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Der Erbe. Dritter Band.. Gerstäcker FriedrichЧитать онлайн книгу.

Der Erbe. Dritter Band. - Gerstäcker Friedrich


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allein gelassen habe. Was wußte der derbe Schlossermeister aber auch von Ohnmachten und deren Folgen? Die waren in seiner Familie nie heimisch gewesen und er kannte sie kaum dem Namen nach.

      Als er aber wieder nach Hause kam und Niemand dort etwas von ihr wußte, als selbst Karl endlich heimkehrte, ohne auch nur eine Spur von ihr gefunden zu haben, überlief es ihn ordentlich siedend heiß, und er wollte eben wieder fort, und jetzt zwar direct auf die Polizei, um dort die Anzeige zu machen und um Hülfe zu bitten, als seine Kathrine plötzlich in die Thür der Werkstätte trat und erstaunt die Verwirrung betrachtete, die in dem Raum herrschte.

      »Kathrine, um Gottes willen, wo bist Du gewesen, Frau?« rief ihr der alte Meister in Jubel und Angst zugleich entgegen. »Wie haben wir uns um Dich gesorgt und in der ganzen Stadt nach Dir gesucht!«

      »Nach mir?«

      »Nun versteht sich; Du warst ja auf einmal wie von der Erde verschwunden und kein Mensch wollte Dich gesehen haben. Wo warst Du denn?«

      »Meine Elise, mein kleines, liebes Herz!« rief die Mutter, als das Kind, welches ihre Stimme gehört hatte, jauchzend aus dem Zimmer heraus und auf sie zu flog. Sie kauerte sich neben ihm am Boden nieder und küßte ihm wieder und wieder das lockige Haupt. »Wo ich war, Vater?«

      »Ja, Mutter, Du hast uns große Sorge gemacht. Als ich mit dem Arzt kam, warst Du fort.«

      »Mit dem Arzt?«

      »Nun natürlich – Du lagst ja wie todt, und ich wußte mir nicht zu helfen.«

      »Guter Gottfried,« sagte die Frau weich, »so viel Angst hast Du meinetwegen ausgestanden, und ich…«

      »Aber wo bist Du nur gewesen, daß Dir Niemand von uns begegnet ist?«

      »Komm' mit hinein in die Stube, Gottfried, Du sollst Alles wissen, ich habe Dir viel, sehr viel zu sagen; aber Niemand weiter darf es hören, als Du…«

      »Ich begreife Dich gar nicht,« sagte der Mann kopfschüttelnd, »seit ein paar Tagen bist Du ganz wie verwandelt.« – Die Frau antwortete ihm nicht darauf.

      »Weshalb ist die Else nicht in der Schule?«

      »Aber wir haben ja heute Mittwoch, Mama,« lachte das Kind, das sich rasch wieder beruhigt hatte; »weißt Du denn das nicht?«

      »Ja so, Du hast recht; nun gut, Else, dann geh' einen Augenblick in das Gärtchen, Kind, und sieh zu, ob Du für Mutter noch ein Veilchen finden kannst. Du darfst auch in dem Sande spielen, den der Mann gestern gebracht hat, und baue Dir wieder solch' einen kleinen Hof darin, wie gestern Abend.«

      »Ei, das ist prächtig!« rief die Kleine jubelnd aus und sprang hinaus, um von der willkommenen Erlaubniß Gebrauch zu machen.

      Baumann aber betrachtete indessen kopfschüttelnd seine Frau, denn so ernst und feierlich war sie ihm noch nie in seinem Leben vorgekommen. Es mußte etwas ganz Ungewöhnliches sein, daß sie so ergriffen hatte.

      Aber die Frau ließ ihn auch nicht lange mehr auf die Erklärung ihres sonderbaren Wesens warten. Sie folgte dem Kinde mit den Augen, so lange sie es sehen konnte; kaum aber war es durch die in den Hof führende Thür verschwunden, als sie den Mann an der Hand ergriff und mit sich in das kleine Zimmer neben der Werkstatt führte.

      Dort schüttete sie ihm ihr ganzes Herz aus; dort sagte sie ihm Alles, Alles, was sie dem Staatsanwalt gebeichtet, nur noch ausführlicher, noch klarer, noch mehr auf ihre eigenen Gefühle eingehend, aber nichts verschweigend oder mildernd, voll so, wie sie das Gewicht ihres Vergehens die langen Jahre niedergedrückt. Dort hing sie schluchzend an seinem Halse, dort lag sie vor ihm auf den Knieen und preßte ihr Haupt an seine Brust.

      Und Baumann saß vor ihr, bleich und starr, als ob er aus Stein gehauen wäre, beide Hände fest geballt auf die Lehne des Stuhles, und nur das Zucken in seinem Antlitz, die kalten Schweißtropfen auf seiner Stirn zeugten davon, daß er lebe. Er erwiederte ihr auch kein Wort, keine Liebkosung; er richtete keine Frage an sie, beantwortete keine. Wie in einem Starrkrampf hielt ihn das Furchtbare, das er eben vernommen, gefangen, und als die Frau endlich still weinend aus dem Zimmer schlich, folgte er ihr nicht einmal mit dem Blick, sondern hielt das Auge fest und unbeweglich, wie er die ganze Zeit gesessen, auf die Stubenecke geheftet.

      So fand ihn Witte, als er fast zwei Stunden später das Haus betrat, nach dem Meister fragte und in die Stube gewiesen wurde; und er allein konnte sich denken, was vorgegangen war, was den sonst so starken, energischen Mann so vollständig gebrochen, so vernichtet haben mochte.

      »Baumann,« sagte deshalb der Staatsanwalt freundlich, indem er die Thür wieder hinter sich zudrückte, dann auf ihn zuging und ihm die Hand auf die Schulter legte, »Ihre Frau war heute bei mir und hat mir Alles gestanden; ich begreife, daß Sie die Nachricht erschüttern mußte – es ist schlimm, aber doch nicht so schlimm, um gleich zu verzweifeln. Es kann noch Alles gut werden – die Sache ist in redlichen Händen; was ich für Sie thun kann, soll geschehen. Sie dürfen sich darauf verlassen.«

      Der Mann antwortete ihm nicht, regte sich nicht oder gab auch nur das geringste Zeichen, daß er gehört hätte, es habe Jemand mit ihm gesprochen oder sei Jemand bei ihm. Witte betrachtete ihn kopfschüttelnd. Er hatte es nicht für möglich gehalten, daß der rauhe Handwerker so furchtbar von der Entdeckung ergriffen werden konnte, und doch saß er jetzt vor ihm wie ein Bild des starren, unbeweglichen Schmerzes, regungslos, nur mit schwer athmender Brust und zuckenden Lippen.

      »Baumann,« begann Witte von Neuem mit freundlicher Stimme, »nehmen Sie sich die Sache nicht so zu Herzen. Ihre Frau hat gefehlt, ja, aber sie hat es aus freilich verkehrter Liebe zu ihrem Kind, und dann auch noch mehr überredet, als aus freiem Willen gethan. Jenes nichtsnutzige Geschöpf, die Heßberger, hat sie dazu getrieben. Und bedenken Sie, was sie die langen Jahre dafür an Angst und Reue über das Geschehene ausgestanden! Es liegt ja auch vielleicht den Gesetzen gegenüber noch nicht einmal ein Verbrechen vor, da sie es selber eingestanden, ehe ihr eigener Sohn den Nutzen der Täuschung ernten konnte. Wer weiß, ob ihr nur irgend eine Strafe auferlegt wird, wenn wir den Beweis führen können, daß sie in ihrem damaligen hülflosen Zustande wohl mehr gezwungen, als aus freiem, selbstständigem Willen, die Hand zu der Täuschung geboten hat. Wenn wir der Sache auf den Grund sehen, finden wir vielleicht noch Manches, das die That nicht so schwarz erscheinen läßt, als sie Ihnen vielleicht im ersten Augenblicke vorkam.«

      Baumann rührte sich nicht. Wie er bisher gesessen, saß er noch, und eben so starr hing sein Blick an der Stubenecke, als vorher. Der Staatsanwalt kam wirklich in Verlegenheit, denn er war nicht einmal fest überzeugt, daß der Schlossermeister nur gehört, was er zu ihm gesagt.

      »Lieber Baumann,« bat er endlich, »hören Sie mich nicht? Ich bin hieher gekommen, um Sie zu beruhigen; Sie sollen wissen, daß Sie noch einen Freund in der Stadt haben.«

      Dem alten Schlossermeister tropften die großen, schweren Thränen aus den Augen, und als Witte jetzt seine Hand faßte, fühlte er den kräftigen Druck des Mannes.

      »Was muß die Welt von mir denken,« hauchte er endlich mit vollkommen lautloser Stimme, »was muß die Welt von mir denken! Und wenn sie mich in's Zuchthaus stecken, hab' ich es nicht verdient?«

      »Aber lieber, bester Baumann,« rief der Staatsanwalt, froh, nur erst einmal ein Lebenszeichen von ihm zu hören, denn das frühere starre Schweigen hatte ihn wirklich geängstigt – »was machen Sie sich für tolle, nutzlos tolle Gedanken! Glauben Sie, daß irgend ein Mensch in der Stadt Ihnen auch nur einen Gran von Schuld beimessen wird?«

      »Und meine Frau, mit der ich die langen, langen Jahre glücklich gelebt – die ich auf den Händen getragen und geliebt und verehrt – Alles, Alles vorbei – Alles vorbei! Was hab' ich denn gethan, daß ich so hart gestraft werden mußte?«

      »Es ist noch nicht vorbei, Baumann,« suchte ihn der Staatsanwalt zu trösten, »es ist noch lange nicht vorbei, und danken Sie Gott, daß Ihre Frau sich noch in der letzten Stunde ein Herz gefaßt hat, um ihr Vergehen zu bekennen und es dadurch wieder, so weit es wenigstens in ihren Kräften stand, gut zu machen. Wer kann sagen, wie sich noch Alles zum Besten gestaltet? Ihr ganzes bisheriges Leben muß auch für sie sprechen und sie entschuldigen oder dem Richter doch wenigstens beweisen, daß er es, so weit es nämlich Ihre Frau betrifft,


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