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Die hochzeit von Lyon. Novellen / Свадьба в Лионе. Новеллы. Книга для чтения на немецком языке. Стефан ЦвейгЧитать онлайн книгу.

Die hochzeit von Lyon. Novellen / Свадьба в Лионе. Новеллы. Книга для чтения на немецком языке - Стефан Цвейг


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heimlich einlullenden Wein. Ja, ungeduldig und allmählich ärgerlich, dass dieser Kühle nicht die geringste Veranlassung bot, die Hartnäckigkeit ihrer Tugend zu beweisen und sich vor ihrer Schwester mit schönem Unmut zu bewähren, begann sie schließlich selber die Gefahr herauszufordern. Von ungefähr fand sie ein Lachen in der Kehle, ihr selber fremd, eine muntere Lust, auszufahren und sich zurückzuwerfen in heiterem Übermut, aber sie zähmte sich nicht und schämte sich nicht, war doch Mitternacht nicht mehr ferne, der Dolch nah ihrer Hand und dieser vorgeblich so hitzige Jüngling kälter als jenes Messers eiserne Schneide. Näher und näher rückte sie ihm zu, damit endlich ihre Tugend Gelegenheit fände zu glorreicher Verteidigung, und unwillentlich entfaltete die Eitle aus der ehrgeizigen Lust, ihre Festigkeit zu erweisen, genau dieselben Künste der Verlockung, die sonst ihre buhlerische Schwester um allzu irdischen Lohn ausübte.

      Aber man soll, wie ein weises Sprichwort sagt, auch nicht ein Haar von des Teufels Bart streifen, sonst faßt er einen unversehens am Genick. Und ähnlich erging es auch hier der kampfbegierig eitlen Streiterin. Denn ungewohnt des Weins, dessen lüsterne Beize sie nicht ahnte, verwirrt von dem allmählich aufschwülenden Duft des Rauchwerks, süß entkräftet vom saugenden Getön der Flöten, wurden ihr die Sinne allmählich verworren. Ihr Lachen schwankte in Lallen, ihr Übermut in Kitzel hinüber, und kein Doktor beider Fakultäten hätte vermocht, vor Gericht zu bekunden, ob es im Wachen geschehen oder im Schlummer, ob in Nüchternheit oder Trunkenheit, ob mit ihrem Willen oder dawider – kurz, es geschah, noch lange, bevor es Mitternacht schlug, was Gott oder sein Widerpart will, dass zwischen Frau und Mann schließlich geschehe. Mit einmal klirrte aus gelöstem Kleide der heimlich gerüstete Dolch auf den marmornen Estrich; doch sonderbar, die ermüdete Fromme hob ihn nicht als eine andere Lukretia empor, um ihn gegen den gefährlichen nahen Jüngling zu zücken, kein Weinen und Wehren wurde vernommen im Nebengemach. Und als triumphierend um Mitternacht die verderbte Schwester mit ihrer Dienerschar einbrach in die bräutlich gewordene Kammer und eine neugierige Fackel über das Lager der Besiegten schwang, da gab es kein Verschweigen mehr und kein Sich-Schämen. So streuten die frechen Mägde nach heidnischer Art Rosen auf das Ruhebett, röter als die Wangen der Errötenden, die jetzt taumelnd und zu spät ihr frauliches Missgeschick gewahrte. Aber die Schwester nahm die Verwirrte heiß in die Arme, die Flöten jauchzten, die Zimbeln schmetterten, als wäre Pan wieder heimgekehrt auf die christliche Erde, frech entblößt tanzten die Mägde und riefen Eros, den verstoßenen Gott, lobpreisend an. Dann aber entzündete die bacchantisch wirbelnde Schar ein Feuer von duftenden Hölzern, und mit gierigen Zungen fraßen die Flammen das zum Spott erniedrigte fromme Gewand. Der neuen Hetäre aber, die sich schämte, ihre Niederlage zu gestehen, und wirr lächelnd tat, als habe sie freien Willens dem schönen Jüngling sich hingegeben, legten sie die gleichen Rosen wie ihrer Schwester um, und nun die beiden nebeneinander standen, glühend die eine vor Scham und die andere im Feuer des Triumphes, hätte keiner mehr vermocht, Sophia und Helena, die Scheinbar-Demütige von der Hoffärtigen, zu unterscheiden, und des Jünglings Blicke schwankten begehrend zwischen beiden hin, in erneutem und zwiefach ungeduldigem Gelüst.

      Unterdes hatte die übermütige Rotte unter Lärm Tore und Fenster des Palastes geöffnet. Nachtschwärmer und rasch erwecktes lockeres Volk strömte lachend herzu, und noch ehe die Sonne über die Dächer floss, lief die Kunde schon wie Wasser von allen Traufen durch die Straßen, welchen herrlichen Sieg Helena über die weise Sophia, die Unkeuschheit über die Keuschheit errungen. Kaum aber vernahmen die Männer der Stadt, dass diese langbewahrte Tugend gefallen, so eilten sie schon hitzig herbei, und sie fanden (die Schande sei nicht verschwiegen) guten Empfang, denn Sophia blieb, ebenso rasch umgewandelt wie umgewandet, bei Helena, ihrer Schwester, und suchte es ihr gleich zu tun an Eifer und Feurigkeit. Nun war alles Streitens und Neidens ein Ende, und seit sie dem gleichen schnöden Gewerbe sich zugewandt, lebten die schlimmen Schwestern fortan in munterster Eintracht nebeneinander im Hause. Sie trugen gleiche Haartracht, gleichen Schmuck, genau dieselbe Gewandung, und da die Zwillinge auch in Lachen und Liebeswort nicht mehr unterscheidbar waren, so begann für die Lüstlinge ein immer erneutes, üppiges Spiel, ein Rätselraten mit Blicken und Küssen und Zärtlichkeit, welche es sei, die sie gerade im Arm hielten, die buhlerische Helena oder die einstens fromme Sophia. Doch nur selten gelang es einem, zu wissen, bei welcher er sein Geld vertan, so vollkommen ähnlich erschienen die beiden, und überdies machte das kluge Paar sich’s zur besonderen Lust, die Neugierigen zu narren.

      So hatte, und nicht zum erstenmal in unserer trüglichen Welt, Helena gesiegt über Sophia, Schönheit über Weisheit, das Laster über die Tugend, das allzeit willige Fleisch über den schwanken und selbstherrlichen Geist, und abermals wurde bewiesen, was schon Hiob beklagte in seiner denkwürdigen Rede, dass es dem Bösen wohl erginge auf Erden, indes der Fromme zuschanden komme und ein Spott werde der Gerechte. Denn kein Zollmeister und kein Steuereinnehmer, kein Küfer und Pfandleiher, kein Goldschmied und Bäckermeister, kein Beutelschneider und Kirchenräuber im ganzen Land sackte mit saurer Arbeit so viel Geld wie die beiden Schwestern mit ihrem linden Eifer. Treulich gesellt, melkten sie die dicksten Felleisen und löcherten sie die vollsten Truhen, Geld und Juwelen liefen ihnen hurtig wie Mäuse allnächtens ins Haus. Und da die beiden von ihrer Mutter zu der Schönheit auch den sorglichen Krämersinn geerbt hatten, vertaten die Zwillingsschwestern dieses Gold durchaus nicht, wie die meisten ihrer Art, in eitlen Nichtigkeiten; nein, klüger als jene, liehen sie ihr Geld sorglich auf Wucher und Zins, gaben es zur Mästung an Christen, Heiden und Juden und scharrten so kräftig mit dem Wucherrechen, dass bald nirgends so viel Reichtum aufgehäuft war an Münzen und Kameen, sicheren Verschreibungen und gültigen Pfandbriefen wie in jenem argen Haus. Kein Wunder, dass, mit solchem Beispiel vor Augen, die jungen Mädchen des Landes nicht mehr Scheuerfrauen werden wollten und sich die Finger blaufrieren am Waschtrog, und bald war diese Stadt berüchtigt unter den Städten als ein neues Sodom dank der schlimmen Gegenwart der endlich einig gewordenen Schwestern.

      Doch auch dies ist wahr in den alten Sprüchen, wenn sie sagen: Wie rasch der Teufel auch reitet, schließlich bricht er doch vor dem Ziele das Bein. Und so sollte auch hier das Ärgernis noch erbaulich enden. Denn wie die Jahre gingen und vergingen, wurden die Männer des immer gleichen Rätselspiels allmählich müde. Seltener kamen Gäste, früher löschten die Fackeln im Haus, schon wussten längst alle anderen, und nur die Schwestern wussten es nicht, was der Spiegel stumm den flackernden Lichtern erzählte: dass kleine Falten nisteten unter den übermütigen Augen und das Perlmutter zu blättern begann von der mählich erschlaffenden Haut. Vergebens, dass sie jetzt mit Künsten rückzukaufen suchten, was Natur, die mitleidlose, stündlich ihnen nahm, vergebens, dass sie das Grau löschten um die Schläfen, die Runzeln mit elfenbeinernen Messern strichen und rot sich die Lippen malten und um den ermüdeten Mund; die Jahre, die stürmisch durchlebten, waren nicht länger zu verhehlen, und kaum dass die Jugend von den Schwestern ging, wurden auch die Männer der beiden satt. Denn indes jene abblühten, wuchsen rings in den Straßen immer wieder junge Mädchen auf, jedes Jahr ein anderes Geschlecht, süße Wesen mit kleinen Brüsten und schelmischen Locken, doppelt verlockend der männlichen Neugier durch Unberührtheit des Leibes. Immer stiller wurde es darum im Hause auf dem Marktplatz, die Angeln der Türe begannen zu rosten, vergeblich brannten die Fackeln und dufteten die Harze, niemandem zur Wärme wartete der Kamin und der Schwestern geschmückter Leib. Gelangweilt übten die Flötenspieler, denen keiner zu lauschen kam, statt ihrer schmeichlerischen Kunst endlose Würfelspiele, und der Pförtner[44] , der allnächtens der Gäste warten sollte, wurde rundlich vom Übermaß unbehelligten Schlafes. Ganz einsam aber saßen oben die beiden Schwestern an der langen Tafel, die einstmals klirrte vom Andrang des Gelächters, und da kein Liebhaber mehr Zeitvertreib brachte, hatten sie höchlichst Musse, sich des Vergangenen zu erinnern. Insbesondere Sophia dachte mit Wehmut der Zeiten, da sie, abgewandt von aller irdischen Wollust, einzig ernstem und gottgefälligem Wandel gedient; oftmals nahm sie darum wieder die verstaubten frommen Bücher zur Hand, denn gern zieht ja die Weisheit bei Frauen ein, sobald die Schönheit flieht. Und so bereitete sich allmählich eine wunderbare Umkehr des Sinnes in den beiden Schwestern vor, denn so wie in den Tagen ihrer Jugend Helena, die Buhlerin, gesiegt über Sophia, die Fromme, so geschah es, dass Sophia nun spät allerdings und nach reichlicher Sündigkeit – bei ihrer allzu irdischen Schwester Gehör fand, wenn sie zu Verzicht mahnte. Ein heimlich Kommen und Gehen begann in den Morgenstunden: erst war es Sophia, die in das Siechenhaus schlich, das sie so beleidigend


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<p>44</p>

Pförtner der; -s, -; – jemand, der beruflich den Eingang eines großen Gebäudes bewacht

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