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Die Schatzinsel. Роберт СтивенсонЧитать онлайн книгу.

Die Schatzinsel - Роберт Стивенсон


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drei Uhr eines bitterkalten, nebligen, rauhen Nachmittags, als ich ein wenig vor der Tür stand und traurig an meinen Vater dachte, da sah ich auf einmal einen Mann langsam die Straße heraufkommen. Er war zweifellos blind, denn er tappte mit einem Stock vor sich her und trug einen grünen Schirm über Augen und Nase und ging gekrümmt, wie von Alter oder Schwäche gebeugt. Er trug einen alten, zerlumpten Matrosenkragen mit einer Kapuze, die ihn ganz bucklig erscheinen ließ. Nie in meinem Leben sah ich eine abstoßendere Erscheinung. Er blieb einige Schritte vor dem Gasthof stehen und erhob seine Stimme zu einem sonderbaren Singsang, in die leere Luft hineinfragend:

      „Möchte ein guter Freund einem armen, blinden Mann, der sein kostbares Augenlicht bei der Verteidigung seines Vaterlandes England und seines Königs Georg – Gott segne ihn – verloren hat, sagen, wo und in welchem Teile des Landes er sich jetzt befinden mag?“

      „Ihr seid beim ‚Admiral Benbow‘ an der Schwarzhügelbucht, mein guter Mann“, sagte ich.

      „Ich höre eine Stimme,“ sagte er, „eine junge Stimme. Möchtet Ihr mir Eure Hand geben, mein gütiger junger Freund und mich ins Haus führen?“

      Ich hielt meine Hand hin und das schauerliche, sanft klagende, augenlose Scheusal packte sie im selben Moment wie ein Schraubstock. Ich war so erschrocken, daß ich mich bemühte loszukommen, aber der Blinde zog mich mit einem einzigen eisernen Griff seines Armes ganz nahe an sich.

      „Nun, Junge,“ sagte er, „führ mich zum Kapitän!“

      „Herr!“ sagte ich, „auf mein Wort, ich wage es nicht.“

      „So!“ grinste er, „so ist die Sache! Führ’ mich sofort hinein oder ich zerbrech dir den Arm!“

      Und wie er das sagte, verrenkte er ihn mir so, daß ich aufschrie.

      „Herr,“ sagte ich, „für Euch selbst fürchte ich. Der Kapitän ist ganz verändert, er sitzt mit offenem Messer da. Ein anderer Herr – “

      „Also schnell jetzt! Marsch!“ unterbrach er mich, und ich habe nie eine so kalte, grausame und häßliche Stimme gehört wie die des blinden Mannes. Sie schüchterte mich noch mehr ein als der Schmerz, ich gehorchte ihm sofort und führte ihn geradewegs in die Gaststube, wo unser kranker, alter Freibeuter, von Rum benebelt, dasaß. Der blinde Mann hing fest an mir, hielt mich mit seiner eisernen Faust und lehnte sich so schwer an mich an, daß ich sein Gewicht kaum ertragen konnte. „Führ’ mich gerade auf ihn zu, bis er mich sehen kann, und dann rufe: ‚Hier ist ein Freund von Euch, Bill!‘ und wenn du das nicht tust, dann mach ich dir das da!“ Und zugleich zwickte er mich so, daß ich glaubte umsinken zu müssen. Der blinde Bettler jagte mir eine so entsetzliche Furcht ein, daß ich meine Angst vor dem Kapitän vergaß, und als ich die Tür der Gaststube öffnete, rief ich mit zitternder Stimme die Worte, die der unheimliche Fremde befohlen hatte.

      Der arme Kapitän blickte auf und war im selben Moment völlig nüchtern. Der Ausdruck seines Gesichtes, wie er den Fremden anstarrte, war nicht so sehr Schrecken als tödliche Schwäche. Er machte eine Bewegung, um sich zu erheben, aber ich glaube, er hatte nicht mehr die Kraft dazu.

      „Nun, Bill, bleib nur, wo du bist“, sagte der Bettler. „Wenn ich auch nicht sehe, so höre ich, wenn sich ein Finger rührt. Geschäft ist Geschäft. Gib deine linke Hand her. Junge! nimm seine linke Hand beim Gelenk und führ sie zu meiner Rechten.“

      Wir gehorchten ihm aufs Wort und ich sah etwas aus seiner Hand, die den Stock hielt, in die des Kapitäns gleiten, die sich darüber sofort schloß.

      „Also das ist in Ordnung“, sagte der blinde Mann. Und mit diesen Worten ließ er mich plötzlich los und schlüpfte mit unglaublicher Geschicklichkeit und Geschmeidigkeit auf die Straße hinaus, und als ich noch bewegungslos dastand, hörte ich schon seinen Stock weit draußen in der Ferne – tapp, tapp – auf der Landstraße.

      Es dauerte eine Weile, ehe wir beide, der Kapitän und ich, unsere volle Besinnung wiedergewannen. Endlich ließ ich sein Handgelenk los, das ich noch umklammert hielt, und er zog seine Hand zurück und blickte scharf in die Handfläche.

      „Zehn Uhr,“ rief er, „sechs Stunden! Wir tunken sie schon noch ein!“ und damit sprang er auf.

      Doch plötzlich taumelte er, griff sich mit der Hand an die Kehle, schwankte einen Augenblick und mit einem sonderbaren Wehlaut fiel er der Länge lang vornüber zu Boden.

      Ich lief sofort zu ihm hin, rief meine Mutter herbei, aber alle Eile war vergeblich; ein Herzschlag hatte ihn getötet.

      Merkwürdig ist, daß ich, der ich sicherlich den Mann nie gemocht hatte, obwohl ich ihn in der letzten Zeit bemitleidete, in heftiges Weinen ausbrach, als ich sah, daß er tot war. Es war der zweite Todesfall, den ich erlebte, und der Kummer um den ersten stand noch frisch in meiner Seele.

      Viertes Kapitel

Der Kajütenkoffer

      Natürlich erzählte ich sofort meiner Mutter alles was ich wußte, und vielleicht hätte ich das längst tun sollen, denn wir sahen uns plötzlich in einer bösen, gefahrvollen Lage. Etwas vom Gelde des Mannes – wenn er überhaupt welches besaß – gehörte zweifellos uns, aber es schien sehr unwahrscheinlich, daß die Schiffskameraden unseres Kapitäns, am wenigsten die beiden Exemplare, die ich gesehen hatte, der schwarze Hund und der blinde Bettler, sich geneigt zeigen würden ihre Beute zur Zahlung der Schulden des Toten zu verwenden. Wenn ich den Befehl des Kapitäns ausgeführt und zu Dr. Livesay geritten wäre, hätte ich meine Mutter allein und schutzlos zurücklassen müssen, woran nicht zu denken war. Es schien tatsächlich unmöglich für uns beide, noch länger hier im Hause zu bleiben. Jedes Geräusch, das Prasseln der Kohle auf dem Küchenrost, sogar das Ticken der Uhr erfüllte uns mit Schrecken, wir glaubten fortwährend jemand heranschleichen zu hören, und wenn ich zur Leiche des Kapitäns, die da am Boden der Gaststube lag, hinsah und an den furchtbaren, blinden Bettler dachte, der in der Nähe herumschlich und bald wiederkommen wollte, ergriff mich eine so entsetzliche Angst, daß ich fühlte, wie mir die Haare zu Berge standen. Ein rascher Entschluß mußte gefaßt werden. Wir kamen schließlich auf den Gedanken zusammen fortzugehen und im benachbarten Dorfe Schutz zu suchen. Gesagt, getan. Barhäuptig liefen wir sofort in den sinkenden Abend und kalten Nebel hinaus.

      Das Dörfchen lag ein paar hundert Schritte entfernt, doch so, daß wir es von unserem Gasthause aus nicht sehen konnten auf der gegenüberliegenden Seite der nächsten Bucht, und es beruhigte mich sehr, daß die Richtung jener entgegengesetzt war, aus der der blinde Mann gekommen und die er offenbar auch auf dem Rückwege eingeschlagen hatte. Wir waren nur wenige Minuten unterwegs, trotzdem wir mehrmals stehen blieben, um zu horchen, aber kein ungewohntes Geräusch war zu hören, nur das leise Anschlagen der Wellen am Strande und das Krächzen der Raben im Gehölz.

      Die Lichter waren schon angezündet als wir das Dörfchen erreichten, und ich werde nie vergessen, wie sehr mich der freundliche Schein, der aus Türen und Fenstern hervorleuchtete, tröstete und ermutigte. Aber es stellte sich heraus, daß das der einzige Trost war, den wir hier finden sollten, denn – wer würde glauben, daß die Menschen einer solchen Feigheit fähig sein können! – keine Seele wollte mit uns in den „Admiral Benbow“ zurückgehen. Je mehr wir von unseren Sorgen erzählten, desto weniger wollten sie – Männer, Frauen und Kinder – den Schutz ihrer Häuser verlassen. Der Name des Kapitäns Flint, der mir fremd war, war manchem unter ihnen wohlbekannt und schien von Schrecken umgeben. Ein paar Männer, die tagsüber jenseits „Admiral Benbow“ auf Feldarbeit gewesen waren, erinnerten sich überdies mehrere Fremde auf der Straße gesehen zu haben, die sie für Schmuggler hielten und denen sie daher vorsichtig ausgewichen waren. Und einer hatte sogar ein kleines Küstenfahrzeug in einer versteckten Bucht, die das Möwenloch genannt wurde, liegen sehen. Außerdem fürchteten sie sich zu Tode vor den Genossen des schrecklichen Kapitäns. Nach vielem Herumreden zeigte es sich, daß sich zwar mehrere Leute fanden, die gern für uns zu Dr. Livesay reiten wollten, dessen Haus in entgegengesetzter Richtung lag, aber kein Mensch, der uns bei der Verteidigung des Gasthofes hätte beistehen mögen.

      Man sagt, daß Feigheit ansteckend sei, andererseits wird man durch Mitteilung freier, und so hielt denn meine Mutter, nachdem jeder seinen Spruch gesagt hatte, eine kleine Rede. Sie werde, erklärte sie, das Geld, das ihrem vaterlosen Jungen


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