Das Eulenhaus. Eugenie MarlittЧитать онлайн книгу.
sie sich noch einmal zurück, sie mußte lächeln. Baron Lothar hatte von König Drosselbart und Aschenbrödel gesprochen und war sie nicht in der Tat wie im Märchen, die heutige Wandlung? Dort schritt er in schlichtem Rock und führte sein Pferd an Heinemanns für den Handel gezogenen Blumen hin, ängstlich darauf achtend, daß die Hufe keines der nutzbringenden Blütenblättchen berührten, er, dessen ritterliche Gestalt sie bei Hofe zuletzt von einem Glanz umflossen gesehen, wie er nur selten einem Sterblichen zuteil wird – und sie, das damalige sogenannte Hätschelkind der Herzoginmutter, das gleichsam wie auf Samt gegangen war und von keinem rauhen Lüftchen angeweht werden durfte, sie eilte jetzt die dunklen, ausgetretenen Steinstufen hinab, um einige der wenigen Flaschen Wein, die noch von der Großmama her im Kellerwinkel lagen, für ihn heraufzuholen.
Er führte sein Pferd in eine kühle, schattige Ecke der Kirchenruine und band es an einen starken Holunderbaum. Dann betrat er das Haus.
In den Wachskeller warf er nur einen flüchtigen Blick, man sah, die prosaische Hinterlassenschaft der Nonnen war es nicht, was ihm das Eulenhaus plötzlich in einem interessanten Lichte zeigte.
Klaudine stellte ein Tischchen mit Flasche und Gläsern und einem frischen Blumenstrauß draußen neben die Glastür, die aus dem Wohnzimmer ins Freie führte. Da stand, hart an der Mauer des Zwischenbaues, der letzte Ausläufer einer ehemaligen Allee, eine uralte Steinlinde mit nahezu abgestorbener Krone. Der einzige Ast, in dem noch der Saft flutete, reckte sich über das Geländer herein, er aber strotzte von jungem, kräftigem Laub und bildete mit einem ausgespannten schmalen Zeltdach eine schattige Ecke. Man sah von da aus zwei schlanke, einsam in die Lüfte ragende Pfeiler, die letzten der herrlichen, die einst das Mittelschiff der Kirche getragen, und hinter ihnen wölbte sich ein scheibenloses Spitzbogenfenster in der östlichen Seitenmauer. Duch die anderen Fenster zwängte der im Lauf der Jahre dicht an das Gemäuer herangerückte Wald sein Geäst, und von seinem Boden herauf kroch luftiges Geranke. Die Pfeiler und der Fensterbogen dagegen umfaßten ein schmales, umdunkeltes Stück Waldwiese draußen, ein stilles, grünes Eiland, über welches das Wild sorglos hinwandelte.
Mit verschränkten Armen trat Baron Lothar an das Geländer und sah in die reizvolle Aussicht hinein.
»Auch deutscher Wald ist schön«, sagte Herr von Gerold, der Vielgereiste, mit seiner milden, weichen Stimme neben ihm.
»Was?« fuhr der Angeredete herum. »Auch? Ich sage, nur deutscher Wald ist schön! Was frage ich nach Palmen und Pinien, was nach der weichen Südluft, die mein Gesicht widerwärtig umschmeichelt, wie die Liebkosung einer ungewünschten Hand! Ich habe mich krank gesehnt nach dem Thüringer Wald und seiner herben Luft, nach seinem tiefen Schatten und feuchten Gestrüpp, das sich trotzig gegen den Jäger wehrt – krank gesehnt nach dem Wintersturm, der feindlich durch die Äste fährt, der mich hart anfaßt und meine Kraft herausfordert. Nein, und ich gestehe, selbst auf die Gefahr hin, daß ich mich damit zum Barbaren, zum deutschen Bären stemple, auch die Kunstschätze konnten mir mein Herzweh nicht überwinden helfen, denn ich verstehe sie nicht, verstehe sie so wenig, wie die meisten der alljährlichen großen Völkerwanderung nach dem Süden, wenn sie auch verzückt tun und sich vor lauter Begeisterung nicht zu lassen wissen.«
Herr von Gerald lachte belustigt auf, Klaudine aber, die eben den Wein in die Gläßer goß, sagte mit einem Blick auf den am Geländer Stehenden: »Von der Musik verstehen Sie desto mehr.«
»Wer sagt Ihnen das?« fragte er stirnrunzelnd. Er trat an den Tisch. »Meines Wissens habe ich mein Licht nie bei Hofe leuchten lassen. Haben Sie mich je in Gegenwart der Hofgesellschaft eine Klaviertaste berühren sehen? Aber sehen Sie«, wandte er sich zu Herrn von Gerold, »weil ein dumpfes Gerücht umgeht, daß ich im stillen Kämmerlein meinen Göttern Bach und Beethoven opfere, so sucht man mich an dieser schwachen Stelle zu binden, nicht um meinetwillen – Gott behüte! Wäre mein Töchterchen nicht, so könnte ich getrost unter den Botokuden oder irgendwo leben, sie würden mich nicht holen, aber das Kind wollen sie in der Residenz haben, und deshalb mödite mich die Gnade Seiner Hoheit zum – Hoftheaterintendanten machen.« Er lachte gezwungen auf. »Eine kostbare Idee! Ich soll die Drähte der Scheinwelt von Brettern und Pappe in die Hand nehmen, soll Kulissen- und Theaterkanzleistaub schlucken, mich mit widerspenstigen Sängerinnen und Ballerinen herumschlagen – Gott soll mich bewahren! Lieber ziehe ich mich ganz nach Neuhaus oder auf mein Gut in Sachsen zurück, jage, säe und ernte, und gehe, wenn es sein muß, selbst hinter dem Pflug her, dann kann ich mir wenigstens sagen, daß ich an Leib und Seele gesund bleibe.«
Er nahm eines der Gläser von der Platte, die Klaudine ihm bot. »Nun, und Sie? Ich sehe nur zwei Gläser«, sagte er zu ihr. »Bei Hofe haben Sie es stets außerordentlich geschickt zu vermeiden gewußt, Ihr Glas an das meine klingen zu lassen – ich begriff das, standen sich doch Montecchi und Capuletti gegenüber, aber heute ist das anders. Ich stehe als Ihr Gast hier, und wenn Sie mir auch nicht erlauben werden, auf Ihr spezielles Wohl zu trinken, so möchte ich Sie doch bitten, mit mir anzustoßen in Erinnerung an eine Frau, welche wir beide lieben, auf das Wohl unserer verehrungswürdigen Herzoginmutter!«
Klaudine beeilte sich, ein Glas zu holen, und gleich darauf scholl der Silberton der drei aneinanderklingenden Gläser hell über den Garten hin.
»Die alten Bäume mögen sich wundern«, meinte Herr von Gerold frohgestimmt mit einem Blick nach den höchsten Eichenwipfeln. »Seit dem Gelage, das die Bilderstürmer bei den Weinfässern des brennenden Klosters gefeiert haben, ist wohl kein Gläserklang hier laut geworden. Aber er tönte so hell und rein, so glückverheißend, daß ich nochmals anstoßen möchte, und zwar auf einen, den ich sehr verehre, wenn ich ihm auch persönlich stets fern gestanden. Er ist ein edler Mensch, ein eifriger Beschützer der Künste und Wissenschaften, er liebt die Poesie – unser Herzog, er lebe!« In diesem Augenblick sprühte der goldene Rheinwein wie ein flimmernder Sonnenstrahl in weitem Bogen durch die Luft, und Baron Lothars Glas zerschellte drunten auf den Steinen.
»Ah Verzeihung, ich war sehr ungeschickt! Was für ein täppischer Mensch bin ich doch!« entschuldigte er sich mit einem erzwungenen Lächeln. »Der alte Bursche da« – er zeigte auf den Lindenast, an den sein Arm gestoßen – »ist noch gewaltig stramm, der weicht nicht aus. Nun, Seine Hoheit wird auch ohne meinen Bescheid leben!« Er zog den Handschuh der Rechten straffer und griff nach seiner Reitgerte. »Ich habe die Gastfreundschaft schlecht gelohnt, meine sofortige Selbstverbannung soll die Sühne sein. Ich wäre gern noch in diesem köstlichen Stilleben geblieben, und auch in die Glockenstube hätte ich einen Blick werfen mögen, aber das für ein andermal, wenn es gestattet ist. Und nun komm her, kleine Landstreicherin.« Er hob die kleine Elisabeth, die still auf einem Korbstühlchen am Geländer saß und mit großen Augen dem ungewohnten lauten Treiben auf der Plattform zusah, hoch zu sich empor und küßte sie. »Und da hinaus wird nicht wieder marschiert«, – er zeigte mit strenger Miene hinunter nach dem Garteneingang – »wenn du die Erdbeerdame besuchen willst, dann lasse es mir sagen, ich hole dich mit dem Wagen, so oft du magst. Hast du mich verstanden?«
Sie nickte schweigend und scheuen Blickes und strebte, wieder auf den Boden zu kommen.
»War er böse, der Onkel?« fragte sie ihren Papa, als er vom Garteneingang zurückkehrte, bis zu welchem er dem Fortreitenden das Geleit gegeben hatte.
»Nein, mein Kind, böse nicht, nur ein wenig wunderlich!« antwortete er. »Das arme Glas und der edle Rheinwein!« Er sah bedauerlich lächelnd auf die Scherben hinab. »Und der arme, verlästerte Lindenast, der es wirklich nicht getan hat!« setzte er schalkhaft hinzu. »Aber sage doch, Klaudine – war dieser Lothar nicht der ausgesprochene Liebling des Herzogs?« fragte er seine Schwester, die still und ein wenig vorgebeugt am Geländer stand, als horche sie noch auf die längst verhallten Huftritte.
»Er ist es wohl noch«, erwiderte sie mit weggewandtem Gesicht. »Du hörtest ja, daß man ihn an die Residenz zu fesseln sucht.« Ihr Ton klang unsicher und um die nervös zuckenden Lippen irrte ein erzwungenes Lächeln, als sie an dem Bruder vorüber nach der Küche ging, um das Mittagbrot fertig zu machen. Da, inmitten des Wohnzimmers, stand der bereits angerichtete Tisch mit seinen drei Gedecken. Nun ja, das waren altmodische, verbogene Zinnteller, von welchem man aß. Die Großmama hatte bei der Übersiedlung nach ihrem Witwensitz alles Silbergerät zurückgelassen – der große, herrliche Silberschatz sollte nicht zersplittert werden – und nur