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Namenlos. Уилки КоллинзЧитать онлайн книгу.

Namenlos - Уилки Коллинз


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ist ein guter Junge, wenn man ihn nur gewähren läßt, setzte Miß Garth im Selbstgespräch hinzu, als Thomas gegangen war. Aber er ist nicht stark genug zu Concertbesuchen von zwanzig Meilen Entfernung. Ich sollte ja gestern Abend auch mit ihnen gehen. Ja, da könnt Ihr lange warten!

      Es schlug Neun, und der Minutenzeiger rückte dann noch zwanzig Minuten weiter, ehe wieder Schritte auf der Treppe sich hören ließen. Nun erschienen zwei Damen, die zusammen ins Frühstückszimmer herabstiegen, Mrs. Vanstone und ihre älteste Tochter.

      Wenn die persönlichen Reize von Mrs. Vanstone in einer früheren Lebenszeit lediglich auf ihrer angeborenen englischen Schönheit in Farbe und Frische beruht hätten, so mußte sie schon lange die letzten Reste ihres Ichs verloren haben; aber ihre Schönheit als junge Frau hatte sich nicht auf die gewöhnlichen nationalen Reize beschränkt, und sie war noch immer im Besitze von Vorzügen, welche sich weit seltener finden. Obschon sie in ihrem vierundvierzigsten Jahre stand, obschon sie in früheren Zeiten durch den frühzeitigen Verlust von mehr als einem ihrer Kinder und durch lange Krankheitsanfälle, die Folgen des Kummers über jene Verluste früherer Jahre, geprüft worden war, so bewahrte sie doch das schöne Ebenmaß und die weiche Feinheit der Züge, die einst mit dem alles verklärenden Glanze und der Jugendfrische ihrer Schönheit ein so herrliches Ganze bildeten, welche letztere sie freilich nun auf immerdar verloren hatte. Ihre älteste Tochter, die eben an ihrer Seite die Treppe niederstieg, war der Spiegel, in welchem sie sich selber aus früheren Jahren wiedererkennen und den Wiederschein ihrer eigenen Jugend erblicken konnte. Da lag in dichten Flechten auf der Tochter Haupt das schwere dunkle Haar, das bei der Mutter immer stärker mit Grau sich mischte; da auf der Tochter Wangen glühte das lieblich hingehauchte Roth, welches auf denen der Mutter verblichen war, um nie wieder aufzublühen. Miss Vanstone hatte schon die erste Reife des Weibes erreicht: sie hatte ihr sechs und zwanzigstes Jahr vollendet. Wenn sie den dunklen majestätischen Charakter der Schönheit ihrer Mutter erbte, so hatte sie doch deren Reize schwerlich alle geerbt. Obgleich der Schnitt ihres Angesichts derselbe war, waren doch die Züge kaum so zart, auch jenes Ebenmaß fehlte. Sie war auch nicht so groß. Sie hatte die dunklen braunen Augen ihrer Mutter, groß und sanft mit dem stetigen Glanze, den Mrs. Vanstones Blick verloren hatte, und dennoch lebte in ihnen nicht so viel Theilnahme, waren in ihrem Ausdruck nicht jene Feinheit und Tiefe der Empfindung: er war zart und weiblich, aber verschleiert durch eine gewisse ruhige Zurückhaltung, von der das Gesicht ihrer Mutter frei war. Wenn wir es wagen dürfen, Dies schärfer ins Auge zu fassen, werden wir nicht die Bemerkung machen, daß die moralische Kraft des Charakters und die höheren geistigen Fähigkeiten in den Aeltern oft geheimnißvoll abzunehmen scheinen auf dem Wege der Uebertragung auf die Kinder? In dieser Zeit böser nervöser Erschöpfung und allmälig weitergreifender Nervenschwäche ist es doch wohl möglich, daß dasselbe Gesetz – nicht so oft zwar, geben wir gern zu – auch für die leiblichen Vorzüge seine Geltung hat?

      Mutter und Tochter stiegen langsam die Treppe herunter, die erstere in Dunkelbraun gekleidet, einen indischen Shawl um die Schulter geworfen, die andere einfacher in Schwarz, mit einem glatten Kragen und Manschetten, auf dem Kleide ein dunkel-orangegelbes Band vorn am Busen. Als sie durch die Flur schritten und in das Frühstückszimmer traten, war Miss Vanstone noch ganz voll von dem alles Andere in den Hintergrund stellenden Thema des gesterabendlichen Concerts.

      – Ich bedaure sehr, Mama, daß Du nicht bei uns warst, sagte sie. Du bist so stark und so wohlauf gewesen seit dem letzten Sommer, Du hast Dich wieder um viele Jahre jünger gefühlt, so daß ich glaube, die Anstrengung wäre nicht zu groß für Dich gewesen.

      – Vielleicht nicht, meine Liebe, aber es war ebenso gerathen, das Sichere zu wählen.

      – Ganz gewiß, bemerkte Miss Garth, welche sich jetzt an der Thür des Frühstückszimmers zeigte. Sehen Sie Nora an (guten Morgen, meine Theure!) sehen Sie, sage ich, nur Nora an. Ein vollständig zerschelltes Wrack, ein leibhafter Beweis Ihrer Klugheit und der meinigen, daß wir zu Hause blieben. Das schlechte Gas, die üble Luft, die späte Zeit, was können Sie da Gutes erwarten? Sie ist auch nicht von Eisen, daher hat sie nun zu leiden. Nein, meine Theure, Sie dürfen es nicht leugnen. Ich sehe, Sie haben sich Kopfweh geholt.

      Noras dunkles, hübsches Gesicht erhellte sich zu einem Lächeln, dann hüllte es sich wieder in seine gewöhnliche ruhige Zurückhaltung.

      – Ein klein wenig Kopfweh; nicht halb so groß, um mich das Concert bereuen zu lassen, sagte sie und ging dann vor sich hin an das Fenster.

      An dem fernen Ende eines Gartens mit Gehege ruhte der Blick auf einem Strom und einigen Pächterwohnungen, die jenseits desselben lagen, und auf der Oeffnung einer bewaldeten Felsschlucht (in Somersetshire ein »Combe« genannt), welche hier die Hügel, die den Hintergrund schlossen, durchbrach. In nicht großer Entfernung sah man einen Streifen Landstraße, welcher sich über die sanften Bodenwellen des offenen Feldes hinschlängelte, und auf diesem Streifen wurde die stattliche Figur Mr. Vanstones deutlich erkennbar, der eben von seinem Morgenspaziergange nach Hause zurückkehrte. Er schwenkte fröhlich seinen Stock, als er seiner ältesten Tochter am Fenster ansichtig wurde. Sie nickte ihm zu und winkte ihm anmuthig und hübsch mit der Hand zum Gegengruß, aber mit einer Art altmodischer Förmlichkeit, wie sie einer so jungen Dame seltsam zu Gesichte stand und auch zu einer Begrüßung nicht passen wollte, die doch dem Vater galt.

      Die Hausuhr schlug die heute vorgerückte Frühstücksstunde. Als der Minutenzeiger fünf Minuten weiter zeigte, wurde eine Thür in dem oberen Theile des Hauses zugeschlagen, eine helle jugendliche Stimme ließ sich mit lieblichem Gesange vernehmen, leichte rasche Schritte eilten die oberen Stufen herunter, hüpften in leichten Sprüngen auf den ersten Absatz, und eilten dann noch schneller den unteren Theil der Treppe herab. Einen Augenblick später, und die jüngere von Mr. Vanstones beiden Töchtern, den einzigen am Leben gebliebenen Kindern, wurde auf der alten braunen Eichentreppe schnell wie ein Lichtstrahl sichtbar und stellte sich, die letzten drei Stufen mit einem Satze überspringend, athemlos im Speisezimmer ein, um den Familienkreis vollzählig zu machen.

      Durch eins der seltsamsten Naturspiele, die die Wissenschaft noch unerklärt gelassen hat, hatte sie, das jüngste von Mr. Vanstones Kindern, keine erkennbare Aehnlichkeit mit ihren beiden Aeltern. Wie war sie zu ihrem Haar gekommen? Wie war sie zu ihren Augen gekommen? Auch Vater und Mutter hatten sich selbst diese Fragen vorgelegt, als sie zur Jungfrau heranwuchs, und waren sehr in Verlegenheit sie zu beantworten. Ihr Haar war von dem rein hellbraunen Ton, nicht vermischt mit Flachsgelb oder Gelb oder Roth, das man eher auf dem Gefieder eines Vogels als auf dem Haupte eines Menschlichen Wesens findet. Es war sanft und reich und wallte von ihrer Stirn hernieder in regelmäßigen Flechten, doch für Manche war es ohne Reiz und Leben, bei seinem gänzlichen Mangel an Schattierung, in der einförmigen Reinheit seiner ganz hellbraunen Farbe. Ihre Augenbrauen und Wimpern waren um einen Schatten dunkler als ihr Haupthaar und schienen für veilchenblaue Augen wie geschaffen, die ihren höchsten Zauber üben, wenn sie gepaart sind mit einer schönen Gesichtsfarbe. Aber hier gerade war der Punkt, wo ihr Gesicht sein Versprechen in der auffallendsten Weise nicht hielt. Die Augen, welche hätten dunkel sein sollen, waren unbegreiflicher und störenderweise von heller Farbe, sie waren von jenem farblosem Grau, das, obschon wenig anziehend an sich, doch den selten ausgleichenden Vorzug besitzt, die feinsten Gedankenschattierungen, die zartesten Gefühlssteigerungen, die tiefste Leidenschaft mit einer Durchsichtigkeit des Ausdrucks aussprechen zu können, mit der dunkle Augen nicht wetteifern können. Solchergestalt völlig sich selbst widersprechend im oberen Theile ihres Gesichts, war sie kaum weniger in Widerstreit mit den bestehenden Gesetzen der Harmonie in dem unteren. Ihre Lippen hatten die echte weibliche Zartheit des Schnittes, ihre Wangen die liebliche Rundung und schwellende Frische der Jugend, aber der Mund war zu groß und fest, das Kinn zu stark ausgeprägt und zu groß für ihr Geschlecht und ihr Alter. Ihre Gesichtsfarbe war von derselben Farbmonotonie, die ihr Haar kennzeichnete, sie war von derselben sanften, warmen, milchweißen Schönheit ohne eine Nuance von Farbe auf den Wangen, ausgenommen, wenn sie eine ungewöhnliche Körperanstrengung oder eine plötzliche geistige Aufregung hatte. Das ganze Gesicht, das so auffallend war durch seine starken Gegensätze, erhielt noch ein besonderes Interesse durch seine außerordentliche Beweglichkeit. Die großen blitzenden hellgrauen Augen standen kaum einen Augenblick still, alle Schattierungen des Ausdrucks zogen fortwährend über das schön geformte, immer wechselnde Gesicht mit einer schwindelnden Schnelligkeit,


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