Nach Amerika! Ein Volksbuch. Fünfter Band. Gerstäcker FriedrichЧитать онлайн книгу.
freundlicherer Stelle zu pflanzen und der Schwester, wenn sie in Glück und häuslichem Frieden die Heimath vielleicht vergessen hätte, durch die duftenden Kelche aus der Eltern Garten die Erinnerung an die Jugendzeit zurückzurufen, Guter Gott – gerade die Erinnerung war ja Alles was das arme Herz in Schmerz und Leid noch aufrecht erhalten, noch getragen hatte – was wäre sie jetzt gewesen wenn sie die verloren.
Amalie saß neben dem Grab auf einer kleinen Bank, die ihr der Nachbar Jack Owen (der ihnen damals das Kind begraben half, und seine eigene Frau mehre Wochen lang herüber geschickt hatte, ihnen in Allem beizustehn was sie bedurften) aus Zweigen und jungen Stämmen neben dem kleinen Hügel errichtet. Sie war in ein einfach wollenes Kleid, wie es die Frauen der Hinterwäldler trugen, gekleidet, und ihr Haar glatt und schlicht zurückgekämmt und in einen Zopf gebunden. Auch ihre Ohrringe und Ringe hatte sie abgethan, nur an den Wimpern hingen ihr die blitzenden Thränenperlen – ein schöner, aber ach ein schwerer Schmuck. —
Amalie von Seebald war eine Andere geworden, die langen Monate, die sie im Wald hier zugebracht; – nicht älter etwa durch Gram und Mitgefühl, die Schwester so leiden zu sehn, das weit natürlichere, einfachere Wesen das ihr das wirkliche Leben, das Kämpfen mit demselben aufgezwungen, hatte sie eher jünger und kräftiger gemacht, ihrem Auge einen eigenen Glanz, ihrer ganzen Haltung weit mehr elastisches, weit mehr kräftiges gegeben, ihr aber dagegen jenes überspannte Schwärmerische, jenes krankhaft Romantische genommen, das ihre besseren Kräfte bis dahin zurückgedrängt. Sie war aus einem schönen vielleicht, aber nutzlosen Traum erwacht, und fühlte jetzt daß sie einen Zweck hatte zu leben, daß sie wirken und nützen konnte in der Welt.
Wirken und Nützen – ja, mit allen ihren Kräften zu der Schwester Heil – aber wie? – was konnte sie hier thun, wie konnte sie hier helfen, wo das Schicksal seine eiserne Hand erbarmungslos auf die geworfenen Würfel gelegt und sie, wie sie der Schwester Leben jetzt erkannt, ja fast nur beten durfte daß Gott sie bald aus der Kette die sie hielt befreien, und neben die Kinder betten möge in den stillen Wald. Sie hatte einen tiefen, traurigen Blick in beider Leben gethan, und keine Hülfe sah sie da – keine Rettung, als den Tod.
In ernstem Sinnen, den Kopf in die Hand gestützt saß sie an dem kleinen Grab – es war jetzt der einzige Platz wo sie sich ungestört ausweinen, und doch der Schwester die Thränen bergen konnte, die ihr das eigene Herz ja nur schwerer gemacht, ohne im Stande zu sein ihre Last zu erleichtern – als sie Schritte im Laub hinter sich hörte, und sich rasch danach umdrehend, ihren alten Führer Jack Owen erkannte der, mit seinem Hund an der Seite, die Büchse auf der Schulter, langsam durch den Wald schlenderte.
Jack Owen war der richtige Typus des ächten, unverfälschten Backwoodsmans; schlank und kräftig gebaut mit eisernen, wetterharten und doch gutmüthigen Zügen, klaren lichtblauen Augen und jener festen entschiedenen Bildung des Mundes, die stets einen entschlossenen Charakter kündet, ging er ganz in die einfache Tracht des Westens gekleidet, mit ledernem ausgefranztem Jagdhemde, nur ohne Leggins, in langen dunkelfarbigen, unten aber durch längeren Gebrauch und die Dornen etwas abgenutzten Hosen, einen alten, sehr mitgenommenen Filzhut auf dem Kopf und die lederne Kugeltasche, an dem das, aus dem Ende eines Hirschgeweihs gebohrte Ladmaaß herunterhing, an der rechten Seite. Auf der Schulter aber ruhte die lange mächtige Amerikanische Büchse mit altem Feuerschloß, schwer von Eisen, und doch nur ein kleines Blei schießend, aber auf sechzig bis hundert Schritt ihr Ziel wohl kaum verfehlend. Die ganze Gestalt hätte malerisch genannt werden können, wäre ihr der alte zerknitterte Filzhut, der den Kopf deckte, und wohl manche Nacht schon als am nächsten Morgen wieder ausgebogenes Kopfkissen gedient hatte, nicht dabei etwas im Wege gewesen. Das Gesicht trug er, wie fast alle Amerikaner, glatt rasirt und wie erdfarben auch seine übrige Kleidung, bis auf die groben Schuh herunter, aussehen mochte, das baumwollene Hemd war schneeweiß, und zeigte vorn offen, die rothe, sonngebräunte Brust.
Der Hund den er mit sich führte, war eine Bastardart von gewöhnlichem Fleischerhund oder cur, und der feineren Brakenart, grau und schwarz gestreift, lichtgelbe kleine Flecken über den Augen und, wie schon erwähnt, mit ganz kurz abgeschlagenen Ohren und Schwanz – die beste Schweißhundrace, langsam auf der Fährte eines angeschossenen, ja selbst gesunden Wildes nachzugehn.
»Guten Tag Miß,« sagte der Mann, in seiner einfach herzlichen Art auf sie zugehend und ihr die Hand reichend und drückend – »wieder am Grab hier und immer so traurig?« setzte er dann mit leiserer, fast vorwurfsvoller und doch so gutmüthiger Stimme hinzu – »es muß Ihnen hier bei uns im Walde gar nicht gefallen, und die Bäume haben sich doch mit ihrem schönsten Schmuck gedeckt. Sehn Sie nur die prachtvollen Dogwoodblüthen an, die wie Schnee auf dem frischen grünen Laube liegen; und wie süß duftet es von den blühenden Weiden herüber, die dort am Bache stehn. Ach im Frühjahr ist's schön hier bei uns, und ich glaube mir würde das Herz brechen, wenn ich einmal fortmüßte aus meinem Wald.«
»Es ist wunderschön hier und der Friede Gottes ruht auf dieser Wildniß,« sagte Amalie mit zitternder Stimme – »sie könnte ein Paradies für die Menschen sein – «
Jack schwieg eine Weile wie verlegen still – er kannte das aber das dahinter lag, und wagte doch auch den Punkt nicht direckt zu berühren.
»Ihrer Schwester geht es besser, nicht wahr?« sagte er nach längerer, ihm endlich selber peinlich werdender Pause, seinen Gedanken weiter folgend – »sie ist doch wieder auf?«
»Seit gestern – ja; aber sie darf das Haus noch nicht verlassen.«
»Und Olnitzki ist noch nicht von Little Rock wieder zurück?«
»Nein – wir erwarten ihn schon seit mehren Tagen.«
»Hm – « sagte Jack nach einer Weile, und seinen Rifle mit dem Kolben auf die Erde stoßend, nahm er ihn in die, auf der Brust gekreuzten Arme, sich gewissermaßen daran lehnend – »ich war auch in Little Rock. – «
»Sie – jetzt?« rief Amalie schnell fast erschreckt über den Ton.
»Ja; – ich habe meine Winterbeute, Häute und Fett, was sich so angesammelt hatte, hineingebracht,« sagte der Jäger gleichgültig.
»Und haben Sie Olnitzki dort gesehn?«
»Ich war ein- oder zweimal mit ihm zusammen.«
»Aber was um Gottes Willen macht er da so lang – er weiß daß« – sie schwieg erröthend still und wandte sich von dem Jäger ab, daß er die aufsteigende Thräne in ihrem Auge nicht sehen sollte.
Jack wiegte sich indessen augenscheinlich mit etwas beschäftigt das ihm auf dem Herzen lag, von einem Fuß auf den anderen; er wußte daß die Fremde weinte – er wußte weshalb, und wagte doch nicht, mit dem eigenen Zartgefühl das jenen einfachen Kindern des Waldes eigen ist, das Geheimniß aufzudecken, in fremde Familienangelegenheiten ein fremdes Wort zu reden.
»Er wird wohl heute oder morgen kommen,« sagte er endlich – »seine Geschäfte waren besorgt und – nur ein paar Freunde hatte er dort getroffen, die er lange nicht gesehn – das mag ihn aufgehalten haben.«
»Und seine Frau ist fast gestorben in der Zeit,« sagte Amalie mit leiser kaum hörbarer Stimme.
Der Jäger erwiederte Nichts darauf, nahm aber seine Büchse auf, öffnete die Zündpfanne und sah nach dem Pulver, schloß sie wieder, ließ das Gewehr auf den Boden zurücksinken, rückte sich den Hut und kämpfte augenscheinlich mit einem Entschluß zu reden, dessen er noch nicht Meister werden konnte. Die Fremde schwieg ebenfalls – schwieg, aber konnte ihren Thränen nicht länger wehren, und mußte das Tuch an die Augen bringen, um sie abzutrocknen.
»Miß Seebald,« sagte der Backwoodsman da, ein Herz fassend, aber immer noch mit schüchterner, zögernder Stimme – »es ist nicht Alles so in der Hütte drüben, wie es sein sollte – hab ich recht?«
»Das weiß Gott,« seufzte das Mädchen, ohne das Antlitz ihm zuzuwenden.
»Miß Seebald,« sagte der Jäger wieder nach einer kleinen Pause, mit augenscheinlicher Überwindung – »es wird für schlechte Sitte bei uns gehalten, die Hütte eines Nachbars zu betreten wenn der Pflock außen vorgeschoben, und der Besitzer nicht zu Hause ist; noch weniger darf man sich in Dinge mischen, die eigentlich nie über die Schwelle hinauskommen sollten – das