Homchen. Kurd LaßwitzЧитать онлайн книгу.
»Es ist recht gemütlich bei dir«, sagte der Taguan zum Igel. »Schade, daß man sich nicht ein bißchen am Schwanze aufhängen kann. Aber dafür hast du nicht das Bedürfnis?«
»Nein, ich rolle mich lieber«, antwortete der Igel. »Es ist mir sicherer.«
»Bei deinem Schwänzchen allerdings. Aber ob es das richtige Prinzip ist? Obgleich ich zugeben muß, daß unser tapferer Kala trotz seines Kurzschwanzes den Hohlschwanz besiegt hat.«
»Vielleicht gerade darum«, sagte der Igel.
»Warum hast du denn den Wald verlassen«, fragte Homchen.
»Ich ging schon immer mit dem Gedanken um«, sprach der Igel. »Daß sie dich gebannt haben, hat die Entscheidung gegeben. Wir müssen gegen die Echsen ankämpfen. Du hast das Richtige gezeigt. Aber drinnen im Walde verstehn sie es nicht. Hinaus müssen wir! Ich kann nun freilich mit den Echsen nicht anbinden. Ich bin ein unglückliches, ein verfehltes Tier. Aber in den Wald tauge ich auch nicht. Ich kann nicht mehr ordentlich klettern. Nicht weil ich zu alt wäre. Ich bin noch in meinen besten Jahren. Aber es liegt in uns Igeln — wir haben unsern Beruf verfehlt, wir haben uns zu sehr auf die Defensive beschränkt. Meine Kinder können schon schlechter klettern als ich, meine Enkel noch weniger. Unsre Nachkommen werden es ganz verlernen. Sie werden gar nicht mehr auf die Bäume können. Es ist schade! Wir sind in eine Sackgasse geraten und werden es nicht weiter bringen als bis zum Igel. Sehr schade — denn sonst — wir haben Anlagen. Es könnte etwas daraus werden, wenn sie auf dem richtigen Wege entwickelt würden.«
»Und wie denkst du dir denn diesen Weg?« fragte Homchen bescheiden.
»Ich meine nämlich auch«, setzte es hinzu, »daß es mit den Säugern einmal viel besser stehn wird, aber ich weiß nicht, was wir dazu tun können.«
»Das ist nicht leicht zu sagen, mein tapferer Kala«, sagte der Igel. »Ihr müßt freilich erst auf dem Wege der Igel noch ein Stück fortschreiten, dann aber unsre Fehler vermeiden. Du wirst zugeben, daß die Igel die klügsten Tiere sind.«
Homchen nickte mit dem Kopfe, der Taguan sagte aus Höflichkeit nichts.
»Das Denken«, fuhr der Igel fort und blinzelte mit seinen Äuglein, »das Denken ist die Hauptsache, das Denkorgan entwickeln. Aber wie? Wie soll man das machen? Das möchtest du wissen? Nun — unter uns gesagt — es hört uns doch niemand? Nun, Homchen, du bist ja jetzt auch erwachsen. Nämlich — wie soll ich sagen — ihr Beuteltiere müßt über euch hinauswachsen, ihr müßt etwas Höheres werden — mit einem Worte: Ihr müßt den Über-Beutler züchten!«
»Den Über-Beutler?«
»Ja, den Über-Beutler.« Der Igel blickte mit erhobenem Schnäuzchen stolz um sich. »Das ist es! Warum fürchtet ihr euch denn vor den Echsen? Warum traut ihr euch nicht ins Tageslicht? Warum bleibt ihr Sklaven der Nacht, Leibeigene der Überlieferung? Warum werdet ihr keine Herrenseelen? Weil ihr den Beutel habt! Weil ihr grün zur Welt kommt wie junge Eicheln, und von der Mama herumgetragen werdet, statt frei umherzulaufen und die liebe Sonne zu sehen. Fort mit dem Beutel! sag‘ ich. Wenn ihr geboren würdet wie unsre Kleinen mit einem ordentlichen Fellchen und ordentlichen Gliedmaßen, da würdet ihr einmal sehen, wie man fortschreiten kann. Da würde die Pflege euerm Gehirn zu gute kommen, da würdet ihr eure eignen Gedanken haben, da würdet ihr werden, was wir eigentlich schon sind — der Überbeutler! Und der ist der Herr der Zukunft! Und du, Homchen, du bist der Anfang dazu. Ich will dir‘s verraten: du bist mit einem Fellchen zur Welt gekommen. Du bist der Überbeutler — nenne mich Onkel!«
»Du bist sehr gütig, lieber Onkel«, bemerkte Homchen. »Was du sagst, könnte mir wohl einleuchten. Aber warum seid ihr da nicht schon unsre Herren geworden?«
»Das ist ja eben das Unglück«, antwortete der Igel wehmütig, »das ich schon andeutete. Wir sind nur Herrenseelen, aber keine Herren. Wir sind Überbeutler nur in der Anlage; wir können unsre Begabung nicht durchsetzen. Den Beutel sind wir los, die Faulheit ist geblieben. Darum vermögen wir armen Igel alles nur in der Phantasie. Und nun will ich dir meine letzte Weisheit sagen: Sei ein Überbeutler, aber hüte dich vor dem Winterschlaf!«
»Also das ist euer Abweg?«
»Ja! Träumen und Schlafen! Ach, wie das selig macht. Aber es fördert nicht weiter. Ihr Kala habt das Zeug zum Überbeutler. Geratet nicht auf die Abwege des Igels. Klettert auf den Bäumen umher, trotzt dem Tage und — trotzt dem Winter! Daß wir‘s nicht taten, war unser Unglück. Ihr wißt, es ist jetzt viel schlimmer, als es früher war, und es wird noch immer schlimmer werden. Wenn die Sonne nicht mehr so hoch hinaufsteigt, wird es nun alle Jahre kälter. Die Bäume werfen ihr Laub ab und am Morgen könnt ihr weiße Streifen an den Zweigen sehen. So erzählt man mir. Da haben wir Igel gefroren und uns eingegraben und geschlafen. Und so sind wir in die Sackgasse geraten. Ihr aber müßt dem Winter trotzen, denn den können die Echsen nicht vertragen. Und dadurch könnt ihr ihnen überlegen werden. Das ist so meine Idee!«
Homchen staunte den weisen Igel ehrfürchtig an. Wie das weiter werden sollte, verstand es zwar nicht, aber es offenbarte sich ihm doch eine Aussicht. Sprach die rote Schlange vielleicht heute aus dem Igel?
Da räusperte sich der Taguan.
»Mein weiser Igel«, sagte er, »im Ziele hast du ganz recht. Es ist zwar ein Geheimnis, aber wer‘s versteht, der kann‘s vernehmen im Windeswehn und Blätterrauschen: Die Echsen müssen fort. Eine neue Welt wird kommen, in der kein Platz ist für dies rohe Riesengeschlecht der Drachen, eine schönere Welt, in der es nicht knarrt und klappert von Knochenschilden und Schuppen, eine Welt, in der es singt und jubelt und weich sich anschmiegt und farbig glänzt wie die zarten Wolken im Morgenrot.«
»Wie schön du das schildern kannst, o Taguan!« sagte Homchen bewundernd.
»Ja«, nickte der Taguan, »das können wir. Und das kommt daher, weil wir fliegen. Der Igel hat recht, es gibt eine Entwicklung nach oben — verstehe, nach oben! Er hat aber nicht recht in dem Wege, wie er sich diesen Fortschritt denkt. Er spricht von dem Überbeutler. Nun gut, wenn ihr das werdet, so müßt ihr doch immer noch eure Jungen säugen. Und wenn ihr ein warmes Pelzchen gegen die Kälte habt, so müßt ihr doch immer kämpfen mit der Not des Winters und mit den Feinden der Säuger. Ich will euch ein größeres Wort sagen als ›Überbeutler‹! Ubersäuger müßt ihr werden. Nicht unter den Baumkronen zu hüpfen müßt ihr euch begnügen, über die Wipfel müßt ihr euch erheben im Fluge. Schwingen müssen euch wachsen, Flieger müßt ihr werden.«
»Phantast!« brummte der Igel.
»Erlaube«, entgegnete der Taguan. »Ich bin in der Welt weit herumgekommen. Was ich meine, ist nicht ein rohes Echsenvieh, wie der Hohlschwanz, auch nicht ein Flattertier, wie unsereins, auch nicht so ein elendes summendes Kerbtier wie Brimm, der Käfer. Es ist etwas Höheres. Weit im Süden hab‘ ich Tiere gesehen mit langen Hälsen und Schnäbeln an den Köpfen, doch nicht wie der Iguanodon und die Zierschnäbel trugen sie den langen Echsenschwanz, sondern ein weicher, bunter Schweif wehte ihnen nach. Und sie hatten nicht Flughäute, wie wir sie kennen, sondern die ganzen Arme waren besetzt mit weichen Borsten, die nannten sie Federn. Und damit flogen sie hoch in die Luft, und kein Hohlschwanz konnte sie einholen. Und mit dem Schnabel konnten sie nicht bloß quietschen, sie konnten ordentlich zwitschern, etwa so: Piep, piep, trillirinirillipiep!«
Der Taguan brachte eine Reihe furchtbarer Quietschtöne hervor, so daß Homchen und der Igel vergnügt lachen mußten.
»Nicht wahr, das gefällt euch?« sagte der Taguan stolz. »Und dabei kann ich‘s noch nicht einmal ordentlich nachmachen. Ja, mein Ideal sind die Vögel, die singenden Flieger.«
»Ich mag das ja nicht recht verstehen«, begann Homchen bescheiden, »aber ich begreife überhaupt nicht, wie wir so etwas machen sollen, daß uns Flügel wachsen. Wir können uns wohl üben in Kampf und Denken, daß wir stärker und klüger werden als die Echsen, aber unsern Leib können wir doch nicht —«
»Liebes Homchen«, sagte der Taguan, »wir können‘s freilich nicht. Aber so ist‘s auch nicht gemeint, daß wir etwa nächstes Jahr mit den Echsen aufräumen. Viele, viele Geschlechter