Geschlecht und Charakter: Eine prinzipielle Untersuchung. Otto WeiningerЧитать онлайн книгу.
auf einem Besitzen von Inhalten in Henidenform, beruht wohl auch das, was Mach »instinktive Erfahrung« nennt. Nahe dem Henidenstadium reden wir noch immer um die Sache herum, korrigieren uns bei jedem Versuche sie zu bezeichnen und sagen: »Das ist auch noch nicht das richtige Wort.« Damit ist naturgemäß Unsicherheit im Urteilen von selbst gegeben. Erst mit vollendeter Klärung wird auch unser Urteil bestimmt und sicher; der Urteilsakt selbst setzt eine gewisse Entfernung vom Henidenstadium voraus, selbst wenn durch ihn ein analytisches Urteil, das den geistigen Besitzstand des Menschen nicht vermehrt, ausgesprochen werden soll.
Der entscheidende Beweis aber für die Richtigkeit der Anschauung, welche die Henide W, den differenzierten Inhalt M zuschreibt und hier einen fundamentalen Gegensatz beider erblickt, liegt darin, daß, wo immer ein neues Urteil zu fällen und nicht ein schon lange fertiges einmal mehr in Satzform auszusprechen ist, daß in solchem Falle stets W von M die Klärung ihrer dunklen Vorstellungen, die Deutung der Heniden erwartet. Es wird die in der Rede des Mannes sichtbar werdende Gliederung seiner Gedanken dort, wo die Frau ohne helle Bewußtheit vorgestellt hat, als ein (tertiärer) männlicher Geschlechtscharakter von ihr geradezu erwartet, gewünscht und beansprucht, und wirkt auf sie wie ein solcher. Hierauf bezieht es sich, wenn so viele Mädchen sagen, sie wünschten nur einen solchen Mann zu heiraten, oder könnten zumindest nur jenen Mann lieben, der gescheiter sei als sie; daß es sie befremden, ja sexuell abstoßen kann, wenn der Mann dem, was sie sagen, einfach recht gibt und es nicht gleich besser sagt als sie; kurz und gut, warum eine Frau es eben als Kriterium der Männlichkeit fühlt, daß der Mann ihr auch geistig überlegen sei, von dem Manne mächtig angezogen wird, dessen Denken ihr imponiert, und damit, ohne es zu wissen, das entscheidende Votum gegen alle Gleichheitstheorien abgibt.
M lebt bewußt, W lebt unbewußt. Zu diesem Schlusse für die Extreme sind wir nun berechtigt. W empfängt ihr Bewußtsein von M: die Funktion, das Unbewußte bewußt zu machen, ist die sexuelle Funktion des typischen Mannes gegenüber dem typischen Weibe, das zu ihm im Verhältnis idealer Ergänzung steht.
Hiemit ist die Darstellung beim Problem der Begabung angelangt: der ganze theoretische Streit in der Frauenfrage geht heute fast nur darum, wer geistig höher veranlagt sei, »die Männer« oder »die Frauen«. Die populäre Fragestellung erfolgt ohne Typisierung; hier wurden über die Typen Anschauungen entwickelt, die auf die Beantwortung jener Frage nicht ohne Einfluß bleiben können. Die Art dieses Zusammenhanges bedarf jetzt der Erörterung.
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