Friedrich Schiller: Literatur- und theatertheoretische Essays. Фридрих ШиллерЧитать онлайн книгу.
brennt, für die kein Balsam wächst in deinen Reichen allen – Noch schmerzt die Wunde nicht; kennst du sie nie wird sie dich niemals schmerzen! (rasch gegen Domingo, und höchst bedeutend) Mein Geheimniß möcht er in Frieden lassen. Ich hab ihn gewarnt.
(Der Dominikaner entfernt sich. Karlos begleitet ihn mit den Augen, bis er verschwunden ist, dann verfällt er in grübelndes Nachdenken, und macht sich Vorwürfe, daß er dem arglistigen Priester zuviel Blößen gegeben. Wie er im Begriff ist hinwegzugehen, sieht er seinen alten akademischen Freund, Dom Rodrigo, Marquis von Posa, der eben jezt von Brüssel in Aranjuez anlangte, durch die Allee herabkommen.)
Zweiter Auftritt
Karlos. Der Marquis.
Karlos. – – – Was seh ich? O ihr guten Geister! Mein Rodrigo!
Marquis. (dem Prinzen um den Hals fallend) Mein Karlos!
Karlos. Ist es möglich? Ists wahr? ists wirklich? bist du’s? – O du bists! Ich drück an meine Seele dich. Ich fühle die deinige allmächtig an mir schlagen. O jezt ist alles wieder gut. In dieser Umarmung ist mein krankes Herz genesen. In meinem Mark ist Ewigkeit. Ich liege am Herzen meines Rodrigo.
Marquis. Ihr krankes, ihr krankes Herz? – Und was ist wieder gut? Was ists, das wieder gut zu werden brauchte? Sie hören, was mich stuzen macht.
Karlos. Und was bringt dich so unverhoft aus Brüßel wieder? Wem dank ich diese Ueberraschung? – Wem? ich frage noch? – – Verzeih dem Freudetrunknen, erhabne Vorsicht, diese Lästerung – – Wem sonst, als dir Allgütigste? Du wußtest daß Karlos ohne Engel war, du sandtest mir diesen, diesen, und ich frage noch?
Marquis. Vergebung, Prinz, wenn ich diß stürmische Entzücken mit Bestürzung nur erwiedre. So war es nicht, wie Posa Philipps Sohn erwartete – so fürchterlich umarmte mich Karl noch nie. Ein unnatürlich Roth entzündet sich auf ihren blassen Wangen und ihre Lippen brennen fieberhaft. Was muß ich glauben, theurer Prinz? – Das ist der löwenkühne Jüngling nicht, zu dem ein unterdrücktes Heldenvolk mich sendet. Jezt Prinz steh ich als Rodrigo nicht hier, nicht als des Knaben Karlos Spielgeselle, ein Abgeordneter der ganzen Menschheit umarm ich sie – es sind die flandrischen Provinzen, die an ihrem Hals jezt weinen, und feierlich um Rettung sie bestürmen. Der Tag ist da, der schreckenvolle Tag, der ohne Hoffnung ihre Freiheit endigt. Tirannisch wühlt Dom Philipp in dem Herzen des freigebodrenen Brabants. Verderben droht ihrem Haupt, der Einsturz ihren Kirchen, wenn Herzog Alba, Gottes Strafgericht, des Fanatismus rauher Henkersknecht, vor Brüßel rückt, und ihren Glauben mustert. Auf Kaiser Karls glorwürd’gem Enkel ruht die lezte Hoffnung dieser edlen Lande. Sie stürzt dahin, wenn sein erhabnes Herz vergessen hat, für Menschlichkeit zu schlagen.
Karlos. (nach einigem Stillschweigen) So stürzt sie denn dahin.
Marquis. Ist das die Antwort, die Karlos der Verzweiflung gibt?
Karlos. Was soll ich? Was will man denn? Nur Tränen kann ich geben, und Tränen brauch ich für mich selbst. Verließ der Himmel mich – was ligt an Nationen?
Marquis. Hier kenn ich meinen Karl nicht mehr. Spricht so der große Mensch – vielleicht der einzge, den die Geisterseuche seiner Zeit verschonte? Der bei Europas allgemeinem Taumel noch aufrecht stand – den gift’gen Schierlingstrank des Pfaffenthums, von welchem schon das zweite Jahrtausend sich im Schwindel dreht, beherzt vom Munde stieß – der gegen Priesterblize und eines Königs schlaue Heiligkeit und eines Volks andächtgen1 Rausch die Rechte der unterdrückten Menschheit gelten machte, der zu Madrid für Kezer bat, am Thurme der Santa Kasa für die Duldung stimmte? – – So fliehe dann aus dem Gebiet der Christen Gedankenfreiheit! Sünderin Vernunft bekehre dich zu frommer Tollheit wieder! zerbrich dein Wappen, ewige Natur! Geh unter freies Flandern! – Dein Erretter verlor den Mut, den Wahnwiz zu bekriegen.
Karlos. (aus einer Zerstreuung erwachend, und den Marquis bei der Hand fassend mit sanfter Wehmut) Sprichst du von mir? – Du irrst dich guter Mensch – auch mir hat einst von einem Karl geträumt, dem’s feurig durch die Wangen lief, wenn man von Freiheit sprach – doch der ist lang begraben; den du hier siehst, das ist der Karl nicht mehr der zu Alkala von dir Abschied nahm, der Karl nicht mehr, der sich beherzt getraute das Paradieß dem Schöpfer abzusehn, und dermaleins, als unumschränkter Fürst, in Spanien zu pflanzen – O der Einfall war kindisch aber göttlich schön. Vorbei sind diese Träume – ein verborgner Wurm frißt an dem Herzen dieser stolzen Staude, auf ewig ist ihr Wuchs dahin.
Marquis. O Gott, was ist geschehen, theurer Prinz? – Mir ahndet die schrecklichste Geschichte.
Karlos. (an Rodrigo’s Busen sich lehnend) Laß mich weinen an deinem Herzen blut’ge Tränen weinen, du einzger Freund – – Ich habe niemand, niemand, auf dieser großen weiten Erde niemand. So weit das Zepter meines Vaters reicht, so weit die Schiffarth unsre Flaggen sendet, ist keine Stelle, keine, keine, wo ich meiner Tränen mich entlasten darf, als diese! (mit einer feierlichen Heftigkeit) O! bei allem, Rodrigo, was du und ich dereinst im Himmel hoffen, von dieser Stelle, Rodrigo, verjage, verjage mich von dieser Stelle nicht.
Marquis. (neigt sich gegen ihn in sprachloser Rührung)
Karlos. Sieh mein Lippen brennen heiß auf dir, heiß fällt der Tränenstrom auf deine Seele; dein künft’ger Fürst geht betteln um dein Herz, arm ohne dich, bei sieben Diademen, Berede dich, ich wär ein Waisenkind das du am Tron mitleidig aufgelesen. Ich weiß ja nicht, was Vater heißt – ich bin ein Fürstenknabe –
Marquis. Schrecklicher Gedanke, doch allzuwahr! –
Karlos. O wenn es eintrifft, was mein Herz mir sagt, wenn du aus Millionen herausgefunden bist, mich zu verstehn – Wenns wahr ist, daß die schaffende Natur den Rodrigo im Karlos wiederhohlte, und unsrer Seelen zartes Saitenspiel am Morgen unsers Lebens gleich bezog, wenn eine Träne, die mir Lindrung gibt dir theurer ist, als meines Vaters Gnade – –
Marquis. O gern will ich sie weinen.
Karlos. Sieh! so tief bin ich gesunken – bin so arm geworden, daß ich an unsre frühen Kinderszenen dich mahnen muß, daß ich dich bitten muß, die längst gestrichne Schulden heimzuzahlen, die du noch2 in der Ammenstube machtest. Als du und ich, zween Knaben wilder Art, so brüderlich zusammen aufgewachsen, als mein Gewissenswurm kein andrer war, als mich von dir beschämt zu sehn3, ich endlich mich kühn entschloß, dich gränzenlos zu lieben, weil mich der Mut verließ, dir gleich zu seyn. Da fieng ich an, mit tausend Zärtlichkeiten und warmer Bruderliebe dich zu quälen, Du, stolzes Herz, gabst sie mir kalt zurück. Ich stand, und sah den Kuß, wornach ich geizte, vorbei an mir auf fremde Wangen fallen, oft stand ich da, und – doch, das sahst du nie – und heiße schwere Tränentropfen hiengen in meinem Aug, wenn du, mich überhüpfend, Vasallenkinder in die Arme drücktest. „Warum nur diese? rief ich weinend aus, bin ich dir nicht auch herzlich gut?“ – Du aber, du schieltest mich bedaurend an: „Nimm du mit deinem Tron vorlieb – – Monarchenknabe!“
Marquis. O stille, Prinz, von diesen kindischen Geschichten, die mich jezt noch schaamroth machen.
Karlos. Ich hatt es nicht um dich verdient. Verschmähen, zerreißen konntest du mein Herz, doch nie von dir entfernen – dreimal wiesest du den Fürsten von dir, dreimal stand er wieder als Bettler da, um Liebe dich zu flehn,