Armadale. Уилки КоллинзЧитать онлайн книгу.
als er auf dem Felde gesunden worden war. Eine Börse, die einen Sovereign und ein paar Schillinge enthielt, eine Pfeife, ein Tabaksbeutel, ein Taschentuch und ein kleiner Trinkbecher von Horn wurden der Reihe nach zum Vorschein gebracht. Der letzte Gegenstand aber fand sich nachlässig zusammengedrückt in der Brusttasche des Rockes; es war ein geschriebenes Zeugnis datiert und unterzeichnet, doch fehlte die Adresse des Ausstellers. Die Geschichte des Fremden war, soweit dieses Document dieselbe erzählte, in der That eine traurige. Er war, wie es schien, eine kurze Zeit als Unterlehrer an einer Schule angestellt gewesen; da sich aber Spuren einer Krankheit bei ihm gezeigt hatten, von der man befürchtet, daß sie ansteckend sein und somit der Schule Schaden bringen könne, war er in die Welt hinausgestoßen worden. Es wurde ihm in seiner Amtsverwaltung nicht das geringste Mißverhalten zur Last gelegt; im Gegentheil, der Inhaber der Schule bezeugte dem Unterlehrer mit Vergnügen seine Fähigkeit und seine gute Aufführung und drückte seine aufrichtige Hoffnung aus, daß er mit Hilfe der Vorsehung bald in einem andern Hause seine Gesundheit wiederfinden möge.
Das geschriebene Zeugniß, welches ihnen diesen flüchtigen Blick in die Geschichte des Mannes gestattete, leistete zugleich noch einen andern Dienst. Aus diesem Zeugniß nämlich, in Verbindung mit den Anfangsbuchstaben in den Büchern, ersahen der Magistratsherr und der Gastwirth wenigstens so viel, daß der Mann den eigenthümlich häßlichen Namen Ozias Midwinter führe.
Mr. Brock legte das Zeugniß bei Seite; er vermuthete, daß der Schulinhaber absichtlich seine Adresse hinzuzufügen unterlassen, um im Falle des Todes seines Unterlehrers aller Verantwortlichkeit zu entgehen. Jedenfalls war es unter den obwaltenden Umständen offenbar nutzlos, die Angehörigen des unglücklichen Kranken ermitteln zu wollen, falls er deren überhaupt besaß. Er war einmal nach dem Wirthshause gebracht worden, und die Menschlichkeit forderte, daß er vor der Hand dort gelassen werde. Die Kosten konnten, falls das Schlimmste zum Schlimmen kam, vielleicht durch mitdthätige Beiträge der Nachbarn oder durch eine Kirchencollecte nach der Predigt aufgebracht werden. Indem er dem Gastwirthe die Versicherung gab, daß er diesen Theil der Frage in Erwägung ziehen und ihn dann von dem Erfolge unterrichten wolle, verließ Mr. Brock das Wirthshaus, ohne sich in dem Augenblicke daran zu erinnern, daß er seinen Zögling dort zurückgelassen.
Noch ehe er fünfzig Schritte vom Hause entfernt war, holte Allan ihn ein. Dieser war während der ganzen Untersuchung im Wirthshause ungewöhnlich ernst und schweigsam gewesen, doch hatte er jetzt seine ganze natürliche Lebhaftigkeit wiedergefunden. Ein Fremder würde ihn vielleicht eines Mangels an Mitgefühl beschuldigt haben.
»Dies ist eine traurige Geschichte«, begann der Pfarrer. »Ich weiß wirklich nicht, was ich eigentlich für jenen unglücklichen Menschen thun soll«
»Sie dürfen sich darüber vollkommen beruhigen, Sir«, entgegnete der junge Armadale in seiner unbekümmerten Weise. »Ich habe vor einer Minute alles mit dem Wirthe abgemacht.«
»Du!« rief Mr. Brock im höchsten Erstaunen.
»Ich habe ihm bloß einige einfache Instructionen gegeben«, fuhr Allan fort. »Unser Freund, der Unterlehrer, soll mit allem versehen werden, dessen er bedarf, und dazu wie ein Prinz behandelt werden; und wenn der Arzt und der Wirth ihr Geld verlangen, so sollen sie zu mir kommen«
»Mein lieber Allan!« sagte Mr. Brock in sanft vorstellendem Tone. »Wann wirst Du nur lernen zu überlegen, ehe Du Deinen großmüthigen Eingebungen folgst? Du giebst bereits für Deinen Schiffbau mehr Geld aus, als Dir —«
»Ja, denken Sie nur! Wir haben vorgestern die ersten Planken des Verdecks gelegt«, sagte Allan, in seiner gewohnten leichtfüßigen Manier zu dem neue Gegenstande übergehend. »Es sind gerade genug Planken gelegt, daß man darauf gehen kann, wenn man nicht zum Schwindel geneigt ist. Ich will Ihnen die Leiter hinauf helfen, Mr. Brock, wenn Sie nur mitkommen und es versuchen wollen.«
»Höre mich an«, versetzte der Pfarrer. »Ich rede jetzt nicht von der Jacht. Das heißt, ich erwähne der Jacht bloß als einer Illustration —«
»Und zwar eine sehr hübsche Illustration«,« bemerkte der unverbesserliche Allan. »Wenn Sie mir in ganz England ein hübscheres kleines Fahrzeug von ihrer Größe finden können, so will ich morgen den Schiffbau für immer aufgeben. Aber, wo waren wir in unserer Unterhaltung, Sir? Ich fürchte fast, wir haben den Faden verloren.«
»Ich fürchte fast, daß einer von uns beiden die Gewohnheit hat, jedes mal den Faden zu verlieren, sobald er die Lippen öffnet«, entgegnete Mr. Brock. »Komm, komm, Allan, dies ist eine ernste Sache. Du hast Dich für Kosten verantwortlich gemacht, die Du vielleicht nicht zu bestreiten im Stande sein magst. Ich bin weit entfernt, das laß Dir gesagt sein, Dich wegen Deines freundlichen Mitgefühls für diesen armen freundlosen Menschen zu tadeln —«
»Machen Sie sich keine Gedanken um ihn, Sir; er wird schon durchkommen – in einer Woche oder zweien wird er schon wieder auf den Beinen sein. Ein vortrefflicher Bursche, das bezweifle ich keinen Augenblick. Gesetzt, Sie lüden ihn zu Tische ein, Mr. Brock, sobald er wieder genesen ist? Ich möchte wohl, wenn wir alle Drei gemüthlich und freundschaftlich beim Weine sitzen, wissen Sie, aus ihm herausbekommen, wie er zu seinem unerhörten Namen kam. Ozias Midwinter! Beim Himmel, sein Vater sollte sich schämen!«
»Willst Du mir eine Frage beantworten, ehe ich hineingehe?« sagte der Pfarrer, verzweiflungsvoll vor seinem Gartenpförtchen stillstehend »Die Rechnung dieses Mannes für Logis und ärztliche Behandlung mag sich, ehe er wieder gesund ist – falls er überhaupt wieder genesen sollte – auf zwanzig bis dreißig Pfund Sterling belaufen. Wie willst Du dies bezahlen?«
»Wie sagt doch gleich der Großkanzler der Schatzkammer, wenn er mit seinen Rechnungen in eine Klemme gerathen ist, aus der er keinen Ausweg sieht?« frug Allan. »Er unterrichtet seinen ehrenwerthen Freund stets, daß er völlig bereit ist, einen – wie heißt es gleich —«
»Einen Rand?« ergänzte Mr. Brock.
»Ganz recht! Ich habe große Aehnlichkeit mit dem Großkanzler der Schatzkammer. Ich bin voll kommen bereit, »einen Rand zu lassen.« Die Jacht, Gott segne sie, verschlingt nicht alles. Falls ich um ein paar Pfund zu kurz komme, so machen Sie sich keine Sorgen, Sir! Ich bin nicht stolz; ich will das Fehlende mit dem Hute in der Hand in der Nachbarschaft sammeln. Der Henker hole die Pfunde, Schillinge und Pence! Ich wollte, sie könnten sich alle drei, gleich den Beduinenbrüdern in der Schaubude, gegenseitig aufessen! Erinnern Sie sich nicht der Beduinenbrüder, Mr. Brock? »Ali wird eine brennende Fackel nehmen und in den Hals seines Bruders Muli hinunterspringen, Muli wird eine brennende Fackel nehmen und in den Hals seines Bruders Hassan hinunterspringen, Hassan aber wird die dritte brennende Fackel nehmen und zum Schlusse der Vorstellung in seinen eignen Hals hinunterspringen und die Zuschauer in totaler Finsternis; zurücklassen!« Vortrefflich das – das nenne ich echten Witz! Warten Sie einen Augenblick! Wo waren wir gleich? Wir haben abermals den Faden verloren. O, ich erinnere mich – Geld! Eine Sache«, schloß Allan, der gar nicht daran dachte, daß er einem Geistlichen socialistische Lehren predigte, »eine Sache, die ich mir nicht in meinen dicken Kopf hineinzutrommeln vermag, ist das Aufheben, das stets gemacht wird, wenn Jemand Geld weggiebt. Warum können nicht die Leute, die Geld übrig haben, dasselbe denjenigen geben, die keines übrig haben, und es dadurch in der ganzen Welt hübsch und gemüthlich machen? Sie empfehlen mir stets, Ideen zu kultivieren, Mr. Brock. Da haben Sie eine Idee, und beim Himmel, es scheint mir keine schlechte zu sein«
Mr. Brock stieß seinen Zögling gutmüthig mit seinem Stocke in die Rippen. »Geh zu Deiner Jacht zurück«, sagte er. »Das ganze Bißchen Klugheit, das Du in Deinem leichtsinnigen Kopfe besitzest, ist in Deinem Geschirrkasten an Bord geblieben. – Wie dies enden soll«, sprach der Pfarrer bei sich, sobald er allein war, »ist mir unbegreiflich. Ich wollte fast, ich hätte nie die Verantwortlichkeit für ihn auf mich genommen.«
Es vergingen drei Wochen, ehe der Fremde mit dem häßlichen Namen sich auf dem Wege der Genesung befand. Während dieses Zeitraumes hatte Allan sich regelmäßig in dem Wirthshause nach seinem Befinden erkundigt, und sobald es dem Kranken gestattet war, Besuche anzunehmen, war Allan der Erste, der an seinem Bette erschien. Bis dahin hatte Mr. Brock’s Zögling ein nicht mehr als natürliches Interesse an einem der wenigen romantischen Ereignisse seines einförmigen Landlebens gezeigt; er hatte keine Unvorsichtigkeit begangen und sich keinerlei