Gesammelte Werke. Henrik IbsenЧитать онлайн книгу.
Eline, die Sache, an die Du gerührt hast, war mir völlig kund. Aber es ist etwas an der Sache, worauf Du vielleicht nicht acht gegeben hast: jener Edelmann, dem Lucia in Bergen begegnete, war ein Däne –
Eline. Auch das weiß ich.
Inger. Und seine Liebe war eine Lüge. Mit List und glatten Worten hatte er Lucia umstrickt.
Eline. Ich weiß es. Aber sie hatte ihn dennoch lieb. Und hättet Ihr das Herz einer Mutter gehabt, so wäre Euch die Ehre Eures Kindes über alles gegangen.
Inger. Nicht über ihr Glück. Glaubst Du, daß ich, Meretens Los vor Augen, mein zweites Kind an einen Mann hängen würde, der ihr nicht gut wäre?
Eline. Kluge Worte betören gar manchen Sinn, mich aber betören sie nicht. – Glaubt nicht, daß ich so ganz fremd bin in dem, was rings im Lande vorgeht. Vollkommen durchschau' ich Euer Verhalten. Ich weiß wohl, daß der dänische Adel keine treu ergebene Freundin an Euch hat. Vielleicht haßt Ihr ihn, aber Ihr fürchtet ihn zu gleicher Zeit. Damals, als Ihr Merete dem Vincenz Lunge gabt, hatten die dänischen Herren allerorten die Übermacht im Lande. Drei Jahre danach, als Ihr Lucien verbotet, den zu ehelichen, an den sie ihr Leben geknüpft hatte, obgleich er sie verführt hatte, – da standen die Dinge ganz anders. Die dänischen Vögte des Königs hatten schändliche Greueltaten am Volke verübt, und Ihr fandet es nicht rätlich, Euch fester, als schon geschehen war, an die dänischen Gewalthaber anzuschließen. – Und was habt Ihr denn getan, um sie, die so jung sterben mußte, zu rächen? Ihr habt nichts getan! Wohlan! Ich werde für Euch handeln und die Schmach rächen, die unser Volk und unser Geschlecht betroffen hat.
Inger. Du? Was hast Du im Sinn?
Eline. Ich gehe meinen Weg, wie Ihr den Euern geht. Was ich im Sinn habe, weiß ich selbst nicht; aber ich fühle Kraft in mir, alles für unsere gerechte Sache zu wagen.
Inger. Du wirst einen harten Kampf zu kämpfen haben. Ich habe einst dasselbe gelobt wie Du; und mein Haar ist ergraut unter der Bürde meines Gelübdes.
Eline. Gute Nacht! Euer Gast könnte eintreffen, und bei dieser Begegnung bin ich überflüssig. – Vielleicht ist es noch Zeit für Euch –; nun, Gott stärke Euch und leite Euer Tun! Vergeßt nicht, daß viel tausend Augen auf Euch gerichtet sind! Denkt an Merete, die früh und spät um ihr verspieltes Leben weint; denkt an Lucia, die im schwarzen Sarge schläft, – Und noch eins! Vergeßt nicht, daß Ihr in dieser Nacht Schach zieht um Euer letztes Kind!
Sie geht links ab.
Inger blickt ihr eine Weile nach. Mein letztes Kind? – Du sprachst wahrer, als Du selbst wußtest. – – Aber es gilt nicht mein Kind allein. Gott helfe mir! In dieser Nacht wird Schach gezogen um das ganze norwegische Reich. – Ah! Reitet da nicht wer durch das Burgtor? Sie lauscht am Fenster. Nein, noch nicht. Es war nur der Wind. Grabeskalt weht er. – – Hat Gott der Herr recht gehandelt? Mich zum Weibe zu bilden und eine Mannestat auf meine Schultern zu laden!? Denn des Landes Wohlfahrt liegt in meiner Hand. In meiner Macht steht es, daß sich alle wie ein Mann erheben. Von mir erwarten sie das Zeichen; und geb' ich es jetzt nicht, so geschieht es – vielleicht nie. – Zögern? Die Vielen um des Einen willen opfern? – Wär' es nicht besser, wenn ich – –? Nein, nein, nein! Ich will nicht! Ich kann nicht! Sie wirft einen verstohlenen Blick nach dem Rittersaale, wendet sich, wie in Angst, ab und sagt flüsternd: Nun sind sie wieder da drin! Bleiche Schatten; tote Ahnen, gefallene Blutsfreunde! – – Pfui! diese bohrenden Augen in allen Ecken! Sie schlägt mit der Hand hinter sich und ruft: Sten Sture! Knut Alfsön! Olaf Skaktavl! Weicht, weicht! Ich kann es nicht!
Ein fremder, kräftig gebauter Mann mit angegrautem Haar und Bart, mit einem zerrissenen Wams aus Schaffell bekleidet und mit rostigen Waffen, ist durch den Rittersaal eingetreten.
Der Fremde bleibt bei der Tür stehen und sagt mit gedämpfter Stimme: Heil Euch, Frau Inger Gyldenlöve!
Inger wendet sich mit einem Schrei um. Ha! – Jesus Christus, steh mir bei!
Sie fällt in den Stuhl zurück. Der Fremde blickt sie starr an, unbeweglich, auf sein Schwert gelehnt.
Zweiter Akt
Stube auf Oestrot, wie im ersten Akt.
Inger sitzt am Tisch rechts vor dem Fenster. Olaf Skaktavl steht ein wenig von ihr entfernt. Beider Mienen verraten, daß ein sehr aufgeregtes Gespräch vorangegangen ist.
Olaf. Zum letzten Mal, Inger Gyldenlöve, – Ihr seid also unbeugsam in Euerm Entschluß?
Inger. Ich kann nicht anders. Und mein Rat ist: geht auch Ihr meinen Weg. Ist es des Himmels Wille, daß Norwegen untergehen soll, so geht es unter, ob wir es nun stützen oder nicht.
Olaf. Und mit diesem Glauben, meint Ihr, soll ich mich in Geduld fassen? Ich sollte ruhig dasitzen und zuschauen, nun die Zeit gekommen ist? Habt Ihr vergessen, was ich zu rächen habe? Mein liegendes Gut haben sie geraubt und unter sich geteilt. Meinen Sohn, mein einziges Kind, den letzten Sproß unseres Geschlechtes, erschlugen sie vor meinen Augen wie einen Hund, und mich selbst haben sie zwanzig Jahre lang friedlos durch Wald und Gebirge gehetzt. Das Gerücht hat mich mehr als ein liebes Mal tot gesagt; aber nun hab' ich die Zuversicht, daß man mich nicht in die Erde legen wird, eh' ich Rache genommen habe.
Inger. Dann habt Ihr auf ein langes Leben zu hoffen. Und jetzt – was wollt Ihr tun?
Olaf. Tun? Was weiß ich, was ich tun werde? Ich habe mich niemals darauf verstanden, Pläne zu schmieden. Das ist etwas, wozu ich Eurer Hilfe bedarf. Ihr seid gar klug dazu; ich habe nur meine zwei Arme und meine Wehr.
Inger. Eure Wehr ist verrostet, Olaf Skaktavl! Jede Wehr in Norwegen ist verrostet.
Olaf. Also deshalb streiten gewisse Leute nur mit der Zunge? – Inger Gyldenlöve, Ihr habt Euch sehr verändert. Es war eine Zeit, da schlug ein Mannesherz in Eurer Brust.
Inger. Mahnt mich nicht an das, was war.
Olaf. Und doch bin ich darum zu Euch gekommen. Ihr sollt mich hören, wenn auch –
Inger. Nun wohl! Aber macht es kurz; denn – ich muß es Euch wohl sagen – Ihr seid hier auf dem Schlosse nicht sicher.
Olaf. Auf Schloß Oestrot ist nicht Sicherheit für den Friedlosen? Das wußt' ich längst. Aber Ihr vergeßt, daß ein Friedloser nirgends sicher ist, wo er auch weile.
Inger. So sprecht. Ich kann es Euch nicht verwehren.
Olaf. Es ist nun bald dreißig Jahre her, daß ich Euch zum ersten Male sah. Es war zu Akershus bei Knut Alfsön und seinem Weibe. Ihr wart damals fast noch ein Kind, und gleichwohl wart Ihr kühn wie ein Falke auf der Jagd und dabei zuweilen wild und unzähmbar. Viele warben um Euch. Auch mir wart Ihr teuer – teuer wie kein Weib mir früher oder später gewesen ist. Aber Ihr hattet nur ein Ziel und einen Gedanken. Das war der Gedanke an das Unglück und die große Not des Reiches.
Inger. Ich war fünfzehn Sommer alt – vergeßt das nicht! Und war es nicht, als hätt' in jenen Tagen uns insgesamt ein wilder Trotz erfaßt?
Olaf. Nennt es, wie Ihr mögt. Aber das weiß ich: die Alten und Erfahrenen unter uns meinten, es stünde dort oben in den Sternen geschrieben, daß Ihr es wärt, die das Sklavenjoch brechen und uns alle unsre Rechte zurückgeben sollte; und ich weiß auch, Ihr dachtet damals ebenso.
Inger. Das war ein sündiger Gedanke, Olaf Skaktavl! Hochmut war es und nicht der Ruf des Herrn, was aus mir sprach.
Olaf. Ihr konntet die Auserkorene sein, wenn Ihr gewollt hättet. Ihr stammtet aus Norwegens edelsten Geschlechtern; Ihr hattet Macht und Reichtum zu erwarten und Ihr hattet ein Ohr für den Klageruf – damals. – – Denkt Ihr jenes Nachmittags noch, da Hendrik Krummedike mit der dänischen Flotte