Joseph Balsamo Denkwürdigkeiten eines Arztes 1. Александр ДюмаЧитать онлайн книгу.
vornehmer Herr, wissen Sie den Namen dieses vornehmen Herrn?«
»Der Herzog von Richelieu.«
»Wie! der alte Marschall?«
»Ja, der Marschall, so ist es.«
»Aber ich setze voraus, er läßt solche Bücher nicht vor Fräulein Andrée liegen?«
»Im Gegentheil, er läßt sie überall liegen.«
»Ist Fräulein Andrée auch Ihrer Ansicht, daß diese Bücher schlechte Bücher sind?« fragte der Reisende mit einem hinterhältischen Lächeln.
»Fräulein Andrée liest sie nicht, mein Herr,« antwortete Gilbert trocken
Der Reisende schwieg einen Augenblick. Diese seltsame Natur, eine Mischung von Gutem und Schlechtem, von Schüchternheit und Keckheit, interessirte ihn offenbar unwillkührlich.
»Und warum haben Sie diese Bücher gelesen, da Sie wußten, daß sie schlecht sind?« fuhr derjenige fort, welchen der alte Gelehrte unter dem Namen Acharat bezeichnet hatte.
»Weil ich bei dem Oeffnen derselben ihren Werth nicht kannte.«
»Sie haben dies jedoch leicht ergründet?«
»Ja, mein Herr.«
»Und Sie fuhren nichtsdestoweniger fort zu lesen?«
»Ich fuhr fort.«
»In welcher Absicht?«
»Sie lehrten mich Dinge, die ich nicht wußte.«
»Und der Contrat social?«
»Er lehrt mich Dinge, die ich errathen hatte.«
»Welche?«
»Daß alle Menschen Brüder, daß die Gesellschaften, welche Leibeigene oder Sklaven haben, schlecht organisirt sind; daß eines Tages alle Menschen gleich sein werden.«
»Ah! ah!« machte der Reisende.
Es trat ein kurzes Stillschweigen ein; Gilbert und sein Gefährte marschirten mittlerweile vorwärts; der Reisende zog das Pferd am Zügel, Gilbert hielt die Laterne in der Hand.
»Sie haben also große Lust, zu lernen, mein Freund?« sagte leise der Reisende.
»Ja, mein Herr, es ist mein größter Wunsch.«
»Und was möchten Sie gern lernen?«
»Alles,« antwortete der junge Mann.
»Und warum wollen Sie lernen?«
»Um mich zu erheben.«
»Bis wohin?«
Gilbert zögerte. Er hatte offenbar ein Ziel in seinem Geiste; doch dieses Ziel war sein Geheimniß und er wollte es nicht nennen.
»Wohin der Mensch gelangen kann,« erwiederte er.
»Doch Sie haben wenigstens etwas studirt?«
»Nichts. Wie soll ich studiren, da ich nicht reich bin und in Taverney wohne?«
»Wie! Sie wissen nicht ein wenig von der Mathematik?«
»Nein.«
»Von der Physik?«
»Nein.«
»Von der Chemie?«
»Nein. Ich kann nur lesen und schreiben; doch ich werde Alles dies verstehen.«
»Wann?«
»Einst.«
»Durch welches Mittel?«
»Ich weiß es nicht; aber ich werde es verstehen.«
»Seltsames Kind!« murmelte der Reisende.
»Und dann . . .« sagte Gilbert mit sich selbst sprechend.
»Nun?«
»Ja.«
»Was?«
»Nichts.«
Gilbert und derjenige, welchem er als Führer diente, marschirten indessen seit ungefähr einer Viertelstunde; der Regen hatte gänzlich aufgehört und die Erde fing an den scharfen Wohlgeruch auszudünsten, der im Frühjahr die glühenden Ausströmungen des Sturmes ersetzt.
Gilbert schien in ein tiefes Nachdenken versunken zu sein.
»Mein Herr,« sagte er plötzlich, »wissen Sie, was der Sturm ist?«
»Allerdings weiß ich es.«
»Sie?«
»Ja, ich.«
»Sie wissen was der Sturm ist? Sie wissen was den Blitz verursacht?«
Der Reisende lächelte und sprach:
»Es ist die Combination von zwei Electricitäten, der Electricität der Wolken und der Electricität des Bodens.«
Gilbert stieß einen Seufzer aus.
»Ich verstehe nicht,« sagte er.
Vielleicht war der Reisende im Begriff, dem armen jungen Manne eine verständlichere Erklärung zu geben, aber leider glänzte in diesem Augenblick ein Licht durch das Blätterwerk.
»Ah! ah! was ist das?« rief der Unbekannte.
»Das ist Taverney.«
»Wir sind also an Ort und Stelle?«
»Hier ist das Hofthor.«
»Oeffnen Sie.«
»Oh! mein Herr, das Thor von Taverney öffnet sich nicht nur so.«
»Taverney ist also ein Kriegsplatz? Klopfen Sie immerhin.«
Gilbert näherte sich dem Thore und klopfte einmal mit dem Zögern der Schüchternheit.
»Oh! oh!« sagte der Reisende, »man wird Sie nie hören, mein Freund; klopfen Sie stärker.«
Es deutete in der That nichts an, daß die Aufforderung von Gilbert gehört worden war; Alles blieb stille.
»Sie nehmen die Sache auf sich?« sagte Gilbert.
»Haben Sie nicht bange.«
Gilbert zögerte nicht länger; er verließ den Klopfer und hing sich an die Glocke, welche einen so scharfen, mächtigen Ton von sich gab, daß man sie hätte auf eine Stunde hören können.
»Meiner Treue! wenn Ihr Baron diesmal nicht gehört hat, so muß er taub sein.«
»Ah! Mahon bellt,« sprach der junge Mann.
»Mahon!« versetzte der Reisende; »das ist ohne Zweifel eine Artigkeit Ihres Barons gegen seinen Freund den Herzog von Richelieu.«
»Ich weiß nicht, was Sie damit sagen wollen, mein Herr.«
»Mahon ist die letzte Eroberung des Marschalls.«
Gilbert stieß einen zweiten Seufzer aus und sprach:
»Ach! ich habe Ihnen bereits gestanden, daß ich nichts weiß, mein Herr.«
Diese zwei Seufzer faßten für den Fremden eine Reihenfolge verborgener Leiden und unterdrückter, wenn nicht getäuschter Bestrebungen zusammen.
In diesem Augenblick ließ sich ein Geräusch von Tritten hören.
»Endlich!« rief der Fremde.
»Es ist der gute La Brie,« sagte Gilbert.
Die Thüre wurde geöffnet; doch bei dem Anblick des Fremden und seines seltsamen Gefährtes wollte der überrumpelte La Brie, der nur Gilbert zu öffnen glaubte, wieder schließen.
»Verzeiht, verzeiht, Freund,« sprach der Reisende, »wir kommen absichtlich hierher, und Ihr müßt uns nicht die Thüre vor der Nase zuschlagen.«
»Mein Herr, ich muß den Herrn Baron benachrichtigen, daß ein unerwarteter Besuch . . .«
»Es ist nicht der Mühe werth, ihn zu benachrichtigen .. . glaubt mir! Ich will mich der Gefahr eines bösen Gesichtes aussetzen, und wenn man mich fortjagt, so geschieht es nur, dafür stehe ich Euch, nachdem ich mich erwärmt, getrocknet und gefüttert