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Traum und Telepathie: Vortrag in der Wiener psychoanalytischen Vereinigung. Sigmund FreudЧитать онлайн книгу.

Traum und Telepathie: Vortrag in der Wiener psychoanalytischen Vereinigung - Sigmund Freud


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nun weiter: In der nächsten Nacht träume ich, meine verstorbene Frau, die Mutter meiner Tochter, habe achtundvierzig neugeborene Kinder in Pflege genommen. Als das erste Dutzend eingeliefert wird, protestiere ich. Damit endet der Traum.

      Meine verstorbene Frau war sehr kinderlieb. Oft sprach sie davon, daß sie eine ganze Schar um sich haben möchte, je mehr desto lieber, daß sie sich als Kindergärtnerin ganz besonders eignen und wohlfühlen würde. Kinderlärm und Geschrei war ihr Musik. Gelegentlich lud sie auch einmal eine ganze Schar Kinder aus der Straße und traktierte sie auf dem Hof unserer Villa mit Schokolade und Kuchen. Meine Tochter hat nach der Entbindung und besonders nach der Überraschung durch das vorzeitige Eintreten, durch die Zwillinge und die Verschiedenheit des Geschlechts gewiß gleich an ihre Mutter gedacht, von der sie wußte, daß sie das Ereignis mit lebhafter Freude und Anteilnahme aufnehmen werde. »Was würde erst Mutti sagen, wenn sie jetzt an meinem Wochenbett stände?« Dieser Gedanke ist ihr zweifellos durch den Kopf gegangen. Und ich träume nun diesen Traum von meiner verstorbenen ersten Frau, von der ich sehr selten träume, nach dem ersten Traum aber auch nicht gesprochen und mit keinem Gedanken an sie gedacht habe.

      Halten Sie das Zusammentreffen von Traum und Ereignis in beiden Fällen für Zufall? Meine Tochter, die sehr an mir hängt, hat in ihrer schweren Stunde sicher besonders an mich gedacht, wohl auch, weil ich oft mit ihr über Verhalten in der Schwangerschaft korrespondiert und ihr immer wieder Ratschläge gegeben habe.«

      Es ist leicht zu erraten, was ich auf diesen Brief antwortete. Es tat mir leid, daß auch bei meinem Korrespondenten das analytische Interesse vom telepathischen so völlig erschlagen worden war; ich lenkte also von seiner direkten Frage ab, bemerkte, daß der Traum auch sonst noch allerlei enthielt, außer seiner Beziehung zur Zwillingsgeburt, und bat, mir jene Auskünfte und Einfälle mitzuteilen, die mir eine Deutung des Traumes ermöglichen könnten.

      Daraufhin erhielt ich den nachstehenden zweiten Brief, der meine Wünsche freilich nicht ganz befriedigte:

      »Erst heute komme ich dazu, Ihren freundlichen Brief vom 24. d. M. zu beantworten. Ich will Ihnen gern »lückenlos und rückhaltlos« alle Assoziationen, auf die ich komme, mitteilen. Leider ist es nicht viel geworden, bei einer mündlichen Aussprache käme mehr heraus.

      Also! Meine Frau und ich wünschen uns keine Kinder mehr. Wir verkehren auch so gut wie gar nicht geschlechtlich miteinander, wenigstens lag zur Zeit des Traumes keinerlei »Gefahr« vor. Die Niederkunft meiner Tochter, die Mitte Dezember erwartet wurde, war natürlich öfter Gegenstand unserer Unterhaltung. Meine Tochter war im Sommer untersucht und geröntgt worden, dabei stellte der Untersuchende fest, daß es ein Junge werde. Meine Frau äußerte gelegentlich: »Ich würde lachen, wenn es nun doch ein Mädchen würde.« Sie meinte auch gelegentlich, es wäre besser, wenn es ein H. als ein G. (Name meines Schwiegersohnes) würde, meine Tochter ist hübscher und stattlicher in der Figur als mein Schwiegersohn, obgleich er Marineoffizier war. Ich beschäftigte mich mit Vererbungsfragen und habe die Gewohnheit, mir kleine Kinder darauf anzusehen, wem sie gleichen. Noch eins! Wir haben ein kleines Hündchen, das abends mit am Tisch sitzt, sein Futter bekommt und Teller und Schüsseln ausleckt. All dieses Material kehrt im Traum wieder.

      Ich habe kleine Kinder gern und schon oft gesagt, ich möchte noch einmal so ein Wesen aufziehen, jetzt wo man es mit sehr viel mehr Verständnis, Interesse und Ruhe vermag, aber mit meiner Frau, die nicht die Fähigkeiten zur vernünftigen Erziehung eines Kindes besitzt, möchte ich keins zusammen haben. Nun beschert mir der Traum zwei – das Geschlecht habe ich nicht festgestellt. Ich sehe sie noch heute im Bett liegen und erkenne scharf die Züge, das eine mehr »Ich«, das andere mehr meine Frau, jedes aber kleine Züge vom andern Teil. Meine Frau hat rotblondes Haar, eines der Kinder aber kastanien(rotes) braunes. Ich sage: »Na, das wird später auch noch rot werden.« Die beiden Kinder kriechen in einer großen Waschschüssel, in der meine Frau Marmelade gerührt hat, herum und lecken den Boden und die Ränder ab (Traum). Die Herkunft dieses Details ist leicht erklärlich, wie der Traum überhaupt nicht schwer verständlich und deutbar ist, wenn er nicht mit dem wider Erwarten frühen Eintreten der Geburt meiner Enkel (drei Wochen zu früh) zeitlich fast auf die Stunde (genau kann ich nicht sagen, wann der Traum begann, um neun und viertel zehn wurden meine Enkel geboren, um elf etwa ging ich zu Bett und nachts träumte ich) zusammengetroffen wäre und wir nicht schon vorher gewußt hätten, daß es ein Junge werden würde. Freilich kann wohl der Zweifel, ob die Feststellung richtig gewesen sei – Junge oder Mädchen – im Traume Zwillinge auftreten lassen, es bleibt aber immer noch das zeitliche Zusammentreffen des Traumes von den Zwillingen mit dem unerwarteten und drei Wochen zu frühen Eintreffen von Zwillingen bei meiner Tochter.

      Es ist nicht das erste Mal, daß Ereignisse in der Ferne sich mir bewußt machen, ehe ich die Nachricht erhalte. Eines unter zahlreichen! Im Oktober besuchten mich meine drei Brüder. Wir haben uns seit dreißig Jahren nicht wieder zusammen (der eine den andern natürlich öfter) gesehen, nur einmal ganz kurz beim Begräbnis meines Vaters und dem meiner Mutter. Beider Tod war zu erwarten, in keinem Falle habe ich »vorgefühlt«. Aber als vor zirka fünfundzwanzig Jahren mein jüngster Bruder im zehnten Lebensjahr plötzlich und unerwartet starb, kam mir, als mir der Briefbote die Postkarte mit der Nachricht von seinem Tode übergab, ohne daß ich einen Blick darauf geworfen hatte, sofort der Gedanke: Da steht darauf, daß dein Bruder gestorben ist. Er war doch allein im Elternhaus, ein kräftiger gesunder Bub, während wir vier älteren Brüder alle vom Elternhaus schon flügge geworden und abwesend waren. Zufällig kam das Gespräch beim Besuch meiner Brüder jetzt auf dieses mein Erlebnis damals, und alle drei Brüder kamen nun wie auf Kommando mit der Erklärung heraus, daß ihnen damals genau dasselbe passiert sei wie mir. Ob auf dieselbe Weise, kann ich nicht mehr sagen, jedenfalls erklärte jeder, den Tod vorher als Gewißheit im Gefühl gehabt zu haben, ehe die bald darauf eintreffende und gar nicht zu erwartende Nachricht ihn angezeigt hatte. Wir sind alle vier von Mutters Seite her sensible Naturen, große kräftige Menschen dabei, aber keiner etwa spiritistisch oder okkultistisch angehaucht, im Gegenteil, wir lehnen beides entschieden ab. Meine Brüder sind alle drei Akademiker, zwei Gymnasiallehrer, einer Oberlandmesser, eher Pedanten als Phantasten. – Das ist alles, was ich Ihnen zum Traum zu sagen weiß. Wenn Sie ihn etwa literarisch verwerten wollen, stelle ich ihn gern zur Verfügung.«

      Ich muß befürchten, daß Sie sich ähnlich verhalten werden wie der Schreiber der beiden Briefe. Auch Sie werden sich vor allem dafür interessieren, ob man diesen Traum wirklich als eine telepathische Anzeige der unerwarteten Zwillingsgeburt auffassen darf, und gar nicht dazu geneigt sein, ihn wie einen anderen der Analyse zu unterziehen. Ich sehe voraus, daß es immer so sein wird, wenn Psychoanalyse und Okkultismus zusammenstoßen. Die erstere hat sozusagen alle seelischen Instinkte gegen sich, dem letzteren kommen starke, dunkle Sympathien entgegen. Ich werde aber nicht den Standpunkt einnehmen, ich sei nichts als ein Psychoanalytiker, die Fragen des Okkultismus gehen mich nichts an; das würden Sie doch nur als Problemflüchtigkeit beurteilen. Sondern, ich behaupte, daß es mir ein großes Vergnügen wäre, wenn ich mich und andere durch untadelige Beobachtungen von der Existenz telepathischer Vorgänge überzeugen könnte, daß aber die Mitteilungen zu diesem Traum viel zu unzulänglich sind, um eine solche Entscheidung zu rechtfertigen. Sehen Sie, dieser intelligente und an den Problemen seines Traumes interessierte Mann denkt nicht einmal daran, uns anzugeben, wann er die ein Kind erwartende Tochter zuletzt gesehen oder welche Nachrichten er kürzlich von ihr erhalten; er schreibt im ersten Brief, daß die Geburt um einen Monat verfrüht kam, im zweiten sind es aber nur drei Wochen und in keinem erhalten wir Auskunft darüber, ob die Geburt wirklich vorzeitig erfolgte, oder ob sich die Beteiligten, wie es so häufig vorkommt, verrechnet hatten. Von diesen und anderen Details der Begebenheit würden wir aber abhängen, wenn wir die Wahrscheinlichkeit eines dem Träumer unbewußten Abschätzens und Erratens zu erwägen hätten. Ich sagte mir auch, es würde nichts nützen, wenn ich auf einige solcher Anfragen Antwort bekäme. Im Laufe des angestrebten Beweisverfahrens würden doch immer neue Zweifel auftauchen, die nur beseitigt werden könnten, wenn man den Mann vor sich hätte und alle die dazugehörigen Erinnerungen bei ihm auffrischen würde, die er vielleicht als unwesentlich beiseite geschoben hat. Er hat gewiß Recht, wenn er zu Anfang seines zweiten Briefes sagt, bei einer mündlichen Aussprache wäre mehr herausgekommen.

      Конец


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