, würde ich entweder gar nicht antworten oder mit ein paar kühlen Zeilen. Dieser Brief ist aber ziemlich lang – wesentlich länger als der meine —, woraus ich schließe, daß Mr. Wells aus irgendeinem Grunde ein schlechtes Gewissen hat. Dies deutet er auch am Schluß selber an, indem er sagt, es sei seine Pflicht gegen den Gelehrtenruf des Zeitreisenden, jede Auskunft zu verweigern. Auf dieselbe Vermutung führt auch die auffallend gereizte Tonart des Briefes, die durch den meinigen nicht im geringsten motiviert ist. Die Geschichte hat zweifellos einen Haken, hinter den ich gerne kommen möchte.

      Also der Zeitreisende existiert. denn er ist postbekannt. Und existiert doch auch wieder nicht: denn man weiß nicht, wo er ist und ob er überhaupt ist. Denn »gone on a journey« kann bei diesem Reisenden sehr leicht auch Reise in die Ewigkeit bedeuten oder, was dasselbe ist, eine Reise in Welten, die durch unüberbrückbare Zeiträume von uns getrennt sind. Daß er sich aber noch immer auf der Reise befindet und inzwischen nicht ein einzigesmal wieder gelandet ist, glaube ich nicht, und zwar aus folgendem Grunde. In diesem Falle hätte nämlich Mr. Wells bloß zu sagen brauchen: es hat sich nichts Neues ereignet, der Zeitreisende ist nach wie vor verschollen. Ein Anlaß, die Auskunft zu verweigern, läge nicht vor. Andererseits gebe ich Ihnen folgendes Problem zu bedenken, über das ich oft nachgegrübelt habe: wie ist


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