Friedrich Schiller: Literatur- und theatertheoretische Essays. Фридрих ШиллерЧитать онлайн книгу.
Kritik für unhaltbar erklärte; manche Zweifel, die dagegen rege gemacht worden, finden Sie in dem Zusammenhange des Stücks – wo nicht völlig beantwortet, doch vorhergesehen und in Anschlag gebracht. Bei den meisten Einwürfen, sagen Sie, fänden Sie weit weniger die Sagacität der Beurtheiler, als die Selbstzufriedenheit zu bewundern, mit der sie solche als hohe Entdeckungen vortragen, ohne sich durch den natürlichsten Gedanken stören zu lassen, daß Übertretungen, die dem Blödsichtigsten sogleich ins Auge fallen, auch wohl dem Verfasser, der unter seinen Lesern selten der am wenigsten Unterrichtete ist, dürften sichtbar gewesen sein, und daß Sie es also weniger mit der Sache selbst, als mit den Gründen zu thun haben, die ihn dabei bestimmten. Diese Gründe können allerdings unzulänglich sein, können auf einer einseitigen Vorstellungsart beruhen: aber die Sache des Beurtheilers wäre es gewesen, diese Unzulänglichkeit, diese Einseitigkeit zu zeigen, wenn er anders in den Augen Desjenigen, dem er sich zum Richter aufdringt oder zum Rathgeber anbietet, einen Werth erlangen will.
Aber, lieber Freund, was geht es am Ende den Autor an, ob sein Beurtheiler Beruf gehabt hat, oder nicht? wie viel oder wie wenig Scharfsinn er bewiesen hat? Mag er das mit sich selbst ausmachen. Schlimm für den Autor und sein Werk, wenn er die Wirkung desselben auf die Divinationsgabe und Billigkeit seiner Kritiker ankommen ließ, wenn er den Eindruck desselben von Eigenschaften abhängig machte, die sich nur in sehr wenigen Köpfen vereinigen. Es ist einer der fehlerhaftesten Zustände, in welchen sich ein Kunstwerk befinden kann, wenn es in die Willkür des Betrachters gestellt worden, welche Auslegung er davonmachen will, und wenn es einer Nachhilfe bedarf, ihn in den rechten Standpunkt zu rücken. Wollten Sie mir andeuten, daß das meinige sich in diesem Falle befände, so haben Sie etwas sehr Schlimmes davon gesagt, und Sie veranlassen mich, es aus diesem Gesichtspunkt noch einmal genauer zu prüfen. Es käme also, däucht mir, vorzüglich darauf an, zu untersuchen, ob in dem Stücke alles enthalten ist, was zum Verständniß desselben dient, und ob es in so klaren Ausdrücken angegeben ist, daß es dem Leser leicht war, es zu erkennen. Lassen Sie sich’s also gefallen, lieber Freund, daß ich Sie eine Zeitlang von diesem Gegenstand unterhalte. Das Stück ist mir fremder geworden, ich finde mich jetzt gleichsam in der Mitte zwischen dem Künstler und seinem Betrachter, wodurch es mir vielleicht möglich wird, des erstern vertraute Bekanntschaft mit seinem Gegenstand mit der Unbefangenheit des Letztern zu verbinden.
Es kann mir überhaupt – und ich finde nöthig, dieses vorauszuschicken – es kann mir begegnet sein, daß ich in den ersten Akten andere Erwartungen erregt habe, als ich in den letzten erfüllte. St. Reals Novelle, vielleicht auch meine eignen Aeußerungen darüber im ersten Stück der Thalia, mögen dem Leser einen Standpunkt angewiesen haben, aus dem es jetzt nicht mehr betrachtet werden kann. Während der Zeit nämlich, daß ich es ausarbeitete, welches, mancher Unterbrechungen wegen, eine ziemlich lange Zeit war, hat sich – in mir selbst Vieles verändert. An den verschiedenen Schicksalen, die während dieser Zeit über meine Art zu denken und zu empfinden ergangen sind, mußte nothwendig auch dieses Werk Theil nehmen. Was mich zu Anfang vorzüglich in demselben gefesselt hatte, that diese Wirkung in der Folge schon schwächer und am Ende nur kaum noch. Neue Ideen, die indeß bei mir aufkamen, verdrängten die frühern; Carlos selbst war in meiner Gunst gefallen, vielleicht aus keinem andern Grunde, als weil ich ihm in Jahren zu weit vorausgesprungen war, und aus der entgegengesetzten Ursache hatte Marquis Posa seinen Platz eingenommen. So kam es denn, daß ich zu dem vierten und fünften Akte ein ganz anderes Herz mitbrachte. Aber die ersten drei Akte waren in den Händen des Publikums, die Anlage des Ganzen war nicht mehr umzustoßen – ich hätte also das Stück entweder ganz unterdrücken müssen (und das hätte mir doch wohl der kleinste Theil meiner Leser gedankt), oder ich mußte die zweite Hälfte der ersten so gut anpassen, als ich konnte. Wenn dies nicht überall auf die glücklichste Art geschehen ist, so dient mir zu einiger Beruhigung, daß es einer geschicktern Hand, als der meinigen, nicht viel besser würde gelungen sein. Der Hauptfehler war, ich hatte mich zu lange mit dem Stücke getragen; ein dramatisches Werk aber kann und soll nur die Blüthe eines einzigen Sommers sein. Auch der Plan war für die Grenzen und Regeln eines dramatischen Werks zu weitläuftig angelegt. Dieser Plan z. B. forderte, daß Marquis Posa das uneingeschränkteste Vertrauen Philipps davon trug; aber zu dieser außerordentlichen Wirkung erlaubte mir die Oekonomie des Stücks nur eine einzige Scene.
Bei meinem Freunde werden mich diese Aufschlüsse vielleicht rechtfertigen, aber nicht bei der Kunst. Möchten sie indessen doch nur die vielen Deklamationen beschließen, womit von dieser Seite her von den Kritikern gegen mich ist Sturm gelaufen worden.
Zweiter Brief
Der Charakter des Marquis Posa ist fast durchgängig für zu idealisch gehalten worden; inwiefern diese Behauptung Grund hat, wird sich dann am besten ergeben, wenn man die eigentümliche Handlungsart dieses Menschen auf ihren wahren Gehalt zurückgeführt hat. Ich habe es hier, wie Sie sehen, mit zwei entgegengesetzten Parteien zu thun. Denen, welche ihn aus der Klasse natürlicher Wesen schlechterdings verwiesen haben wollen, müßte also dargethan werden, in wie fern er mit der Menschennatur zusammenhängt, in wie fern seine Gesinnungen, wie seine Handlungen, aus sehr menschlichen Trieben fließen und in der Verkettung äußerlicher Umstände gegründet sind; Diejenigen, welche ihm den Namen eines göttlichen Menschen geben, brauche ich nur auf einige Blößen an ihm aufmerksam zu machen, die gar sehr menschlich sind. Die Gesinnungen, die der Marquis äußert, die Philosophie, die ihn leitet, die Lieblingsgefühle, die ihn beseelen, so sehr sie sich auch über das tägliche Leben erheben, können, als bloße Vorstellungen betrachtet, es nicht wohl sein, was ihn mit Recht aus der Klasse natürlicher Wesen verbannte. Denn was kann in einem menschlichen Kopf nicht Dasein empfangen, und welche Geburt des Gehirnes kann in einem glühenden Herzen nicht zur Leidenschaft reifen? Auch seine Handlungen können es nicht sein, die, so selten dies auch geschehen mag, in der Geschichte selbst ihres Gleichen gefunden haben; denn die Aufopferung des Marquis für seinen Freund hat wenig oder nichts vor dem Heldentode eines Curtius, Regulus und Anderer voraus. Das Unrichtige und Unmögliche mußte also entweder in dem Widerspruch dieser Gesinnungen mit dem damaligen Zeitalter oder in ihrer Ohnmacht und ihrem Mangel an Lebendigkeit liegen, zu solchen Handlungen wirklich zu entzünden. Ich kann also die Einwendungen, welche gegen die Natürlichkeit dieses Charakters gemacht werden, nicht anders verstehen, als daß in Philipps des Zweiten Jahrhundert kein Mensch so, wie Marquis Posa, gedacht haben konnte, – daß Gedanken dieser Art nicht so leicht, wie hier geschieht, in den Willen und in die That übergehen, – und daß eine idealische Schwärmerei nicht mit solcher Consequenz realisiert, nicht von solcher Energie im Handeln begleitet zu werden pflege.
Was man gegen diesen Charakter aus dem Zeitalter einwendet, in welchem ich ihn auftreten lasse, dünkt mir vielmehr für als wider ihn zu sprechen. Nach dem Beispiel aller großen Köpfe entsteht er zwischen Finsterniß und Licht, eine hervorragende isolierte Erscheinung. Der Zeitpunkt, wo er sich bildet, ist allgemeine Gährung der Köpfe, Kampf der Vorurtheile mit der Vernunft, Anarchie der Meinungen, Morgendämmerung der Wahrheit – von jeher die Geburtsstunde außerordentlicher Menschen. Die Ideen von Freiheit und Menschenadel, die ein glücklicher Zufall, vielleicht eine günstige Erziehung in diese rein organisierte empfängliche Seele warf, machen sie durch ihre Neuheit erstaunen und wirken mit aller Kraft des Ungewohnten und Ueberraschenden auf sie; selbst das Geheimniß, unter welchem sie ihr wahrscheinlich mitgetheilt wurden, mußte die Stärke ihres Eindrucks erhöhen. Sie haben durch einen langen abnützenden Gebrauch das Triviale noch nicht, das heutzutage ihren Eindruck so stumpf macht; ihren großen Stempel hat weder das Geschwätz der Schulen, noch der Witz der Weltleute abgerieben. Seine Seele fühlt sich in diesen Ideen gleichsam wie in einer neuen und schönen Region, die mit allem ihrem blendenden Licht auf sie wirkt und sie in den lieblichsten Traum entzückt. Das entgegengesetzte Elend der Sklaverei und des Aberglaubens zieht sie immer fester und fester an diese Lieblingswelt; die schönsten Träume von Freiheit werden ja im Kerker geträumt. Sagen Sie selbst, mein Freund – das kühnste Ideal einer Menschenrepublik, allgemeiner Duldung und Gewissensfreiheit, wo konnte es besser und wo natürlicher zur Welt geboren werden, als in der Nähe Philipps des Zweiten und seiner Inquisition?
Alle Grundsätze und Lieblingsgefühle des Marquis