Soll und Haben. Gustav FreytagЧитать онлайн книгу.
solchen Morgen wurde Herr Ehrenthal gemeldet, der ihm eine Summe für gekauftes Getreide zu zahlen hatte. Den Freiherrn überkam ein peinliches Gefühl, als der Bediente den Namen Ehrenthal aussprach; der Mann hatte ihm den Rat gegeben, Pfandbriefe aufzunehmen. Freilich sagte er im nächsten Augenblick, daß derselbe Mann ihm nicht den Rat gegeben hatte, nach der Stadt zu ziehen; aber er grollte ihm doch, und sein Gruß mochte wohl kälter klingen als gewöhnlich. Herr Ehrenthal war ein zu guter Geschäftsmann, um auf die Launen seiner Kunden viel zu geben. Er zählte sein Geld auf und war dabei freigebig mit den Versicherungen seiner Ergebenheit. Der Freiherr blieb unzugänglich, bis Ehrenthal im Abgehen fragte: »Und sie sind gekommen, die Pfandbriefe, gnädiger Herr Baron?«
»Ja«, sagte der Herr mürrisch.
»Es ist jammerschade«, rief Ehrenthal, »daß fünfundvierzigtausend Taler liegen sollen so tot, als ob sie nicht vorhanden wären in der Welt. Dem Herrn Baron ist’s gleich, ob er einmal gewinnt ein paar tausend Taler oder nicht, aber unsereinem ist es nicht gleich. Ich kann in diesem Augenblick machen ein solides Geschäft und ein sicheres, und mein Geld ist versteckt, ich muß mir entgehen lassen einen braven Gewinn von viertausend Talern.«
Der Freiherr hörte aufmerksam zu, der Händler fuhr mit größerem Mute fort: »Herr Baron, Sie kennen mich seit Jahren als einen ehrlichen Mann, Sie wissen auch, daß ich nicht ohne Mittel bin; ich will Ihnen einen Vorschlag tun: leihen Sie mir zehntausend Taler Pfandbriefe auf drei Monat; ich gebe Ihnen für das Kapital einen Wechsel auf mich selbst, welcher ist wie bar Geld. Es sind zu gewinnen viertausend Taler bei dem Geschäft; was gewonnen wird, das teile ich mit dem Herrn Baron statt der Zinsen zu gleichen Teilen. Sie sollen kein Risiko haben, und wir machen das Geschäft zusammen. Wenn verloren wird, trage ich’s allein und zahle in drei Monaten dem gnädigen Herrn die zehntausend Taler zurück.«
Diese Worte des Händlers, so wenig aufregend sie wahrscheinlich in das Ohr des Lesers dringen, klangen dem Freiherrn wie ein Alarmsignal beim unbehaglichen Biwak. Eine heftige Spannung, eine wilde Freude arbeiteten in ihm. Kaum hatte er Ruhe genug, zu sagen: »Vor allem muß ich wissen, von welcher Art das Geschäft ist, das Sie mit meinem Gelde machen wollen.«
Der Geldmann setzte das auseinander. Es war ihm der Antrag gemacht, eine große Quantität Holz zu kaufen. Das Holz lag auf einem Flößplatz im obern Teil der Provinz. Der Händler holte die Berechnung der Holzmasse, der Transportkosten bis zur Hauptstadt und des Wertes, den das Holz in der Hauptstadt haben würde, aus seiner Tasche und bewies dem Freiherrn, daß dabei in sechs bis acht Wochen ein sicherer Gewinn von bedeutender Größe zu machen sei.
Der Freiherr sah mit Aufmerksamkeit die Menge der Zahlen durch; wenn die Berechnung richtig war, so war der Gewinn sonnenklar; er tat aber doch die bedächtige Frage: »Wie kommt es, daß der Eigentümer des Holzes das Geschäft nicht selbst macht und daß er sich einen so sichern Gewinn entgehen läßt?«
Der Händler zuckte die Achseln. »Wer ein Geschäft macht, kann nicht immer fragen: warum läßt der andere die Ware so billig? Wer in Verlegenheit ist, kann nicht warten zwei bis drei Monat, das Eis liegt auf dem Fluß, der Mann braucht das Geld binnen zwei Tagen.«
»Sind Sie sicher, daß das Eigentumsrecht des Verkäufers unbestreitbar ist?« fragte der Freiherr.
»Der Mann ist mir sicher«, sagte der Händler, »wenn ich ihm das Geld bis morgen abend schaffe, ist das Holz mein.«
Dem Edelmann war es peinlich, die Verlegenheit eines andern zu benutzen, sosehr sich auch sein Herz nach dem Gewinn sehnte. Er sagte mit Würde: »Ich halte es für unpassend, auf den Verlust eines andern zu rechnen.«
»Warum soll er haben Verlust?« rief Ehrenthal eifrig. »Er ist Spekulant, jetzt braucht er Geld; vielleicht will er machen ein größeres Geschäft; so muß er den Vorteil am kleineren überlassen einem andern. Er hat sich erboten, gegen Zehntausend bar den ganzen Vorrat zu übergeben. Es ist nicht meine Sache, zu fragen, ob er mehr gewinnen kann mit meinem Gelde, als ich gewinnen kann durch sein Holz.«
Was Herr Ehrenthal sagte, war richtig; er verschwieg nur einiges. Der Verkäufer des Holzes war ein unglücklicher Spekulant, der, von seinen Gläubigern gedrängt, eine Auspfändung fürchtete und die unbescheidenen Hoffnungen derselben dadurch beendigen wollte, daß er seine Vorräte an einen Fremden schnell und heimlich verkaufte und mit der erhaltenen Summe unsichtbar wurde. Vielleicht wußte Herr Ehrenthal das, vielleicht ahnte auch der Freiherr, daß es bei einem so leichten Gewinn eine Bewandtnis haben müsse, wenigstens sagte sein Kopfschütteln, daß ihm die Sache keineswegs ganz klar war. Und doch hatte er wenig zu wagen und nichts zu verantworten; er lieh sein Geld an einen sichern Mann, den er seit vielen Jahren als wohlhabend und pünktlich kannte, und gewann dadurch die Aussicht, in kurzer Zeit einen bösen Geist loszuwerden, der ihn rastlos quälte. Er war zu unruhig, um zu überlegen, daß er vielleicht einen Teufel vertreibe durch Beelzebub, der Teufel Obersten. Er klingelte nach seinem Wagen und sagte vornehm: »In einer Stunde sollen Sie das Geld haben.«
Ehrenthal dankte in seiner feurigen Weise für diese große Gefälligkeit, schrieb auf der Stelle einen wohlverklausulierten Solawechsel über die Pfandbriefe und empfahl sich mit einer Untertänigkeit, die sehr gegen das stolze Kopfnicken des Freiherrn abstach.
Seit diesem Tage lebte der Freiherr in banger Erwartung. immer mußte er an die Unterredung mit dem Händler denken. Wenn er am Teetisch neben seiner Gemahlin saß und über Theater und Konzert geplaudert hatte, irrte seine Seele ruhelos zwischen den Holzklaftern umher oder wurde von langen rollenden Mastbäumen gedrückt; und wenn er die Arbeitsbücher seiner Tochter durchsah, so starrten ihm auf dem Deckel und am Rande zahlreiche Gesichter Ehrenthals entgegen, und jedes lachte ihn höhnisch an. Sooft er auf seinem Jagdpferd ausritt, richtete sich der Kopf des Pferdes nach dem Strom, und mit finsterm Blick sah der Reiter die gefrorene Fläche hinab, sah die Eisschollen stromabwärts treiben und das hohe Frühlingswasser bis an die Steine des Randes fluten.
Ehrenthal hatte sich lange nicht sehen lassen. Endlich, an einem sonnigen Morgen, erschien er mit seinen unvermeidlichen Bücklingen, zog ein großes Paket aus der Tasche und rief triumphierend: »Herr Baron, das Geschäft ist gemacht! Hier sind die Pfandbriefe zurück, und hier sind zweitausend Taler als der Gewinn, welcher auf Sie fällt.«
Die Hand des Freiherrn griff hastig nach dem Paket. Es waren dieselben weißen Pergamente, die er mit schwerem Herzen aus der Kassette hervorgeholt hatte, und außerdem ein Bündel Kassenscheine. Diesmal hörte der Freiherr kaum auf den Wortschwall des Händlers, eine Last fiel ihm vom Herzen, er hatte seine Pfandbriefe wieder, und der Ausfall in seinen Finanzen war gedeckt. Ehrenthal wurde gnädig entlassen, die Pergamente eingeschlossen, und der Freiherr durfte sich heute keinen Zwang antun, um ein liebenswürdiger Gesellschafter zu sein. Noch an demselben Tage kaufte er der Baronin einen Schmuck aus Türkisen, den sie sich lange im stillen gewünscht hatte.
Seit dem Tage war im Hause des Freiherrn heller Sonnenschein, und wenn es eine Erinnerung an die letzten Wochen gab, so äußerte sie sich nur in Kleinigkeiten. Der Kopf des Halbblutes vermied seit diesem Tage den Strom ebensosehr, als er ihn früher gesucht hatte, und wenn der Reiter auf der Straße von Herrn Ehrenthal gegrüßt wurde, so regte sich wieder ein lebhafter Widerwille gegen den glücklichen Geschäftsmann in seiner Seele, und sehr nachlässig war der Gegengruß, welchen er von der Höhe des Rosses zurückgab.
Aber noch ein dunkler Schatten aus der letzten Vergangenheit sollte über den Freiherrn fallen. Er las in dem Zimmer seiner Frau die Zeitung, als sein Auge auf einen Steckbrief fiel, durch welchen ein verschwundener Holzhändler wegen betrügerischen Bankerotts verfolgt wurde. Er legte das Blatt weg, ein kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn. Und er, der furchtlose Kavalier, nahm das Zeitungsblatt vom Tisch fort und versteckte es tief unter die Bücher seines Arbeitstisches. Wenn der Betrüger derselbe Mann war – Ehrenthal hatte ihm keinen Namen genannt –, aber wenn er, der Edelmann, durch sein Geld und seinen Gewinn fremde wohlbegründete Ansprüche verkürzt hatte, wenn er Gehilfe eines Betruges geworden war und wenn er für diese Hilfe bezahlt worden war – diese Gedanken waren fürchterlich für sein stolzes Herz. Der Herr ging in der Stube auf und ab und rang die Hände; er eilte zum Schreibtisch, um den Gewinn einzupacken und fortzuschaffen, er wußte selbst nicht wohin, sich von der Seele, weit weg aus seinem Hause. Mit Bestürzung sah er, daß nur noch ein kleiner Teil des Gewinnes vorhanden war. Wie