Das Judentum. Michael TillyЧитать онлайн книгу.
Fürsten Swjatoslaw. Nach dem Vordringen der muslimischen Choresmier und dem erzwungenen Übertritt des Chasarenherrschers zum Islam war die Geschichte der jüdischen Dynastie auf dem Thron des Chasarenreiches an ihrem Ende angelangt.
Spanien und Südfrankreich
Als römische Bürger hatten sich zahlreiche Juden im Gebiet des heutigen Spaniens und Portugals angesiedelt. Überall auf der Iberischen Halbinsel entstanden seit der Antike jüdische Gemeinden. Die christlichen Herrscher waren zunächst relativ tolerant gegenüber ihren jüdischen Untertanen; Misshandlungen und Verfolgungen waren selten. Erst mit dem Übertritt des Westgotenkönigs Rekkared I. († 601) vom arianischen Christentum zur römischen Kirche (587) verschlechterte sich die Lage der Juden und es begannen Verfolgungsmaßnahmen gegen sie. Bereits zwei Jahre nach Rekkareds Übertritt wurde angeordnet, dass Juden in seinem Reich fortan keine christlichen Ehefrauen, Konkubinen oder Sklaven mehr haben durften. Unter König Sisebut († 621), der um die Einheit seines Staatsvolkes auch in Glaubensfragen bemüht war, kam es im Jahre 613 zu zahlreichen Zwangstaufen und zur Vertreibung der nicht bekehrungswilligen Juden.
Nach der arabischen Invasion Südspaniens kamen viele Juden zusammen mit den maurischen Eroberern auf die Iberische Halbinsel, wobei sie nicht nur die babylonisch-jüdische religiöse Tradition, sondern auch die arabische Wissenschaft (z. B. Astronomie, Geographie, Mathematik, Medizin) und die griechische Philosophie (insbesondere Aristoteles) mitbrachten. Als unter einem »Schutzvertrag« (»Dhimma«) stehend (vgl. Kap. 1, Die östliche Diaspora) wurden sie auch im islamischen Spanien toleriert, besaßen eine eigene Gerichtsbarkeit und genossen Religionsfreiheit. Jüdische Höflinge, die sogar reiten durften und keine Signalkleidung tragen mussten, begleiteten muslimische Herrschaftsträger. Gebildete Juden an den Höfen der Kalifen der maurischen Kleinstaaten Spaniens dienten den muslimischen Herrschern als Ärzte, spezialisierte Handwerker, Finanzberater, Gelehrte, Schriftsteller, Übersetzer, Sekretäre, Militärs oder Minister, um deren politische und wirtschaftliche Macht zu festigen und auszuweiten.
Unter maurischer Herrschaft begann das »goldene Zeitalter«, eine mehrere Jahrhunderte andauernde kulturelle Blütezeit für das Judentum des Westens. Spanien wurde rasch zu einem anerkannten Zentrum der jüdischen Gelehrsamkeit. Unter arabischem Einfluss wurden nun erstmals Aussprache, Grammatik und Vokabular der hebräischen Sprache in wissenschaftlicher Weise bearbeitet.
Die spanischen jüdischen Gemeinden strebten nach Unabhängigkeit von den gaonäischen Schulen Bagdads (vgl. Kap. 1, Die östliche Diaspora) und nabelten sich allmählich von den ehemals dominierenden babylonischen Lehrautoritäten ab. In spanischen Städten entstanden eigenständige Zentren jüdischer Gelehrsamkeit und Kultur, lehrten bedeutende Rabbinen. Zwischen den jüdischen Gemeinden überall im Gebiet des ehemaligen Römischen Reichs und in der arabischen Welt bestanden starke Netzwerke in Gestalt grenzüberschreitender familiärer Beziehungen. Einige spanische Juden erlangten hohes Ansehen und politischen Einfluss durch die hierdurch erleichterte Anbahnung und Organisation von internationalen Handelsbeziehungen. Die allermeisten Angehörigen der jüdischen Gemeinden auf der Iberischen Halbinsel lebten jedoch als einfache Bauern oder Handwerker. Ein blühendes Kulturleben beschränkte sich auf die schmale jüdische Oberschicht.
Das Vordringen der radikalmuslimischen Almohaden aus Nordwestafrika und der anwachsende Druck durch die beginnende Reconquista, die christliche Rückeroberung Spaniens von Norden her, führten seit 1031 zum Niedergang des Kalifats von Córdoba. Viele Juden, unter ihnen die Familie des bedeutenden Philosophen Moses Maimonides (vgl. Kap. 2, Maimonides), flohen in die unter christlicher Herrschaft stehenden Territorien, wo sie zunächst aufgrund ihrer Sprachkenntnisse und ihrer Beziehungen zum islamisch dominierten Teil der Iberischen Halbinsel gebraucht wurden, um zwischen den beiden Machtbereichen zu vermitteln.
Während die spanischen Juden im christlichen Spanien zunächst noch geduldet wurden, nahm die Toleranz gegenüber Juden im islamischen Spanien nun ein jähes Ende. Im Jahre 1066 kam es in Granada, das in maurischem Besitz geblieben war, zu gewaltsamen Aktionen der muslimischen Bewohner der Stadt gegen die jüdische Bevölkerung. Die Überlebenden wurden aus dem Emirat von Granada vertrieben.
Im 13. Jahrhundert nahm der Druck auch im christlichen Teil des Landes zu. Die auf dem 4. Laterankonzil am 11. November 1215 verabschiedete Bestimmung, dass fortan alle Juden eine allgemein verbindliche besondere Tracht oder ein Abzeichen in Signalfarbe zu tragen hatten, durch die sie sich von der christlichen Bevölkerung unterscheiden sollten, wurde in Spanien prompt in die Tat umgesetzt. Im Jahre 1272 wurde erstmals in Spanien verboten, dass Juden unter Christen wohnen. Die verheerende Pestepidemie der Jahre 1348–1358 löste zahlreiche lokale Judenverfolgungen in dem Gebiet aus. Im Jahre 1391 kam es zunächst in Andalusien und Kastilien, dann auch in Aragón, Katalonien und auf den Balearen zu judenfeindlichen Ausschreitungen, Verfolgungen und Zwangstaufen. Viele Juden flohen wieder zurück in den islamischen Einflussbereich und nach Nordafrika; nicht wenige wanderten weiter bis in die Gebiete der heutigen Türkei und Griechenlands, wo sie ihre sefardischen Traditionen fortsetzen konnten.
In der Stadt Tortosa fand in den Jahren 1413 und 1414 eine Zwangsdisputation zwischen christlichen Magistern und Rabbinern aus dem Bereich der Krone Aragóns statt. Von den Christen festgelegte »Gesprächsthemen« waren u. a. der Vorwurf des jüdischen Wuchers und der Erweis der Messianität Jesu aus dem Talmud. Den beteiligten jüdischen Gelehrten wurde dabei keine gleichberechtigte Stellung oder gar die Möglichkeit zur Verteidigung ihrer Positionen zuerkannt. Im Anschluss an die Disputation wurden restriktive Maßnahmen gegenüber den jüdischen Gemeinden erlassen. Es kam zu zahlreichen Konversionen unter den verunsicherten spanischen Juden. Die unter Zwang Getauften erfuhren aber auch als Angehörige christlicher Gemeinden keine gesellschaftliche Anerkennung oder gar Gleichberechtigung. Als »Marranen« (»Schweinekerle«) blieben sie ausgestoßen und als angebliche »Geheimjuden« überdies der kirchlichen Inquisition verdächtig. Abtrünnigen Getauften drohte die Todesstrafe.
Als Vorabbildung einer zentralen Vorstellung des neuzeitlichen Antisemitismus (vgl. Kap. 1, Deutschland) kann die während dieser Zeit entstandene und in Spanien bis in die Neuzeit hinein anzutreffende Behauptung gelten, das »jüdische Blut« auch eines getauften Konvertiten verbiete seine gesellschaftliche Gleichberechtigung und sei ein Grund, seinen sozialen Aufstieg zu verhindern. An Christen mit jüdischem Familienhintergrund wurden in Spanien jahrhundertelang keine Kirchenämter vergeben.
Im Jahre 1480 begann die Inquisition unter dem ehemaligen Beichtvater der Königin Isabella, Thomas de Torquemada (1420–1498), auch getaufte Juden zu verfolgen, die unter dem Verdacht standen, auch als Christen weiterhin heimlich ihrem alten Glauben anzuhängen. Drei Jahre darauf wurden die Juden aus Andalusien ausgewiesen. Im Jahre 1491 kam es zur öffentlichen Verbrennung von Marranen unter dem Vorwurf angeblicher Hostienschändung – man nahm an, dass die Juden die Hinrichtung Jesu an Hostien, die sie aus den Kirchen gestohlen hatten, symbolhaft wiederholten – und (besonders um die Osterzeit) des Ritualmordes an Christenkindern. Unmittelbar nachdem im Jahre 1492 die letzte maurische Bastion in christliche Hand gefallen und die Reconquista abgeschlossen war, erließ Ferdinand II. von Aragón am 30. März auf Vorschlag der spanischen Inquisition die Anordnung, dass jeder der ca. 200.000 spanischen Juden, die sich nicht taufen lassen wollten, Kastilien und Aragón unverzüglich zu verlassen hatten. Vier Jahre später erfolgte die Vertreibung der Juden auch aus Portugal. Hunderttausende Juden flohen von der Iberischen Halbinsel entweder in den islamisch dominierten Raum oder nach Norden, in die Niederlande, nach Flandern und Norddeutschland. Spanischstämmige sefardische Juden aus Amsterdam gehörten zu den ersten Siedlern in den holländischen Kolonien in der Neuen Welt.
Edikt über die Ausweisung der Juden
Da wir darüber in Kenntnis gesetzt wurden, dass es in unseren Königreichen einige schlechte Christen gibt, die sich dem Judentum zugewandt haben und von unserem heiligen katholischen Glauben abgefallen sind, wofür der Hauptgrund im Umgang von Juden mit Christen liegt, haben wir in den Cortés, die wir in der Stadt Toledo im Jahre 1480 abgehalten haben, angeordnet, dass sich die besagten Juden in allen Städten, Ortschaften und Plätzen unserer Königreiche und Gebiete in Judenvierteln und an eigenen Orten absondern müssen, wo sie leben und wohnen sollen, in der Hoffnung, dass diese ihre Absonderung dem Übel abhelfen werde. Weiter haben wir untersucht