Die Technik des Dramas. Gustav FreytagЧитать онлайн книгу.
als etwas Neues gegenübersteht und etwa folgenden Inhalt hat: Einem jungen Edelmann wird durch den Vater die Eifersucht gegen seine bürgerliche Geliebte so heftig aufgeregt, daß er sie und sich durch Gift tötet. Durch diese Umbildung ist ein Ereigniß der Wirklichkeit zu einer dramatischen Idee geworden. Von jetzt ab ist das wirkliche Ereigniß dem Dichter unwesentlich, der Ort, die Familiennamen fallen ab, ob in der That der Hergang so war, wie der Toten und ihrer Eltern Charakter und Stellung war, bekümmert durchaus nicht mehr; warme Empfindung und die erste Regung schöpferischer Kraft haben der Begebenheit einen allgemein verständlichen Inhalt und eine innere Wahrheit gegeben. Die Voraussetzungen des Stückes sind nicht mehr zufällige und in einem einzelnen Fall vorhandene, sie könnten gerade so hundertmal wieder eintreten, und bei den angenommenen Charakteren und dem gefundenen Zusammenhang würde der Ausgang immer wieder derselbe sein.
Hat der Dichter auf solche Weise den Stoff mit seiner Seele erfüllt, dann nimmt er etwa noch aus dem wirklichen Bericht, was ihm paßt, den Titel des Vaters und Sohnes, Vorname der Braut, Geschäft ihrer Eltern, vielleicht noch Einzelzüge, welche sich ihm für Verwerthung bequem fügen. Und daneben geht die weitere schöpferische Arbeit; die Hauptcharaktere entwickeln sich bis in ihre Einzelheiten und dazu die Nebenfiguren: ein ränkevoller Helfer des Vaters, ein anderes Weib im Gegensatz zu der Geliebten, die Persönlichkeiten der Eltern. Neue Momente der Handlung treten hinzu, alle diese Erfindungen durch die Idee bestimmt und gerichtet.
Diese Idee, der erste Fund des Dichters, die stille Seele, durch welche er den von außen an ihn tretenden Stoff vergeistigt, tritt ihm selbst nicht leicht als Gedanke gegenüber, sie hat nicht die farblose Klarheit eines abgezogenen Begriffes. Im Gegentheil ist das Eigenthümliche bei solcher Arbeit der Dichterseele, daß die Haupttheile der Handlung, das Wesen der Hauptcharaktere, ja auch etwas von der Farbe des Stückes zugleich mit der Idee in der Seele aufleuchten zu einer untrennbaren Einheit verbunden, und daß sie sofort wie ein Lebendes wirken, nach allen Seiten weitere Bildungen erzeugend. So ist allerdings möglich, daß dem Dichter die Idee seines Stückes, die er doch sehr sicher in der Seele trägt, niemals während dem Schaffen zur Ausbildung in Worten gelangt, und daß er sich erst später durch Nachdenken seine innere Habe in das geprägte Metall der Rede umsetzt und als Grundgedanken seines Dramas begreift. Möglich sogar, daß er als Schaffender die Idee richtiger nach den Gesetzen seiner Kunst empfunden hat, als er sich den Grundgedanken des Werkes in einem Satze zusammenfaßt.
Wenn es für ihn aber auch unbequem, zuweilen schwierig ist, die Idee des werdenden Stückes in eine Formel abzuziehen und in Worten zu beschreiben, so wird er doch gut thun, diese Abkühlung seiner warmen Seele schon im Beginn der Arbeit einmal zuzumuthen und scharf prüfend die gefundene Idee nach den Grundbedingungen des Dramas zu beurtheilen. Auch für den Fremden ist es lehrreich, aus dem fertigen Kunstwerk die verborgene Seele zu suchen und, wie unvollständig das auch immer möglich sei, in eine Formel zu fassen. Es läßt sich Manches daraus erkennen, was für die einzelnen Dichter charakteristisch ist. Es sei z. B. die Grundlage „Maria Stuart”: aufgeregte Eifersucht einer Königin treibt zur Tötung ihrer gefangenen Gegnerin. Und wieder von „Kabale und Liebe”: aufgeregte Eifersucht eines jungen Adligen treibt zur Tötung seiner bürgerlichen Geliebten, so wird diese nackte Formel zwar der ganzen Fülle des farbigen Lebens enthoben sein, welches im Gemüth des Schaffenden an der Idee haftet; trotzdem wird einiges Eigenthümliche an dem Bau beider Stücke schon aus ihr deutlich werden, z. B. daß der Dichter bei solcher Grundlage in die Nothwendigkeit versetzt war, den ersten Theil der Handlung vorzudichten, welcher das Entstehen der Eifersucht erklärt, daß also die treibende Kraft in den Hauptcharakteren selbst erst von der Mitte des Stückes aus wirksam wird, und daß die ersten Akte bis zum Höhenpunkt vorzugsweise die Bestrebungen der Nebenfiguren enthalten, diese tötliche Thätigkeit eines der Hauptcharaktere zu erregen. Er wird ferner bemerken, wie ähnlich im letzten Grunde Motiv und Bau dieser beiden Dramen Schillers ist und wie beide eine überraschende Aehnlichkeit mit Idee und Anlage des gewaltigeren Othello haben.
Der Stoff, welcher durch die dramatische Idee umgebildet wird, ist entweder vom Dichter eigens für sein Drama erfunden, oder er ist eine Anekdote aus dem Leben, welches den Dichter umgibt, oder ein Bericht, den die Geschichte darbietet, oder der Inhalt einer Sage, Novelle, poetischen Erzählung. In jedem dieser Fälle, wo der Dichter Vorhandenes benutzt, ist der Stoff bereits durch das Eindringen einer Idee mehr oder weniger vermenschlicht. Sogar in der oben erdachten Zeitungsanzeige ist die beginnende Umbildung bereits erkennbar. In dem letzten Satze: „Man spricht von einem Liebesverhältniß, welches u. s. w.” macht der Berichterstatter den ersten Versuch, die Thatsachen in eine innerlich zusammenhängende Geschichte zu wandeln, den Unglücksfall zu erklären und den Liebenden dadurch erhöhte Theilnahme zu verleihen, daß ihrem Wesen ein anziehender Inhalt gegeben wird. Dieser Vorgang des Umdeutens, durch welchen wirklichen Ereignissen ein den Bedürfnissen des Gemüths entsprechender Inhalt und Zusammenhang verliehen wird, ist kein Vorrecht des Dichters. Neigung und Fähigkeit dazu sind in allen Menschen und zu allen Zeiten thätig. Jahrtausende lang hat das Menschengeschlecht alles Leben des Himmels und der Erde sich so umgedeutet, es hat seine Vorstellungen von dem göttlichen Wesen mit menschlichen Ideen überreichlich erfüllt. Alle epische Sage ist aus einer solchen Umwandlung religiöser, naturhistorischer und zuweilen geschichtlicher Eindrücke in poetische Ideen hervorgegangen. Noch jetzt, seit die historische Bildung uns beherrscht und die Achtung vor dem thatsächlichen Zusammenhange der Weltbegebenheiten hoch gestiegen ist, erweist sich im Größten wie im Kleinsten dieser Drang die Ereignisse zu erklären. Bei jeder Anekdote, ja in dem unliebsamen Geklätsch der Gesellschaft ist dieselbe Thätigkeit sichtbar, mag nun das Wirkliche durch den Trieb umgewandelt werden, irgend einen Zug des kleinen Lebens heiter und anmuthig darzustellen, oder aus dem Bedürfniß des Erzählers, sich selbst im Gegensatz zu andern Menschen als sicherer und besser zu empfinden.
Auch der geschichtliche Stoff ist durch den Historiker bereits vermittelst einer Idee geordnet, bevor der Dichter sich seiner bemächtigt. Die Ideen des Geschichtschreibers sind allerdings nicht poetische, aber auch sie wirken bestimmend und bildend auf alle Theile des Werkes, welches durch sie hervorgerufen wird. Wer das Leben eines Mannes beschreibt, wer einen Abschnitt der vergangenen Zeit darstellt, auch er muß nach festen Gesichtspunkten die chaotische Stoffmasse ordnen, Unwesentliches ausscheiden, die Hauptsachen hervorheben. Noch mehr: er muß den Inhalt eines Menschenlebens oder einer Zeit zu verstehen suchen, ureigene Grundzüge, einen innern Zusammenhang der Ereignisse zu finden bemüht sein. Aber freilich zunächst einen innern Zusammenhang seines Stoffes mit vielem Andern, außerhalb Liegenden, das er nicht darstellt. Ja, er muß sogar in einzelnen Fällen die Ueberlieferung ergänzen und Unverständliches dadurch deuten, daß er den möglichen und wahrscheinlichen Inhalt desselben findet. Er wird endlich auch bei der Anordnung seines Werkes durch Gesetze des Schaffens bestimmt, welche zahlreiche Uebereinstimmungen mit den Compositionsgesetzen des Dichters haben. Und er vermag durch sein Wissen und seine Kunst aus dem rohen Stoffe ein Bewunderung erregendes Bild zu schaffen, den mächtigsten Eindruck auf die Seele des Lesers hervorzubringen. Aber er unterscheidet sich von dem Dichter dadurch, daß er gewissenhaft das wirklich Geschehene so zu verstehen sucht, wie es thatsächlich in die Erscheinung getreten war, und daß der innere Zusammenhang, den er sucht, durch eine Weltordnung hervorgebracht wird, welche wir als göttlich, unendlich, unfaßlich verehren. Dem Geschichtschreiber ist der Thatbestand selbst und die Bedeutung desselben für den menschlichen Geist der höchste Fund. Dem Dichter ist das Höchste die schöne Wirkung der eigenen Erfindung, ihr zu Liebe wandelt er behaglich spielend den wirklichen Thatbestand. Deshalb ist dem Dichter jedes Werk des Geschichtschreibers, wie vollständig dasselbe auch durch die aus dem Inhalte erkannte geschichtliche Idee belebt sein mag, doch nichts als roher Stoff, gleich einem Tagesereigniß, und die kunstvollste Behandlung durch den Historiker ist ihm nur insoweit brauchbar, als sie ihm das Verständniß einer Begebenheit erleichtert. Hat der Dichter durch die Geschichte Theilnahme an der Person des Kriegsfürsten Wallenstein gewonnen, empfindet er aus dem Bericht lebhaft einen gewissen Zusammenhang zwischen den Thaten und dem Geschick des Mannes, wird er durch auffallende Einzelzüge des wirklichen Lebens gerührt oder erschüttert, so beginnt bei ihm der Vorgang des Umbildens damit, daß er Thaten und Untergang des Helden in vollständig begreiflichen und ergreifenden Zusammenhang bringt, und daß er sich das Wesen des Helden so umbildet, wie es für eine rührende und erschütternde Wirkung der Handlung wünschenswerth ist. Was in dem geschichtlichen Charakter vielleicht