Wachtmeister Studer. Friedrich C. GlauserЧитать онлайн книгу.
du, so Heftli mit bunten Titeln: ›In Liebe vereint‹ und ›Unschuldig schuldig‹…«
»Bist du sicher, dass eins so geheißen hat?«
»›Unschuldig schuldig‹? Ja, ganz sicher. Und dann waren da noch so Detektivgeschichten. ›John Kling‹ heißen sie, glaub’ ich. Weißt, so richtige Räuberromane…«
»Ja«, sagte Studer, »ich weiß…«
Er stand schon lange wieder im Schatten, beim Fenster. Jetzt drehte er sich um. Vorn auf der Landstraße rasten die Autos vorbei. Und nachdem Studer den Schein von drei Wagen hatte vorbeihuschen sehen, fragte er leise, ohne sich umzuwenden:
»Der Äschbacher, der hat doch auch einen Wagen?«
»Ja«, sagte Murmann. »Du meinst wegen der Geschichte mit dem Cottereau? Aber da irrst du dich… Der Ellenberger hat mich doch nach dem Unfall geholt, damals, wie er mit dem Cottereau angefahren worden ist, bös hat der Alte ausgesehen. Ich hab’ natürlich sofort den Gemeindepräsidenten angeläutet und der ist mit seinem Wagen gekommen. Er hat sogar noch den Gerber mitgebracht, den Coiffeurgehilfen, weißt du, der hat sein Motorrad mitgenommen. Und ich bin mit Äschbacher gefahren. Wir haben den Cottereau die ganze Nacht auf den Straßen gesucht. Vorher hab’ ich sogar noch in Bern angeläutet, sie sollen auf Strolchenfahrer aufpassen. Aber es ist nichts dabei herausgekommen. Wo hast du den Cottereau gefunden?«
»Im Wald«, sagte Studer nachdenklich. »Dort, wo ihr ihn nicht gesucht habt… Aber er hat nichts sagen wollen.«
Schweigen. Im Nebenhaus links krächzte ein Lautsprecher. Es klang wie das Bellen eines heiseren Hundes.
»Du«, sagte Studer plötzlich. »Der Ellenberger hat dir doch damals gesagt, du solltest seinen Obergärtner durch das Radio suchen lassen? Nicht wahr?«
Murmann nickte:
»Ich hab’s nur auf der Polizeidirektion sagen lassen, und die hat dann das Weitere veranlasst.«
»Ich will einmal schauen, ob wir den Apfel nicht schneller zum Reifen bringen können.«
Murmann starrte seinen Kollegen an. Was machte der Studer für blöde Sprüche? Murmann war eben nicht dabei gewesen damals.
»… und andere, die müsst Ihr einkellern, die werden erst im Horner gut… Abwarten, Wachtmeister, bis der Apfel reif wird…«
Aber Studer hasste das allzu lange Warten. Später wäre es ihm lieber gewesen, er hätte auf den alten Ellenberger gehört, denn die beiden Aufträge, die er telefonisch nach Bern erteilte, gaben so merkwürdige Resultate, dass sie die ohnehin verwirrte Geschichte noch mehr durcheinander brachten. Aber das konnte Studer natürlich nicht wissen…
»Morgen ist Musik im ›Bären‹, da spielen deine Freunde…«, sagte Murmann beim Abschied. »Der Äschbacher kommt und auch der alte Ellenberger…«
»Das kann lustig werden«, sagte Studer. Dann erkundigte er sich, wie Murmanns Frau eigentlich mit dem Vornamen heiße: Anny oder Emmy?
– Nein, sagte Murmann, sie heiße Ida, und er rufe sie Idy. Und ob Studer eigentlich einen Vogel habe, dass er sich so um die Vornamen von Frauen interessiere?
Studer schüttelte den Kopf.
– Das sei nur so eine Angewohnheit, meinte er und grinste auf den Stockzähnen. Gute Nacht.
Nach ein paar Schritten aber kehrte er wieder um.
»Du, Murmann«, fragte er. »Hast du auch die Küche bei der Frau Hofmann durchsucht?«
»Oberflächlich. Ich hab’ gemeint, ich könnt’ den Browning finden…«
»Besinnst du dich, im Küchenschaft, auf dem Brett, da war doch ein Stoß Packpapier…«
»Ja, ja, an das erinnere ich mich gut. Es war darunter ein Bogen blaues Papier, wie man es zum Einwickeln von Zuckerhüten braucht. Ich hab’ den Stoß herausgenommen, während die Frau in den Laden gegangen ist und hab’ ihn durchgeblättert. Es war nichts zu finden. Warum?«
»Weil ich die da«, Studer klopfte auf seine hintere Hosentasche, »unter dem blauen Packpapier gefunden hab’…«
»A bah…«, sagte Murmann, holte seinen Tabaksbeutel hervor und stopfte seine Pfeife. »A bah…«, sagte er noch einmal.
»Und in der Küche sind seither gewesen: Sonja, der Lehrer Schwomm, der Coiffeur Gerber – aber auf alle Fälle nicht der Schlumpf. Ja, und jetzt will ich in den ›Bären‹.«
»Pass dann auf, um elf Uhr«, sagte Murmann und stieß Wolken aus seiner Pfeife. »Der Äschbacher hockt sicher bei seinem Jaß…«
Der Daumenabdruck
Die Nacht war kühl. Studer fröstelte während der kurzen Strecke vom Posten zum ›Bären‹. Er beschloss, noch einen Grog zu trinken, der Schnupfen meldete sich wieder mit Druck im Kopf und einem unangenehmen Jucken im Hals. Aber der Wachtmeister wollte nicht in der Gaststube sitzen. Er fragte den Wirt, der in der Haustüre stand, ob nicht ein Nebenzimmer da sei. Der Wirt nickte.
Der Raum lag neben der Gaststube, die Verbindungstüre stand offen. Drüben war es ziemlich laut, ein Summen von vielen Stimmen, darüber wogten Melodiefetzen, die der Lautsprecher spuckte (Gut, ist er eingeschaltet, dachte Studer); dann sagte eine Stimme: »Fünfzig vom Trumpfass mit Stöck und Dreiblatt vom Nell…« Bewundernde Ausrufe wurden laut. Dann sagte die gleiche Stimme: »Und Matsch…«
Der Tonfall dieser Stimme erinnerte Studer an irgend etwas. Er kam aber erst darauf, als der Ansager sich im Radio meldete: »Sie hören nun zum Schluss unseres Unterhaltungskonzertes…« Ja, der Ansager sprach hochdeutsch, aber sein Tonfall, seine Art zu sprechen, glich der Stimme, die den unerhörten ›Wiis‹ proklamiert hatte…
Die Wirtin brachte den Grog, sie setzte sich zu Studer, fragte, wie es gehe, ob die Untersuchung Fortschritte mache, nach ihrer Meinung sei natürlich der Schlumpf der Verbrecher… Aber da seien eben noch andere daran schuld, dass solche Verbrechen in einem stillen Dorf, wie Gerzenstein passieren könnten…
Es war gespenstisch. Die Wirtin redete und Studer hatte den Eindruck, das Gritli Wenger jodeln zu hören. Und als der Wirt auch noch dazu kam (viel jünger schien er als seine Frau, er hatte O-Beine und war, wie sich später herausstellte, Dragonerwachtmeister), ja, als der Wirt zu sprechen begann, hatte er wahr und wahrhaftig die Stimme des Konditorkomikers Hegetschweiler.
Wo hatten die Leute ihre Stimmen gelassen? Waren sie vom Radio