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Die Schlucht. Иван ГончаровЧитать онлайн книгу.

Die Schlucht - Иван Гончаров


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legten sie wieder hin, kauten langsam das Brot, lachten und sprachen nicht, sondern verrichteten ernsthaft, fast mit Andacht, die schwere Arbeit des Essens.

      Raiski wollte sie zeichnen, diese Gruppe von müden, ernsten, gelbbraunen Männern, die an Polynesier erinnerten, diese vertrockneten, sonnverbrannten Hände mit den steifen Fingern und den fest eingewachsenen, gleichsam eisernen Nägeln, diese Gesichter mit den sich im Gleichmaß weit öffnenden, langsam kauenden Kiefern, diesen Hunger, der sich an Brot und Lauch und Grütze satt aß.

      Ja, das war der Hunger, nicht der Appetit: der Bauer kennt keinen Appetit. Der Appetit ist ein Ergebnis des Faulenzens, des Wohllebens, der »Motion«, der Hunger dagegen ein Produkt der Zeit und der schweren Arbeit.

      »Welch ein breites Bild der Stille und des Schlafes!« dachte Raiski, während er seinen Blick in die Runde schweifen ließ. »Wie ein Grab! Ein weiter Rahmen für einen Roman – fragt sich nur, was ich in diesen Rahmen hineinstellen soll!«

      Er zeichnete gleichsam in Gedanken all die Häuschen ab, prägte sich die Physiognomien der Passanten ein, gruppierte bereits die Tante und ihre Umgebung in dem ihm vorschwebenden Rahmen.

      Als Hauptgestalt des Ganzen erschien ihm vorerst nur Marsinka – sie bildete den Mittelpunkt des Gemäldes. Die Gestalt der Bjelowodowa war in den Hintergrund getreten und stand dort ganz einsam und verlassen.

      Mechanisch und langsam ging er durch die Straßen und verarbeitete sein neues Material. Alle Gestalten standen im Kopfe fertig vor ihm, er sah sie dort alle so, wie sie lebten.

      »Wie, wenn auf diesem schläfrigen, unbeweglichen Hintergrunde sich ein großes Gemälde der Leidenschaft abspielte?« dachte er. Welches Leben würde sich plötzlich in diesem Rahmen entwickeln! Welche Farbenfülle! . . . Aber woher die Farben nehmen, und woher die Leidenschaft? . . .

      »Die Leidenschaft!« wiederholte er still für sich, fast in heftiger Wallung. »Ach, wenn doch ihre sengende Glut mich selbst ergreifen und durchlodern wollte, wenn sie den Künstler in mir ganz aufzehrte, daß ich blind in ihr versänke und dieses innere Doppelleben, dieses quälende zweite Gesicht aus meinem Wesen herausmerzte! Nicht mit den schauenden Sinnen, als Beobachter anderer, will ich ihre Glut durchleben, sondern mit dem eigenen Ich, mit Nerven und Mark, mit Galle und Blut – und dann will ich es malen, dieses Gehenna des menschlichen Lebens! Die Leidenschaft Sophies . . . nein, nein!« dachte er kalt. »Sie steht über dieser Welt, über der Leidenschaft . . . und die Leidenschaft Marsinkas . . .« – er mußte unwillkürlich lächeln.

      Beide Bilder verblaßten, und er senkte nachdenklich den Kopf und blickte gleichgültig zur Seite.

      »Ja, sie werden beide ihren Roman haben,« dachte er; »einen Roman, gewiß – aber es wird ein welker, kleinlicher Roman sein, bei der einen mit allerhand aristokratischem, bei der anderen mit kleinbürgerlichem Beiwerk. Dort das breite Gemälde eines kühlen Halbschlummers in marmornen Sarkophagen, mit Samtdecken, auf denen goldene Wappen gestickt sind; hier das Bild eines lauen Sommerschlafs auf grünen Matten, inmitten von Blumen, unter freiem Himmel – ganz traut und gemütlich, aber doch immer ein Schlaf, und zwar ein Schlaf, aus dem es kein Erwachen gibt.«

      Er ging jetzt rascher – er hatte sich erinnert, daß seine Wanderung ein Ziel hatte, und er sah sich um, ob er nicht jemanden sähe, den er nach der Wohnung des Gymnasiallehrers Leontij Koslow fragen könnte. Kein Mensch war auf der Straße, kein Lebenszeichen rings zu schauen. Endlich entschloß er sich, in eins der kleinen Holzhäuser einzutreten.

      Auf dem Hausflur schlug ihm ein abscheulicher Dunst entgegen, daß er sich die Nase zuhalten mußte und sein Blick hastig über die drei vom Flur nach dem Innern des Hauses gehenden Türen glitt: welche sollte er öffnen? Hinter der einen Tür ließ sich ein Geräusch vernehmen, und er betrat das kleine Vorzimmer.

      »Wer ist da?« fragte ganz verdutzt eine alte Frau, die ihm, mit beiden Händen einen schweren Samowar tragend, entgegentrat.

      »Können Sie mir nicht sagen, wo hier der Lehrer Leontij Koslow wohnt?« fragte Raiski.

      Sie sah ihn noch immer wortlos, mit weit aufgerissenen, erschrockenen Augen an.

      »Wer ist da?« ließ sich aus dem anstoßenden Zimmer eine männliche Stimme vernehmen, während gleichzeitig ein Schlurren von Pantoffeln näher kam und der Kopf eines etwa fünfzigjährigen Mannes in der Tür erschien. Er trug einen buntscheckigen Schlafrock und hielt ein blaues Tuch in der Hand.

      »Nach irgendeinem Lehrer fragt er!« sagte die erschrockene Alte.

      Der Mann im Schlafrock sah Raiski gleichfalls ganz bestürzt an.

      »Was für ein Lehrer? Hier wohnt kein Lehrer . . .« sagte er und fuhr fort, den unerwarteten Besucher mit erstauntem Blick zu betrachten.

      »Entschuldigen Sie, ich bin hier nicht bekannt, bin erst heute früh hier angekommen. Zufällig bin ich hier in diese Straße geraten und wollte nur fragen . . .«

      »Wollen Sie nicht näher treten?« lud ihn der Hausherr freundlich ein.

      Raiski folgte ihm in ein kleines Empfangszimmer, in dem einfache Lederstühle und ein ebensolches Kanapee an der Wand standen. Auch ein Spiegel war vorhanden, und unter dem Spiegel stand ein Spieltisch.

      »Ich bitte, Platz zu nehmen!« bat der Hausherr. »Nach welchem Lehrer beliebten Sie zu fragen?« fuhr er fort, als sie sich beide gesetzt hatten.

      »Nach Leontij Koslow.«

      »Es gibt hier einen Kaufmann Koslow, der hat einen Laden auf dem Basar . . .«, sagte der Hausherr nachdenklich.

      »Nein, der Koslow, den ich meine, ist Lehrer der klassischen Sprachen,« wiederholte Raiski.

      »Der klassischen Sprachen . . . nein, den kenne ich nicht . . . Erkundigen Sie sich einmal im Gymnasium – dort oben, auf der Anhöhe . . .«

      »So klug bin ich selber,« dachte Raiski. Und laut fügte er hinzu: »Ich glaubte, daß ihn hier jedermann kennt, weil er schon so lange in der Stadt ist.«

      »Erlauben Sie mal . . . ist er nicht Hauslehrer beim Adelsmarschall? Dann wohnt er dort auch – er sieht so brav aus . . .«

      »Nein, nein, der ist gar nicht brav!« sagte Raiski lächelnd und empfahl sich.

      Auf der Straße hielt er den ersten Passanten an und fragte ihn wiederum nach dem Lehrer Leontij Koslow. Der Gefragte dachte ein Weilchen nach, musterte Raiski vom Scheitel bis zur Sohle, wandte sich dann zur Seite, um sich mit den Fingern zu schneuzen, und sagte, nach der Richtung zeigend, aus der Raiski kam:

      »Der muß dort am Ende der Stadt wohnen, hinter der Brücke: dort wohnt irgendein Lehrer.«

      Zum Glück kam jetzt ein Kantonschreiber vorüber, der Raiskis Frage vernahm.

      »Was redest du da!« bemerkte er. »Das ist doch der Gärtner Koslow!«

      »Ich weiß, daß er Gärtner ist, aber er ist doch zugleich Lehrer,« versetzte der andere. »Man schickt doch Kinder zu ihm in die Lehre . . .«

      »Der ist es aber nicht, den der Herr sucht,« sagte der Schreiber mit einem Blick auf Raiski. »Bitte, folgen Sie mir!« fügte er hinzu und ging rasch voran.

      Raiski folgte ihm von Gasse zu Gasse, und sein Führer brachte ihn endlich vor das Haus, aus dessen Fenstern das Buchstabieren der Abcschützen klang.

      »Hier ist die Schule, und da sitzt auch der Lehrer selbst!« sagte er und zeigte nach dem Fenster des Hauses, durch das man den Lehrer sehen konnte.

      »Aber der ist’s doch nicht, den ich suche!« rief Raiski ärgerlich. Er war wütend über sich selbst, weil er vergessen hatte, sich zu Hause nach Koslows Adresse zu erkundigen.

      »Ja, dann hätten wir noch das Gymnasium oben auf der Anhöhe . . .« sagte der Schreiber.

      »Schon gut, ich danke Ihnen, ich werde ihn schon finden,« sagte Raiski und trat in das Schulhaus ein, in der Annahme, daß der Lehrer doch sicher wissen würde, wo Leontij wohnte.

      Seine Annahme erwies sich als richtig: der Lehrer legte den Finger auf die Stelle im Buche, die er gerade vorhatte, und ging, das Buch in der Hand, mit Raiski auf die Straße hinaus. Hier zeigte er ihm,


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