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Der Held unserer Zeit: Kaukasische Lebensbilder. Михаил ЛермонтовЧитать онлайн книгу.

Der Held unserer Zeit: Kaukasische Lebensbilder - Михаил Лермонтов


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einbildete, als habe ihm Asamat mit seines Vaters Einwilligung sein Pferd gestohlen, wenigstens denke ich mir das so. Einstmals nun lauerte er ihm auf dem Wege auf, ungefähr drei Werst vor dem Aúle; der Greis kehrte eben von den vergeblichen Nachsuchungen nach seiner Tochter heim; seine Usdénen (Lehnsleute) waren weit hinter ihm zurück, – die Dämmerung war bereits eingebrochen – er ritt, in Gedanken vertieft, langsam voran, als plötzlich Kasbitsch wie eine Katze aus dem Gebüsch hervortauchte, hinter ihn auf das Pferd sprang, mit einem Dolchstiche ihn zu Boden warf, die Zügel ergriff – und auf- und davon jagte! Einige der Usdénen hatten dies alles von einem Hügelchen mit angesehen; sie warfen sich hinter ihm her, aber erreichten ihn nicht mehr.

      „Er entschädigte sich für den Verlust seines Pferdes und rächte sich,“ begann ich, um meinem Gefährten seine Meinung darüber zu entlocken.

      – Ja freilich, nach ihrer Art, erwiederte der Stabskapitain, war er vollkommen in seinem Rechte.

      Unwillkührlich frappirte mich die Fähigkeit des Russen, sich den Gebräuchen aller Völker anzuschließen, zwischen welche ihn der Zufall wirft; ich weiß nicht, ob diese Eigenschaft des Gemüthes Lob oder Tadel verdient, indessen ist sie ein Beweis für seine unglaubliche Geschmeidigkeit und für das Vorhandensein jenes gesunden Menschenverstandes, welcher das Böse überall entschuldigt, wo er dessen Unvermeidlichkeit oder die Unmöglichkeit seiner Vernichtung einsieht. —

      Unterdessen war der Thee ausgetrunken; die längst angespannten Pferde standen durchfroren auf dem Schnee; der Mond erbleichte im Westen und war bereit in seine schwarzen Wolken unterzutauchen, die auf den fernen Berggipfeln hingen, gleich den Fetzen eines zerrissenen Vorhanges. Wir traten aus der Hütte. Trotz der Vorhersagung meines Reisegenossen hellte sich das Wetter auf, und versprach uns einen stillen Morgen. Die Reigen der Sterne durchschlangen sich in wundersamen Gebilden am fernen Horizonte, und einer nach dem andern erlosch in demselben Maße, als der blasse Schimmer des Ostens sich über das dunkelviolette Himmelsgewölbe ergoß, und allmälig die steilen, mit jungfräulichem Schnee bedeckten Bergabhänge beleuchtete. Rechts und links dunkelten schwarze geheimnißvolle Abgründe, und Nebel, die sich gleich Schlangen zusammenknäulten und loswanden, krochen über die Runzeln der benachbarten Felsen, als ob sie die Annäherung des Tages fühlten und scheuten.

      Still war alles am Himmel und auf der Erde, wie im Herzen des Menschen während des Morgengebets; nur dann und wann kam von Osten her ein kühler Wind, der die mit Reif bedeckten Mähnen der Pferde aufwehte. – Wir machten uns auf den Weg; mit Mühe schleppten fünf schlechte Mähren unser Fuhrwerk auf der gewundenen Straße den Gudberg hinan; wir gingen zu Fuß hinterdrein, und legten Steine unter die Räder, so oft die Pferde erschöpft anhielten; es schien als führte der Weg in den Himmel, denn so weit das Auge sehen konnte, ging er immer aufwärts, und verlor sich zuletzt in einer Wolke, welche schon seit vorigem Abend auf dem Gipfel des Gudbergs ausruhte, einem Geier gleich, der auf Beute wartet; der Schnee krachte unter unsern Füßen; die Luft wurde so dünn, daß das Athemholen schmerzte; das Blut strömte heftig zum Kopf, aber trotz alledem ergoß sich ein gewisses tröstliches Gefühl durch alle meine Adern, und es machte mir ein besonderes Vergnügen so hoch über der Welt zu sein – ein kindisches Gefühl, ich will’s nicht läugnen; aber wenn wir uns einmal von dem Zwange der Gesellschaft entfernen und der Natur nähern, so werden wir unwillkührlich wieder Kinder: alles bloß Angeeignete fällt von der Seele, und sie gestaltet sich auf’s Neue so, wie sie einst gewesen und wahrscheinlich dereinst wieder werden wird. Der, dem es wie mir beschieden war, über die Bergeseinöden hinzuschweifen, und lange, lange sie in ihren wunderlichen Bildungen zu betrachten, und gierig die belebende Luft einzuathmen, die durch ihre Klüfte ausgegossen ist, – der wird meinen Wunsch verstehen, solche zauberhafte Bilder zu überliefern, zu erzählen, hinzuzeichnen. Endlich waren wir nun den Gudberg hinauf gestiegen, hielten an, und sahen uns um: eine blaue Wolke hing auf ihm, deren kalter Hauch einen nahen Sturm drohte; aber im Osten war alles so hell und golden, daß wir, das heißt ich und der Stabskapitain, des drohenden Sturmes ganz vergaßen . . . Ja, auch der Stabskapitain, denn: in einfachen Herzen ist das Gefühl der Schönheit und Erhabenheit der Natur hundertmal stärker und lebhafter, als in uns, die wir uns an Worten und auf dem Papiere begeistern.

      „Sie sind, denk’ ich, an diese erhabenen Gemälde schon ganz gewöhnt?“ sagte ich zu ihm.

      – Freilich, sogar an das Pfeifen der Kugeln kann man sich gewöhnen, das heißt, sich gewöhnen das unwillkührliche Schlagen des Herzens zu verbergen.

      „Ich hörte, im Gegentheil, daß für manche alte Kriegsleute diese Musik sogar angenehm sei.“

      – Versteht sich; wenn Sie wollen, ist sie auch angenehm; indessen nur darum, daß das Herz stärker schlägt. „Sehen Sie,“ fügte er hinzu, indem er nach Osten zeigte: „Was für eine Gegend!“

      Und gewiß, ein solches Panorama wird mir schwerlich noch irgend wieder dargeboten werden: unter uns lag das Koischaurskische Thal, vom Aragwa und einem andern Flusse wie von zwei silbernen Fäden durchschnitten; ein bläulicher Nebel glitt darüber hin, vor den warmen Strahlen des Morgens in die nahen Klüfte fliehend: rechts und links durchschnitten sich und dehnten sich verschiedene Bergkämme aus, der eine immer höher als der andere, sämmtlich mit Schnee und Gesträuch bedeckt; in der Ferne immer wieder Berge, aber auch nicht zwei Felsen, die einander ähnlich gesehen hätten, – und all’ diese Schneemassen glühten von röthlichem Glanze so munter und hell, daß man hier lebenslang hätte verweilen mögen; die Sonne blickte nur eben hinter dem dunkelblauen Berge hervor, den ungewohnte Augen kaum von dem drohenden Gewölk unterscheiden konnten; auf der Sonne aber lag ein blutiger Streif, welchem mein Gefährte besondere Aufmerksamkeit widmete. „Ich sage Ihnen,“ rief er aus, „daß nun ein Unwetter kommen wird; wir müssen uns tummeln, oder es wird uns auf dem Kreuzberge überfallen.“ „Rührt Euch!“ rief er den Fuhrleuten zu.

      Sie hingen anstatt der Hemmschuhe Ketten unter die Räder, damit diese nicht hinunter rollten, faßten die Pferde bei den Zügeln und fingen an, sich in Bewegung zu setzen. Rechts erhob sich ein Fels, links gähnte ein solcher Abgrund, daß ein ganzes Dörfchen von Osseten, die in dessen Tiefe wohnten, einem Schwalbenneste nicht unähnlich schien; ich schauderte, wenn ich bedachte, daß oft in tiefer Nacht so mancher Courier diesen Weg, wo zwei Wagen einander nicht ausweichen können, wohl zehnmal des Jahres passirt, ohne von seinem rüttelnden, offenen Wagen hinabzugleiten. Einer unserer Postillone war ein russischer Bauer aus Jaroslaw, der andere ein Ossete. Der Ossete führte das Hauptpferd mit aller nur möglichen Vorsicht am Zügel, nachdem er die Vorderpferde bei Zeiten abgespannt hatte, – unser sorgloser Russe hingegen stieg nicht einmal von seinem Sitzbrett herab! Als ich ihm bemerkte daß er, wenn auch nur zum Besten meines Koffers, es sich doch ein Bischen weniger bequem machen könnte, weil ich nicht Lust hätte, hinter diesem drein in den Abgrund zu klettern, antwortete er mir: „I, Herr! Mit Gottes Hülfe fahren wir nicht schlechter wie die da! sind wir doch nicht zum erstenmal dabei!“ – und er hatte Recht; wir hätten nun freilich auch nicht ankommen können, allein, wir kamen doch an, und wenn die Leute nur besser nachdenken wollten, so würden sie sich überzeugen, daß das Leben nicht werth ist, sich soviel Sorge darüber zu machen.

      Aber vielleicht wünschen meine Leser das Ende von Bela’s Geschichte zu erfahren? —

      Erstens schreibe ich keine Novelle, sondern Reisenotizen: folglich kann ich auch den Stabskapitain nicht eher erzählen lassen, als er in der That zu erzählen anfing. Also warten Sie ein Bischen, oder, wenn Sie wollen, überschlagen Sie einige Seiten, wozu ich Ihnen freilich nicht rathe, weil die Reise über den Kreuzberg (oder wie ihn der gelehrte Gamba nennt, le Mont de St. Christophe) Ihrer Neugierde gewiß werth ist. – Also, wir stiegen vom Gudberg in das Teufelsthal (Tschértowa-Dolina) . . . Was für ein romantischer Name! Sie sehen schon das Nest des bösen Geistes zwischen den unzugänglichen Felsen hängen?! – mit nichten: der Name „Tschértowa-Dolina“ kommt von dem Worte „Tschertá“ (die Grenze) her und nicht von „Tschort“ [der Teufel],18 denn hier war einstmals die Grenze Grusiens. Dies Thal nun war von Schneehaufen zugeschneit, die ziemlich lebhaft an Saratoff, Tamboff und andere liebliche Orte unseres Vaterlandes erinnerten.

      „Da ist der Kreuzberg!“ sagte der Stabskapitain zu mir, als wir in die Tschértowa-Dolina gefahren waren, indem


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<p>18</p>

Der erste Vocal dieser beiden Wörter wird, wenigstens vom gemeinen Volke, gleichmäßig o ausgesprochen.

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