Старик-годовик. Владимир ДальЧитать онлайн книгу.
had rendered familiar;
With sun and moon and stars throughout the year,
And man and woman;
This is the character and privilege of genius, and one of the marks which distinguish from talents. […]“ (S. 80f.)
Altes und Neues zu verbinden, das im Alltag Verbrauchte mit den frischen Gefühlen des ersten Tages zu betrachten, in der Stärke des Erwachsenen kindliches Fühlen wieder aufleben zu lassen, lang vertrauten Dingen mit dem Staunen und der Neugier des Kindes zu begegnen – das macht für ihn das Genie aus im Unterschied zum bloßen Talent. Der Gedanke vom ‚kindlichen Blick auf die Welt‘ war eine von Coleridges Lieblingsideen, die er mehrfach geäußert hat11. Er fährt dann fort und erläutert die angestrebte „freshness“ der Eindrücke mit der Situation der – geistigen wie körperlichen – Rekonvaleszenz:
„And therefore is it the prime merit of genius and its most unequivocal mode of manifestation, so to represent familiar objects as to awaken in the minds of others a kindred feeling concerning them and that freshness of sensation which is the constant accompaniment of mental, no less than of bodily, convalescence. […]“ (S. 81)
Es ist kaum vorstellbar, dass Baudelaire von diesen Äußerungen Coleridges keine Kenntnis gehabt haben sollte, als er seine Beschreibung des künstlerischen Genies Guys verfasste. Rätselhaft bleibt freilich auch hier wieder der Weg, wie er an sie gelangt sein könnte. George T. Clapton hält seine Definition des Genies für nichts anderes als eine Verallgemeinerung von De Quinceys Äußerungen in Suspiria de profundis und Afflictions of childhood12. Gilman führt zusätzlich Delacroix an13. Freilich ist an den von ihr genannten Stellen nie direkt von der Kindheit die Rede wie bei Coleridge, vom Vergleich mit der Rekonvaleszenz ganz zu schweigen. Allenfalls denkbar wäre wieder eine Vermittlung über Poe, der immerhin Coleridges „novelty“ gründlich überdacht hat14 und in The Man of the Crowd die Rekonvaleszenz erzählerisch in Szene gesetzt hat15. Man bleibt aber wohl auf Vermutungen angewiesen16.
Baudelaire setzt dann die Charakterisierung von Guys mit Hilfe zeittypischer Begriffe fort. Auch einen Dandy würde er Guys gern nennen, weil er mit diesem die tiefgründige Einsicht in den Lauf der Welt teilt. Doch der Dandy strebt nach „insensibilité“, während M.G. die Leidenschaft liebt, ja geradezu besessen ist von einem unstillbaren Drang, „de voir et de sentir“:
Je le nommerais volontiers un dandy, et j’aurais pour cela quelques bonnes raisons; car le mot dandy implique une quintessence de caractère et une intelligence subtile de tout le mécanisme moral de ce monde; mais, d’un autre côté, le dandy aspire à l’insensibilité, et c’est par là que M.G., qui est dominé, lui, par une passion insatiable, celle de voir et de sentir, se détache violemment du dandysme. Amabam amare, disait saint Augustin. „J’aime passionnément la passion“, disait volontiers M.G. (S. 691)
Ähnliches gilt für eine Bezeichnung als Philosoph17, denn Guys liebt zu sehr die „choses visibles, tangibles, condensés à l’état plastique“, um sich für das Reich der metaphysischen Dinge erwärmen zu können. Es bleibt die Charakterisierung als „moraliste pittoresque“ nach Art La Bruyères übrig.
Auf diesen allgemeineren Teil folgt der spezielle, der sich mit Guys’ Verhältnis zum Leben in der Großstadt beschäftigt und in dessen Mittelpunkt – getreu dem Bild des „peintre de mœurs“ – das Verhältnis zur Menschenmenge gerückt wird. Schon in der Kapitelüberschrift war Guys in Anspielung auf den Titel der Poeschen Erzählung als „homme des foules“ bezeichnet worden. Bei Poe ist der „man of the crowd“ jedoch ein alter Mann, dem der Erzähler eine Nacht und einen Tag lang auf seiner Suche nach Menschen durch die Straßen der Stadt folgt, bevor er begreift, dass der Alte „the type and the genius of deep crime“ ist, der nicht allein sein kann18. Indem Baudelaire die Titelbezeichnung auf den Künstler Guys anwendet, dessen Verhalten demjenigen von Poes Erzähler gleicht, spielt er – wie übrigens schon Poe – mit den beiden Erzählebenen und deutet den „homme des foules“ im Sinne der Wahrnehmungsfähigkeit und Kreativität des Künstlers um, nicht ohne die satanische Beimischung der Figur des Poeschen Alten beizubehalten.
Guys’ Verhältnis zur Menschenmenge beschreibt er darauf in aller Ausführlichkeit, wobei er noch stärker auf eine poetische und bildhafte Ausdrucksweise setzt als in Les Foules.
La foule est son domaine, comme l’air est celui de l’oiseau, comme l’eau celui du poisson. Sa passion et sa profession, c’est d’épouser la foule. Pour le parfait flâneur, pour l’observateur passionné, c’est une immense jouissance que d’élire domicile dans le nombre, dans l’ondoyant, dans le mouvement, dans le fugitif et l’infini. Être hors de chez soi, et pourtant se sentir partout chez soi; voir le monde, être au centre du monde et rester caché au monde, tels sont quelques-uns des moindres plaisirs de ces esprits indépendants, passionnés, impartiaux, que la langue ne peut que maladroitement définir. L’observateur est un prince qui jouit partout de son incognito. L’amateur de la vie fait du monde sa famille, comme l’amateur du beau sexe compose sa famille de toutes les beautés trouvées, trouvables et introuvables; comme l’amateur de tableaux vit dans une société enchantée de rêves peints sur toile. (S. 691f.)
Die Menge ist Guys’ Lebenselement wie die Luft das des Vogels und das Wasser das des Fisches. Seine Leidenschaft und sein Bestreben ist es, in ihr aufzugehen („épouser la foule“). Als vollkommener Flaneur und leidenschaftlicher Beobachter („parfait flâneur“, „observateur passionné“) sucht er sich seine Heimstatt in ihrer wogenden Zahl, ihrer bewegten Flüchtigkeit und ihrer Unendlichkeit, die er genießt. Mit „une immense jouissance“, „le nombre“, „l’infini“ verwendet Baudelaire hier wieder Begriffe aus seinen Beschreibungen ekstatischer Zustände, „le fugitif“ verweist dazu auf das moderne Schöne. Das macht offenkundig, dass Guys inmitten der Menschenmenge den künstlerischen Enthusiasmus sucht. Deshalb wird er auch ein „parfait flâneur“ genannt, womit Baudelaire ihn vom gewöhnlichen Flaneur absetzt, der, wie man im Livre des cent-et-un erfahren konnte, die Menge aufsucht, weil er sie zum Leben braucht und ohne ihre ständige Bewegung vor Langeweile vergeht:
Le voyez-vous mon flâneur, le parapluie sous le bras, les mains croisées derrière le dos; comme il s’avance librement au milieu de cette foule dont il est le centre, et qui ne s’en doute pas! Tout, autour de lui, ne parait marcher, courir, se croiser, que pour occuper ses yeux, provoquer ses réflexions, animer son existence de ce mouvement loin duquel sa pensée languit. […] Entouré de gens qui ont l’air de poursuivre, pendant toute la journée, un quart d’heure qu’ils ont perdu le matin, il est maître de son temps et de lui-même; il savoure le plaisir de respirer, de regarder, d’être calme au milieu de cette agitation empressée; de vivre enfin […]19
Guys’ Motiv ist hingegen, wie schon beim Dichter, der „implacable appétit d’émotion, de connaissance et de beauté“, aus dem sich der künstlerische Enthusiasmus nährt und das Werk entsteht20. Dieses Ziel unterscheidet ihn vom „pur flâneur“, der das bloße „plaisir fugitif de la circonstance“ sucht – ein Unterschied, der gern übersehen wird:
Ainsi il va, il court, il cherche. Que cherche-t-il? À coup sûr, cet homme, tel que je l’ai dépeint, ce solitaire doué d’une imagination active, toujours voyageant à travers le grand désert d’hommes, a un but plus élevé que celui d’un pur flâneur, un but plus général, autre que le plaisir fugitif de la circonstance.21
Der „observateur passionné“, wie Guys zusätzlich genannt wird, erinnert wieder an die Leidenschaft des Beobachtens beim Erzähler von Balzacs Facino Cane und damit an eine weitere großstädtische Leitfigur der Zeit22. Guys’ „passion insatiable […] de voir et de sentir“ hatte Baudelaire zuvor schon gerühmt.
Guys’ Eintauchen in die Menschenmenge wird in weiteren Bildern und Vergleichen ausgeführt, zunächst in Reisebildern, die seine Aufgeschlossenheit für alles Neue veranschaulichen: In der Fremde zu sein und sich doch überall zuhause zu fühlen, sich mitten in der Welt zu befinden und doch verborgen zu bleiben, das seien die Freuden solch unabhängiger, leidenschaftlicher Geister, die immer die Distanz des Beobachters wahren, dem Fürsten