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Ein tiefes Geheimniss. Уилки КоллинзЧитать онлайн книгу.

Ein tiefes Geheimniss - Уилки Коллинз


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schnell als das Morgenfirmament selbst sichtbar.

      Sara stützte sich mit den Armen schwerfällig auf die Lehne eines Gartenstuhls und wendete ihr Gesicht nach der Kirche. Ihre Augen schweiften von dem Gebäude selbst nach dem Kirchhof daneben, verweilten hier und sahen, wie das Licht über dem einsamen Asyl, wo die Toten in Frieden ruhten, immer wärmer und wärmer ward.

      »O, mein Herz, mein Herz,« sagte sie. »Woraus muß es gemacht sein, daß es nicht bricht!«

      Sie blieb eine Weile so auf den Stuhl gestützt stehen, schaute mit wehmütigem Blick nach dem Kirchhof und dachte über die Worte nach, welche sie Kapitän Treverton zu dem Kinde hatte sagen hören. Sie schienen – wie jetzt auch alles andere in ihren Gedanken zu tun schien – in Zusammenhang mit dem Brief zu stehen, der auf Mistreß Trevertons Sterbebett geschrieben worden. Sie zog ihn wieder aus dem Busen und knitterte ihn zornig in den Fingern zusammen.

      »Immer noch in meinen Händen! Immer noch von keinem andern Auge gesehen als dem meinigen!« sagte sie, indem sie auf das zerknitterte Papier herabblickte. »Ist die Schuld aber mein? Wenn sie jetzt noch lebte, wenn sie gesehen hätte, was ich sah – wenn sie gehört hätte, was ich hörte – könnte sie dann von mir erwartet haben, daß ich ihm den Brief geben würde?«

      Ihr Gemüt ward durch den Gedanken, den ihre letzten Worte aussprachen, anscheinend beruhigt. Sie bewegte sich gedankenvoll von dem Gartenstuhl hinweg, ging über die Terrasse, einige hölzerne Stufen hinunter und folgte einem durch die Anlagen gebahnten Pfad, der von der östlichen Seite des Hauses nach der nördlichen führte.

      Dieser Teil des Gebäudes war seit länger als einem halben Jahrhundert unbewohnt und vernachlässigt gewesen. Zu Zeiten des Vaters des Kapitäns war die ganze Reihe der nördlichen Zimmer ihrer schönsten Gemälde und ihrer schönsten Möbels beraubt worden, um die westlichen Zimmer dekorieren zu helfen, welche jetzt den einzigen bewohnten Teil des Hauses bildeten und die für die Bequemlichkeit der Familie und der Gäste, welche hierherkamen, um vielleicht einige Zeit zu verweilen, auch vollkommen ausreichend waren.

      Das schloßähnliche Gebäude hatte ursprünglich die Form eines Vierecks gehabt und war stark befestigt gewesen. Von den vielen Verteidigungswerken des Platzes war bloß noch eins übrig – ein plumper, niedriger Turm, von welchem, sowie von dem nahgelegenen Dorfe das Haus seinen Namen Porthgenna Tower ableitete, und welcher an dem südlichen Ende der westlichen Front stand.

      Die Südseite selbst bestand aus Ställen und Nebengebäuden mit einer verfallenen Mauer vor derselben, welche rückwärts in östlicher Richtung rechtwinklig an die Nordseite stieß und auf diese Weise das Viereck vervollständigte, welches der ganze Umriß des Gebäudes darstellte.

      Die äußerliche Ansicht der Reihe nördlicher Gemächer vor dem verwilderten, vernachlässigten Garten unten verriet sehr deutlich, daß viele Jahre vergangen waren, seitdem irgend ein menschliches Wesen sie bewohnt. Die Fensterscheiben waren an manchen Stellen zerbrochen und an andern dicht mit Schmutz und Staub bedeckt. Hier waren die Läden ganz, dort waren sie bloß halb geöffnet. Der sich selbst überlassene Efeu, die wilde, aus den Spalten des Mauerwerks hervorwuchernde Vegetation, die Draperien von Spinnengeweben, das Geröll von Holz, Backsteinen, Kalk, zerbrochenem Glas, Lumpen und Fetzen schmutzigen Tuches, welches unter den Fenstern lag, alles erzählte dieselbe Geschichte von Verfall und Vernachlässigung.

      In Folge ihrer Lage schattig, hatte diese verfallene Seite des Hauses ein finsteres, kaltes, winterliches Ansehen, selbst an dem sonnigen Augustmorgen, wo Sara Leeson sich in den verlassenen nördlichen Garten hineinverirrte.

      Sich immer mehr in das Labyrinth ihrer eigenen Gedanken vertiefend, ging sie langsam an längst ausgerotteten Blumenbeeten vorüber und von Unkraut überwachsene Kieswege entlang. Ihre Augen schweiften mechanisch über diese Umgebung und ihre Füße trugen sie ebenso mechanisch überall hin, wo eine Spur von einem Wege war, mochte er führen, wohin er wollte.

      Die Erschütterung, welche die von ihrem Herrn in der Kinderstube gesprochenen Worte ihrem Gemüt mitgeteilt, hatte ihre ganze Natur sozusagen in die Enge getrieben und in ihr endlich den moralischen Mut erweckt, sich durch einen endgültigen und verzweifelten Entschluss zu waffnen.

      Immer langsamer die Pfade des verlassenen Gartens wandernd, sowie der Gang ihrer Ideen sie immer vollständiger von allen äußern Dingen abzog, blieb sie unwillkürlich an einem freien Raume stehen, der früher einmal ein wohlunterhaltener Rasenplatz gewesen und der jetzt noch die volle Aussicht auf die lange Reihe der unbewohnten nördlichen Zimmer darbot.

      Was bindet mich, den Brief überhaupt meinem Herrn zu geben? dachte sie bei sich selbst, indem sie das zerknitterte Papier träumerisch mit der flachen Hand wieder glatt strich. Meine Herrin starb, ohne mich dies beschwören zu lassen. Kann sie es vom Jenseits aus an mir heimsuchen, wenn ich bloß die Versprechungen halte, deren Beobachtung ich wirklich beschworen, aber weiter nichts tue? Kann ich es nicht auf das schlimmste, was geschehen kann, ankommen lassen, so lange ich gewissenhaft alles halte, wozu ich mich eidlich verbindlich gemacht?

      Hier schwieg sie in ihrem Selbstgespräch. Ihre abergläubischen Befürchtungen äußerten im Freuen und beim hellen Tageslicht noch denselben Einfluß wie in ihrem Zimmer zur Stunde der Finsternis.

      Sie schwieg, dann begann sie wieder den Brief glattzustreichen und sich die Worte der feierlichen Verpflichtung, welche Mistreß Treverton sie gezwungen hatte auf sich zu nehmen, ins Gedächtnis zurückzurufen.

      Wozu hatte sie sich wirklich verbindlich gemacht?

      Bloß dazu, den Brief nicht zu vernichten und ihn nicht mitzunehmen, wenn sie das Haus verließe.

      Außerdem hatte Mistreß Treverton noch gewünscht, daß der Brief ihrem Gemahl gegeben werde. War dieser letzte Wunsch bindend für die Person, welcher er anvertraut worden? Ja. War er so bindend wie ein Eid? Nein.

      Als sie zu diesem Schlusse kam, blickte sie auf. Anfangs ruhten ihre Augen gedankenlos auf der einsamen, verlassenen nördlichen Front des Hauses. Allmählich wurden sie durch ein besonderes Fenster angezogen, welches sich genau in der Mitte in dem ersten Stockwerke über dem Erdgeschoß befand. Es war das größte und düsterste der ganzen Reihe.

      Plötzlich leuchteten ihre Augen von einem seltsamen Ausdruck. Sie fuhr zusammen, eine schwache Röte überhauchte ihre Wangen und sie ging schnell näher hin an die Mauer des Hauses.

      Die Glasscheiben des großen Fensters waren gelb von Schmutz und Staub und phantastisch mit Spinneweben drapiert. Darunter lag ein Haufen Unrat auf der trockenen Erde eines Platzes umhergestreut, der vielleicht einmal ein Blumenbeet oder ein Ziergebüsch gewesen war.

      Die Form des Beetes war noch an einer länglichen Einfassung von Unkraut und wucherndem Gras zu erkennen.

      Sie folgte ihm unentschlossen der ganzen Runde nach, blickte bei jedem Schritt nach dem Fenster empor, blieb dann dicht unter demselben stehen, warf einen Blick auf den Brief in ihrer Hand und sagte kurz abgebrochen zu sich selbst:

      »Ich will es wagen.«

      So wie diese Worte ihren Lippen entfielen, eilte sie zurück nach dem bewohnten Teil des Hauses, folgte dem Korridor in der Küchenetage, welcher nach dem Zimmer der Haushälterin oder dem Wirtschaftszimmer führte, trat in dasselbe und nahm von einem Nagel in der Wand ein Schlüsselbund, an dessen es zusammenhaltendem Ringe ein Elfenbeintäfelchen befestigt war, auf welchem geschrieben stand: »Schlüssel zu den nördlichen Zimmern.«

      Sie legte die Schlüssel auf einem Schreibtisch in ihrer Nähe, ergriff eine Feder und fügte auf der leeren Seite des Briefes, den sie nach dem Diktat ihrer Herrin geschrieben, rasch noch folgende Zeilen hinzu:

      »Wenn diese Schrift jemals gefunden werden sollte – was, wie ich von ganzem Herzen bete, niemals der Fall sein möge –, so erkläre ich hiermit, daß ich zu dem Entschlusse, sie zu verbergen, gekommen bin, weil ich nicht wage, den Inhalt dieses Briefes meinem Herrn zu zeigen, an welchen er gerichtet ist. Indem ich tue, was ich mir jetzt vornehme zu tun, handle ich allerdings den letzten Wünschen meiner Herrin entgegen, breche aber doch nicht den feierlichen Schwur, den sie mich vor sich an ihrem Sterbebett ablegen ließ. Dieser Schwur verbietet mir, diesen Brief zu vernichten oder ihn mit fortzunehmen, wenn ich das Haus verlasse. Ich werde auch keins von beiden tun, denn meine Absicht


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