Gesammelte Werke. Odon von HorvathЧитать онлайн книгу.
sagte, daß er für Eugen sofort eine Stelle hätte, wenn – da dachte Eugen an Agnes. Er sagte sich, das wäre ja eine Stelle für das Mistvieh, das er gestern in der Thalkirchner Straße angesprochen und das ihn heute in der Schleißheimerstraße versetzt habe. Gestern hätte sie ihm ja erzählt, daß sie Schneiderin wäre und bereits seit fünf Monaten keine Stelle finden könnte. Heute könnte er ihr ja sofort eine Stelle verschaffen, es würde ihm vielleicht nur ein Wort kosten, als wäre er der Kaiser von China, den es zwar auch bereits nicht mehr geben würde. Gestern auf dem Oberwiesenfeld hätte er es nicht geglaubt, daß er heute versetzt wird. »Sie ist halt ein Mistvieh«, sagte er sich und fügte hinzu: »Wahrscheinlich ist auch der Pianist ein Mistvieh!«
Und Eugen warf mit den Mistviehern nur so um sich, alles und jedes wurde zum Mistvieh, die Swoboda, die Großmama, der Tisch, der Hut, das Bier und das Bierglas – – wie das eben so manchmal geschieht.
»Aber es ist doch schön von dem Pianistenmistvieh, daß er mir helfen möcht«, fiel es ihm plötzlich auf. »Er weiß doch gar nicht, ob ich am End nicht auch ein Mistvieh bin. Ich bin doch auch eins, ich hab ja auch schon Mistvieher versetzt.«
»Überhaupt sollten sich die Mistvieher mehr helfen«, dachte er weiter. »Wenn sich alle Mistvieher helfen täten, ging es jedem Mistvieh besser. Es ist doch direkt unanständig, wenn man einem Mistvieh nicht helfen tat, obwohl man könnt, bloß weil es ein Mistvieh ist.«
Und dann fiel es ihm auch noch auf, daß es sozusagen ein angenehmes Gefühl ist, wenn man sich gewissermaßen selbst bestätigen kann, daß man einem Mistvieh geholfen hat. Ungefähr so:
Zeugnis.
Ich bestätige gerne, daß das Mistvieh Eugen Reithofer ein hilfsbereites Mistvieh ist. Es ist ein liebes gutes braves Mistvieh.
Eugen Reithofer
Mistvieh.
55
»Sagen SIE, Herr Pianist«, wandte sich Eugen an das hilfsbereite Mistvieh, »ich kann ja jetzt leider nicht weiblich werden, aber ich weiß ein Mädel für Ihren Kommerzienrat in Ulm. Sie ist eine vorzügliche Schneiderin und Sie täten mir persönlich einen sehr großen Gefallen, Herr Pianist«, betonte er und das war natürlich gelogen.
Der Pianist sagte, das wäre gar nicht der Rede wert, denn das kostete ihm nur einen Telefonanruf, da sich jener Kommerzienrat zufällig seit gestern in München befände und er könne ihn sofort im Hotel Deutscher Kaiser anrufen – und schon eilte der hilfsbereite Pianist ans Telefon. »Also das ist ein rührendes Mistvieh«, dachte Eugen und Margarethe Swoboda sagte: »Das ist ein seltener Mensch und ein noch seltenerer Künstler.« Und die Großmama sagte: »Er lügt.«
Aber ausnahmsweise täuschte sich die Großmama, denn nach wenigen Minuten erschien der Pianist, als hätte er den Weltkrieg gewonnen.
Der Kommerzienrat war keine Lüge und seine wunderbaren Beziehungen waren nur insofern übertrieben, daß es nicht stimmte, daß sich seine Tochter in Neu-Ulm lediglich der Erziehung ihres kommerzienrätlichen Kindes widmen kann, sondern sie mußte als Schneiderin weiterarbeiten und erhielt nur ein kleines kommerzienrätliches Taschengeld.
Der Pianist konnte sich vor lauter Siegesrausch nicht sofort wieder setzen, er ging also um den Tisch herum und setzte Eugen auseinander, Agnes könne die Stelle sofort antreten, jedoch müßte sie morgen früh Punkt sieben Uhr dreißig im Hotel Deutscher Kaiser sein. Dort solle sie nur nach dem Herrn Kommerzienrat aus Ulm fragen und der nimmt sie dann gleich mit, er fährt nämlich um acht Uhr wieder nach Ulm.
Eugen fragte ihn, wie er ihm danken sollte, aber der Pianist lächelte nur: vielleicht würde mal Eugen ihm eine Stelle verschaffen, wenn er kein Pianist wäre, sondern eine Schneiderin.
Eugen wollte wenigstens das Telefongespräch bezahlen, aber selbst dies ließ er nicht zu. »Man telefoniert doch gern mal für einen Menschen«, sagte er.
Selbst die Großmama war gerührt, aber am meisten war es der brave Pianist.
56
So kam es, daß am nächsten Morgen Eugen bereits um sechs Uhr durch die Schellingstraße ging, damit er sich mit seiner Hilfe nicht verspätet, auf daß er sich ein gutes Zeugnis ausstellen kann.
Er wollte gerade bei der Tante im vierten Stock läuten, da sah er Agnes über die Schellingstraße gehen. Sie kam von ihrer Bank für Erwachsene und war zerknüllt und elend und Eugen dachte: »Schau, schau, bis heut morgen hat mich das Mistvieh versetzt!«
Die Sonne schien in der Schellingstraße und der Morgenwind überschritt bereits den Ural, als Agnes über Eugen erschrak. Doch er fragte sie nicht, woher sie komme, was sie getan und warum sie ihr Wort gebrochen und ihn versetzt hätte, sondern er teilte ihr lediglich mit, daß er für sie eine Stelle fand, daß sie schon heute früh zu einem richtigen Kommerzienrat gehen muß, der sie dann noch heute früh nach Ulm an der Donau mitnehmen würde. Sie starrte ihn an und sagte, er solle sich doch eine andere Agnes aussuchen für seine blöden Witze und sie bitte sich diese Frozzelei aus und überhaupt diesen ganzen Hohn – aber er lächelte nur, denn das Mistvieh tat ihm plötzlich leid, weil es ihm den Kommerzienrat nicht glauben konnte.
Das Mistvieh murmelte noch etwas von Roheit und dann weinte es. Er solle es doch in Ruhe und Frieden lassen, weinte das Mistvieh, es sei ja ganz kaputt und auch die Schuhe seien nun ganz kaputt.
Eugen schwieg und plötzlich sagte das Mistvieh, das könne es ja gar nicht geben, daß ihr ein Mensch eine Stelle verschafft, nachdem sie den Menschen versetzt hatte. Dann schwieg auch das Mistvieh.
Und dann sagte es: »Ich hätt wirklich nicht gedacht, daß Sie extra wegen mir herkommen, Herr Reithofer.«
»Wissens, Fräulein Pollinger«, meinte der Herr Reithofer, »es gibt nämlich etwas auch ohne das Verliebtsein, aber man hat es noch nicht ganz heraus, was das eigentlich ist. Ich hab halt von einer Stelle gehört und bin jetzt da. Es ist nur gut, wenn man weiß, wo ein Mensch wohnt.«
57
Und jetzt ist die Geschichte aus.
DER EWIGE SPIEßER