Die Colonie: Brasilianisches Lebensbild. Zweiter Band.. Gerstäcker FriedrichЧитать онлайн книгу.
er dem Hause gegenüber war, blieb er stehen und las das Schild, besah sich dann aufmerksam den im Fenster sitzenden Eigenthümer, ging ohne Weiteres zu ihm hinüber, lehnte beide Arme auf das Fensterbret und sagte:
»Guten Morgen, Schneider, wie geht's?«
Es giebt in der Welt eine Physiognomik, die wie die Freimaurerei ihre gewissen Zeichen unter sich hat, und nach der sich verwandte Charaktere oft wie durch eine Art von Instinct zu erkennen scheinen. Im Guten wie im Bösen zeigt sich das, und wie sich ein braver, rechtlicher Mann von dem offenen und ehrlichen Auge eines oft ganz Fremden angezogen fühlt, so kann der Lump oder Verbrecher gerade das offene und ehrliche Auge nicht leiden, fühlt sich aber augenblicklich heimisch, wo er die Gewißheit findet das zu treffen, was er selber zu seinem eigenen Wohlbehagen braucht: Genossenschaft im Laster und ein schlechtes Gewissen. Zu dem Ersten müßte er aufblicken, das ist ihm unbequem – zu dem Andern sagt er Du – wenn auch nicht immer gleich wörtlich, doch immer gleich im Geiste, und die Gesellschaft ist ihm gerade recht.
»Guten Morgen, Schneider, wie geht's?« redete auch deshalb der Fremde den am Fenster sitzenden Justus an, als ob sie seit Jahren Freunde gewesen wären, und nicht erst heute oder gestern erfahren hätten, daß sie gegenseitig auf der Welt wären – »immer so fleißig?«
»Muß ja wohl,« lautete die für jetzt noch ausweichende Antwort des Arbeitenden, dem der Fremde zu rasch gekommen war, um sich gleich in ihn hinein zu finden; »wohl erst neulich angekommen?«
»Mit dem Schiff – ja. Hübsch hier in Brasilien, wie?«
»Wem's gefällt, ja,« lautete die Antwort; »aber Donnerwetter, wie ist mir denn? Das Gesicht sollt' ich doch kennen – bist Du denn nicht der Bursche, Kamerad, den die vornehme Gesellschaft da neulich beim Bier hinausfuhrwerkte? Hast wohl noch keine Zeit gehabt, Dir den Rock wieder zu flicken?«
»Hm,« brummte der Fremde, dem die Erwähnung jener Scene eben nicht besonders angenehm zu sein schien; »wenn zehn Lümmel über Einen herfallen – hübsche Gastfreundschaft hier bei Euch, das muß wahr sein; und Du hast vielleicht auch mit angefaßt?«
»Doch nicht,« sagte Justus kopfschüttelnd – hol' sie der Teufel, die Canaillen, mir sind sie eben so wenig grün, und ich hab' gerade eine solche Kreide gegen sie.«
»Oho?« lachte der Fremde, der dadurch neues Vertrauen faßte – »aber was hilft's? Viele Hunde sind des Hasen Tod, und wenn die Meute zusammenhält, wer kann dagegen?«
»Deshalb muß man warten, bis man sie einmal auseinander trifft, und nachher seine Zeit wahren – aber wo kommst Du her?«
»Vom Rhein,« sagte der mit der Tressenmütze.
»Und was hast Du für ein Geschäft oder Handwerk?«
»Keins von Beiden,« brummte der Bursche, sich bequem mit dem Kinn auf seine beiden Arme lehnend.
»Schafskopf!« sagte auf einmal eine deutliche Stimme dicht hinter dem Schneider, der sich rasch und erschreckt umsah und die Nadel fallen ließ, als er keinen Menschen hinter sich erblickte.
»Nanu?« rief er ordentlich bestürzt aus und fuhr auf seinem Stuhle herum – »da hätt' ich denn doch darauf schwören wollen, daß Jemand dicht hinter mir schimpfte. Hast Du Nichts gehört?«
»Ich?« sagte der Fremde gleichgültig – »gar Nichts. Was war's denn?«
»Na, das ist aber doch merkwürdig,« meinte der Schneider kopfschüttelnd – »ich habe ganz deutlich gehört, wie Jemand sagte…«
»Schafskopf!« ertönte die Stimme noch einmal, und der Mann fuhr von seinem Tische herunter, als ob er auf glühendem Eisen gesessen hätte. Jetzt hielt sich aber auch der Fremde vor dem Fenster nicht länger und schlug ein so gellendes Gelächter auf, daß Justus sich erstaunt und halb gereizt nach ihm umsah. Der mit der Tresse aber, noch immer lachend, während er sich mit beiden Händen an dem Fensterbret hielt, rief:
»Beruhige Dich nur, tapferer Kamerad – beruhige Dich nur; es ist nicht der Geist irgend eines verschnittenen Tuchrockes, der zu Dir gesprochen, sondern…«
»Ich war's ja selber,« rief wieder eine feine Stimme aus der entferntesten Ecke vor.
»Ja, was beim hellen Teufel!« fluchte Justus – »Halunke Du, bist Du denn ein Bauchredner?«
Der mit der Tresse lachte noch immer, daß ihm die Thränen von den schmutzigen Backen herunter liefen, und Justus, sich wieder auf seinen Tisch setzend, fuhr jetzt selber lachend fort:
»Verfluchter Kerl! Habe wahrhaftig einen ordentlichen Schreck gekriegt. Aber komm herein, Kamerad; die Alte wird das Essen gleich fertig haben, und wenn Du nicht vielleicht beim Director eingeladen bist…«
»Ein recht vergnügtes und sauberes Pärchen, das muß wahr sein,« unterbrach in diesem Augenblick eine Stimme von der Straße die Unterhaltung der Beiden, und als sie rasch den Kopf danach drehten, ging eben Jeremias mit einem Bündel junger Pfirsichbäume auf der Schulter, die er draußen aus irgend einer Chagra geholt, die Straße hinab.
»Dich kümmert's wohl, Du verbrannter Halunke!« rief ihm der Schneider zu, dem beim Anblick seines Feindes die Galle rasch wieder überlief.
»Lauf', mein Junge, lauf', sie kommen!« rief in dem Momente eine Stimme dicht hinter Jeremias, und dieser drehte rasch und verwundert den Kopf der leeren Stelle zu.
»Lauf', mein Bursche, lauf'! Sie kommen wahrhaftig!« drängte es auf's Neue, und Jeremias, der noch immer keinen Menschen sah, wurde es doch jetzt unheimlich. Er dachte gar nicht mehr an den Schneider und dessen Gesellschaft, sondern schritt schärfer aus, und als jetzt gar eine Stimme an seiner Seite laut wurde, die rief:
»Halt still, Bursche, halt still! Ich muß eins von Deinen Ohren haben!« fing er herzhaft an zu laufen, und stand, von dem jubelnden, wiehernden Gelächter der Beiden verfolgt, nicht eher still, als bis er wieder in die eigentliche Straße und zwischen mehrere Häuser kam.
Justus Kernbeutel war aber jetzt rein außer sich vor lauter Vergnügen, seinen ärgsten Feind – denn er haßte den fleißigen und sparsamen Jeremias wie Gift – so angeführt und gejagt zu sehen, und der mit der Tresse mußte, er mochte wollen oder nicht, mit zu ihm in's Haus hinein, um an der eben aufgetragenen Mahlzeit Theil zu nehmen.
Er fand allerdings nicht viel Appetitliches da vor, denn des Justus' »Haushälterin« paßte zu demselben, und sie dachte nicht daran, wegen so eines Gastes auch noch Umstände zu machen. Das Tischtuch – ein alter Baumwollenlappen – sah aus, als ob es eine Zeit lang zum Fußteppich vor der Hausthür gedient hätte, und war mit Fett übergossen, die irdene Schüssel nur inwendig ein wenig ausgewischt, und die blechernen Löffel trugen noch die Erinnerung an die letzte Mahlzeit. Der mit der Tresse war aber ebenfalls nicht verwöhnt, und es ist sogar möglich, daß er sich vor einem reinen, weißen Tischtuch unbehaglicher gefühlt hätte, als gerade hier. Jetzt fühlte er sich gleich daheim, wischte sich ohne Umstände seinen Löffel an dem nächsten Zipfel des Tischtuches – wenn auch nicht rein, doch trocken, und langte dann tapfer mit in die mitten auf dem Tisch stehende Schüssel hinein, in der eine ziemlich reichliche Mahlzeit von klein geschnittenen Kartoffeln und Fleischstücken aufgetragen stand. Während des Essens wurde nicht viel gesprochen.
»Wie heißt Du denn eigentlich?« fragte der Schneider seinen Gast.
»Bux,« sagte der Mann kauend.
»Kurz genug ist der Name,« lachte der Wirth – »und der Vorname?«
»Hab' keinen.«
»Hast keinen Vornamen? Aber Du mußt doch getauft sein?«
»Möglich; aber schon als Junge wurde ich von meinen Alten nur immer Bux genannt und dabei blieb's. Um Weiteres hab' ich mich nimmer erkundigt, interessirte mich nicht.«
»Und die Polizei daheim ließ sich das auch gefallen?«
»Bah, was wollte sie machen?« lachte der Bursche – »eine Weile fuhrwerkten sie mich per Schub im Lande herum, um zu erfahren wo ich zu Hause sei, und meine Dokumente zu bekommen. Nachher fanden sie sich drein, und Bux hieß ich und blieb ich.«
Die Frau trug das Essen wieder hinaus, als Alle fertig