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Neues Altes. Peter AltenbergЧитать онлайн книгу.

Neues Altes - Peter Altenberg


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Wie sie selbst!

      Seinerzeit war der getreueste Freund des Menschen favorisiert, der aufopferungsfähige weiße oder schwarze Pudel.

      Heute aber liebt man den infam perfid treulosen Dackel, den grotesken Clown Foxterrier, und den stupiden herzlosen und gleichgültigen Russischen Windhund.

      Heute geht man auf Farbe und Form. Aber das melancholisch-treuherzige Auge ist euch gleichgültig geworden! Es wird sich natürlich an euch rächen! Auch die »Ästhetik« kann nur aus den mysteriösen Tiefen des Herzens kommen; sonst ist es eine Blüte, die an ihrer eigenen schamlosen Kälte verkommt, verdorrt! Nur das Herz hat ewig belebende tropische Wärme. Schönheit allein mordet!

      H. N

      In deinen Augen lese ich dein Leben – mehr brauch ich nicht zu wissen, es ist alles. Und deine Stimme ersetzt mir die Musik der Welt! Deine Hände zu schauen, macht dankbar gegen das Schicksal – und sie berühren, macht mich tief erschauern! Wie eine geknickte Blume prangst du in der Welt, die trotzig starrt von harten Pflanzen! Nur du erzeugst mir Sehnsucht, Gottes edle Qual! Die anderen genießt man, wenn sie da sind, und die Entfernung legt sie zu den Toten! Von dir aus strömt des Dichters Leid und Not, an diesem Stoffe brennen seine Flammen! Wenn du von Lieblingsliedern sprichst, hör ich sie tönen; Wenn du von Lieblingsbüchern sprichst, so hab ich sie gelesen! Wenn du von schönen Frauen sprichst, so seh ich sie, wenn du von Männern sprichst, so sterb ich vor Verzweiflung!

      Und die Welt erdunkelt mir – . Der Bann, der Bann, Bannsegen ohne Fluch! So bannst du mich! Du bist verstört, von tausend geheimnisvollen Kräften hin und her getrieben, die aber mir zu Tau und Sonne werden, indem ich sie gerührt betrachte und begreife, wie eine Mutter ihres geliebten Kindes Rätsel – . Entfern dich nicht! Denn wenn du mich verläßt, erlischt für Dich dein eigener Zauber – und eine Welt ersteht, die dich brutal genießen will!

      HELGA

      Helga, mein Leitstern, bist du mir erloschen?!?

      Leuchtest du mir nicht mehr in meinen Dunkelheiten?! Willst du meinen Verdüsterungen nicht mehr Klärung bringen?! Die Nebel zerstreuen, die sich über meiner Seele lagern, wie die Sonnenkraft auf Bergesgipfeln beim Nebelreißen?!? Wie ein Kindchen strecke ich die Arme nach dir aus. Hilf mir! Du gabst mir Kraft, du gabst mir Frieden! Sei ewig bedankt – ! Nun kommen die Liebelosen und rauben mir alles! Düstere Nebel umwölken mein ehemals klares Gehirn – . Sei wieder die Sonne, die Klarheit bringt und Licht und Wärme! Hilf mir, Helga – ! Alle andern Frauen nehmen und plündern, die Seele, den Leib, die Kraft des Gehirnes – ! Du allein spendest und spendest und spendest! Kaum bist du fort, umdüstert sich alles – . Die bösen Geister nehmen mich in Besitz – Guter Geist, Helga, ich entbehre dich, wie ein krankes Kind seine Baba – . Gütige Kinderfrau, Helga, ich gebe dir diesen Ehrentitel, Statt dieses schnöden, inhaltslosen Titels: Geliebte!

      DAS TELEPHON

      »Hier Peter Altenberg – .«

      – »Oh, Peter, guten Abend. Denken Sie, ich kann heute abend nicht an Ihren lieben Stammtisch im ›Löwenbräu‹ kommen. Ich habe mir erst vor einer Stunde die Haare gewaschen und sie brauchen mindestens drei Stunden, um zu trocknen.«

      »Schluß«, rief er und läutete rasend ab. —

      Das war eine Art von Genugtuung. – Aber sehr bald darauf überkam ihn eine trübe Stimmung und er dachte: »Was, oh Fraue, was wirst du mir also noch alles antun, nachdem du dir nicht einmal rechtzeitig die Haare waschen konntest – .«

      DIE LÜGE

      Eine der schrecklichsten Verlogenheiten des kleinen Lebens ist es, daß so viele in liebenswürdig-korrekter Art fragen: »Ist es gestattet, an Ihrem Tische Platz zu nehmen? Stört man nicht!?«

      Welche verlogene Gemeinheit, eine solche perfid-jesuitische Frage zu stellen, nachdem man es doch sicher weiß, daß niemand daraufhin den Mut hat, zu antworten: »Nein

      Möge doch jeder in seiner Vereinsamung bleiben, bis man ihn »liebevoll« ruft! Wie viele Feindselige drängen sich scheinbar freundschaftlichst heran, weil man mit einer Dame sitzt, auf die sie »fliegen!« Eine horrende feige Gemeinheit. Schändliche Wölfe im Schafspelze. Wenn sie ihre Beute »gerissen« haben, verschwinden sie! Niemand weiß, edle Distanz zu halten, weder im Gespräch, noch in Handlungen. Eine falsche, feige Gutmütigkeit beherrscht alles, vom liebenswürdigen, scheinbar erfreuten Lächeln der Begrüßung an, bis in die ernsteren Komplikationen hinein, wo die Maske fällt! »Wie geht es Ihnen?!« Jeder denkt dabei: Hoffentlich schlecht! Das Herz traut sich nirgends hervor; es keucht, erstickt unter Lügebergen! Niemand kann »er selbst sein«, schaut sich daher ängstlich um, nach dem Sukkurs der andern!

      Heldentum: »Ist es erlaubt, an Ihrem Tische Platz zu nehmen?!«

      »Nein!«

      Dann geht der feige, geprügelte Hund aber hin und rächt sich!

      PLAUDEREI

      Früher hat es naturgemäß Religionsstifter gegeben für die Seelen. Der Körper war urkräftig, und die Seelen waren schwächlich. Da bedurfte es der Ärzte für die Seelen. Nun aber ist es umgekehrt: die Seelen sind erstarkt, und die Körper sind schwächlich geworden. Da bedarf es der Religionsstifter für die Körper!

      Keuschheit zum Beispiel war früher eine »psychologische« Forderung, heute wird es zu einer »physiologischen«! Einfachheit der Lebensweise war früher eine »psychologische Forderung«, heute ist es eine »physiologische« geworden!

      Früher beschenkte man Arme aus »psychologischen« Gründen. Heute könnte man fast bereits sagen: »Ich gab einem Armen 50 Heller, denn ich fühlte es, daß mir mein Nachtmahl dann besser munden würde und ich es leichter verdauen könnte – .«

      »Seelische Angelegenheiten« beginnen zugleich »physiologisch« aufgefaßt zu werden, also eine organische Verbindung von Selbstlosigkeit und Ichismus. Je mehr ich meinen Körper entwickle und schone, desto mehr kann ich seelisch für andere leisten! Ich bin von mir befreit! Für andere! Liebenswürdigkeit, Menschenfreundlichkeit ist Sache des Verdauungsapparats.

      Mörder müssen Blähungen haben. Man kann nämlich auch unscheinbar morden; es muß nicht immer Messer und Kugel sein. Auch Worte können morden und jegliche Ungezogenheit! Frauen müßten daher besonders vorsichtig sein in bezug auf ihren gesamten Verdauungsapparat. Sie können leicht »seelisch morden«, wenn sie unverdauliches Zeug essen, das sie belästigt und beschwert. Ich will von einer der wichtigsten Sphären im »physiologischen Organismus« gar nichts auch nur andeuten, in der man entweder zum »Übermenschen« oder zum »Mandrill« wird! Aber der kommende Religionsstifter wird die Verbrechen, die »Höllen«, ausschließlich in der »physiologischen« Sphäre erkennen, wenn auch der »Alkoholgenuß« nur selbstverständlich den Prügelknaben vorstellt, der blöderweise für alle anderen Sünden herhalten soll! »Falscher Ehrgeiz« zum Beispiel ist ein »physiologischer« Mörder in uns, ein Krebs der Seele, eigentlich aber des Leibes! Die Würmer werden mich fressen, früher aber muß ich noch Baron werden! Sie sollen einen Baron also annagen! Man verlästert immer die Dekadenz. Aber wann werden die Menschen endlich nicht mehr essen, als sie benötigen, nicht mehr trinken, als sie benötigen?!? Bis sie es nicht mehr vertragen vor Schwäche! Dadurch aber werden sie dann allmählich wieder ganz stark werden!

      Das ist der Werdegang! Zuerst völlern, auf seine überschüssigen Kräfte hin! Dann sparsam leben, wegen seiner unterschüssigen Lebenskräfte. Und dann infolgedessen gesunden, reich werden und es bleiben! Dekadenz ist der organische Übergang zur Aszendenz! Zuerst vergeuden die Menschen ihre Kräfte, weil sie zu viel davon haben. Dann sparen sie damit, weil sie zu wenig haben. Und schließlich haben sie wieder angesammelt und sparen wegen schlimmer Erfahrungen! Es gibt keinen anderen Weg!

      Es wäre denn, daß ein »physiologischer« Religionsstifter die persönliche Macht ausübte, daß


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