Metaphysik. AristotelesЧитать онлайн книгу.
das allergrößte Bedenken aber versetzt die Frage, was denn eigentlich die Ideen, sei es für das, was unter den sinnlich wahrnehmbaren Dingen das Ewige ist, sei es für das, was entsteht und vergeht, leisten. Liegt doch in Urnen keinerlei begründende Wirksamkeit, weder für irgend eine Bewegung noch für eine qualitative Veränderung. Aber noch mehr: auch zu der Erkenntnis des übrigen nützen sie nichts. Sie bilden nicht die Substanz dieser Dinge, sonst müßten sie ihnen immanent sein; und sie machen ebenso wenig ihr Dasein aus, da sie in dem, was an ihnen teilhat, nicht gegenwärtig sind. Am ehesten könnte es scheinen, daß sie in der Weise Ursachen sind, wie das Weiße in der Mischung Ursache für die Farbe des weißen Gegenstandes ist. Indessen auch diese Annahme, wie sie Anaxagoras zuerst, nach ihm Eudoxos und manche andere vorgetragen haben, bietet der Widerlegung allzu reichlichen Anlaß, und es wäre leicht, eine Menge von Undenkbarkeiten wider eine derartige Ansicht aufzutreiben.
Und weiter: aus den Ideen läßt sich das, was nicht Idee ist, auch auf keine der sonst gebräuchlichen Weisen ableiten. Wenn man sagt, sie seien die Musterbilder und das andere habe Teil an ihnen, so ist das eine leere Redensart und eine bloße dichterische Metapher. Denn welches wäre das Subjekt, das in seinem Wirken auf diese Ideen den Blick gerichtet hielte? Ist es doch ganz wohl möglich, daß etwas einem Gegenstande ähnlich ist und wird, auch ohne daß es ausdrücklich dem anderen nachgebildet ist, wie einer ein Mensch gleich Sokrates werden kann, ob nun Sokrates existiert oder nicht; und dasselbe würde offenbar auch dann gelten, wenn dieser Sokrates etwas Ewiges wäre.
Für denselben Gegenstand wird es ferner eine Mehrzahl von Musterbildern, also auch von Ideen geben, für den Menschen z.B. das lebende Wesen und das Wesen mit zwei Beinen und den Menschen-Ansicht. Ferner würden die Ideen nicht bloß die Vorbilder der sinnlich wahrnehmbaren Dinge, sondern auch der Ideen selbst sein, wie die Gattung Idee für die Arten der Ideen, wobei denn eines und dasselbe Vorbild und Abbild zugleich würde.
Außerdem scheint es unmöglich, daß die Substanz getrennt existiere von dem, dessen Substanz sie ist. Oder was soll es heißen, daß die Ideen getrennt von den Dingen existieren, wenn sie doch die Substanz derselben sind? Im »Phaedon« heißt es, daß die Ideen die Ursachen des Seins und des Entstehens sind. Aber gesetzt auch, die Ideen existieren, so kann deshalb gleichwohl noch nicht das, was an ihnen teilhat, zum Dasein gelangen, wo es keine bewegende Ursache gibt; dagegen kommt vieles andere ganz gut zustande, wofür man doch keine Ideen annimmt, wie ein Haus oder ein Ring. Offenbar also kann durch eben dieselben Ursachen, wie sie für das eben Bezeichnete gelten, auch das übrige sein Dasein und Entstehen finden.
Nun aber zu etwas anderem. Wenn die Ideen Zahlen sind, wie können sie Ursachen sein? Etwa weil die existierenden Dinge auch wieder Zahlen wären, z.B. diese bestimmte Zahl ein Mensch, diese Sokrates, diese Kallias wäre? Inwiefern wären dann jene Zahlen die Ursachen für diese? Daß die einen ewig sind, die andern nicht, das macht doch für die Ursächlichkeit nichts aus. Wenn sie aber deshalb die Ursachen sein sollen, weil die irdischen Gegenstände vielmehr Verhältnisse von Zahlen sind, wie z.B. die musikalische Harmonie eines ist, so gibt es offenbar ein Einheitliches, zugrunde Liegendes, dessen Verhältnisse sie sind. Liegt nun ein derartiges als eine Art von Materie zugrunde, so werden offenbar auch die Idealzahlen nicht sowohl Zahlen als Verhältnisse zwischen verschiedenen Gliedern sein. Zum Beispiel wenn Kallias ein Zahlenverhältnis von Feuer, Erde, Wasser und Luft ist, so wird auch die Idee ein Zahlenverhältnis sein von gewissen anderen Bestandteilen, die ihr Substrat ausmachen, und der Mensch-an-sich, ob er nun eine Zahl ist oder nicht, wird jedenfalls nicht eine Zahl schlechthin sein, sondern ein zahlenmäßiges Verhältnis zwischen gewissen Elementen, und also wird die Idee keine Zahl sein.
Ferner, aus einer Vielheit von Zahlen entsteht eine neue Zahl; soll also aus einer Vielheit von Ideen auch eine neue Idee werden? und wie? Wenn die neue Zahl aber nicht sowohl aus den gegebenen Zahlen, als vielmehr aus den in den Zahlen, z.B. in der Zahl 10000, enthaltenen Einheiten gebildet wird: wie verhalten sich dabei die Einheiten? Sind sie gleichartig, so ergibt sich eine Menge von Ungereimtheiten; sind sie nicht gleichartig, weder die Einheiten einer und derselben Zahl untereinander, noch die Einheiten der einen Zahl mit den Einheiten aller anderen, worin soll der Unterschied zwischen ihnen bestehen, da sie doch ohne Beschaffenheit sind? Alles das hat keinen rechten Sinn, noch verträgt es sich mit gesunder Überlegung.
So sieht man sich denn gezwungen, außer dieser noch eine weitere Art der Zahl sich zu beschaffen, nämlich die, die in der Arithmetik und in dem ganzen Gebiete herrscht, das manche als das »Mittlere« zwischen den sinnlichen Dingen und der Ideenwelt bezeichnen. Wie aber soll man sich diese Art von Zahlen entstanden denken und aus welchen Prinzipien? oder warum soll es zwischen den diesseitigen Dingen und jenen Idealzahlen mitteninne stehen?
Ferner müßten die Einheiten, die in der Zweiheit enthalten sind, jede wieder aus einer früheren Zweiheit stammen, was doch unmöglich ist. Und wodurch bildet die Idealzahl, die doch aus Einheiten besteht, wieder eine Einheit? Übrigens, abgesehen von dem schon Bemerkten: wenn die Einheiten wirklich unter sich verschieden sind, dann hätte man sich auch so ausdrücken sollen, wie es diejenigen Denker tun, die die Zahl der Elemente als vier oder als zwei bezeichnen. Denn von diesen nennt jeder Element nicht das was darin das Gemeinsame ist, nämlich den Körper, sondern er nennt als solches Feuer und Erde, gleichgültig ob die Körperlichkeit ihnen gemeinsam ist oder nicht Die Platoniker aber sprechen, als sei das Eine ein in sich Gleichartiges in der Weise wie Feuer oder Wasser es ist. Wäre dem aber wirklich so, so wären die Zahlen wieder keine selbständig existierenden Idealzahlen; soll es dagegen eine Eins als Idealzahl geben, und soll dieselbe zugleich als Prinzip gelten, so wird Einheit dabei offenbar in mehreren Bedeutungen genommen; sonst hätte die Sache gar keinen Sinn.
Indem wir als Platoniker das was selbständige Wesenheit ist auf die Prinzipien zurückführen wollen, lassen wir die Länge aus dem Langen und dem Kurzen, aus etwas, was der Art des Groß-und-Kleinen angehört, entstehen, die Fläche aus dem Breiten und Schmalen, den Körper aber aus dem Hohen und Niedrigen. Indessen, wie kann die Linie in der Fläche, Linie und Fläche aber im Körperlichen enthalten sein? Gehören doch das Breite und Schmale, das Hohe und Niedrige verschiedenen Arten an. Wie nun die Zahl nicht in ihnen enthalten ist, weil das Viele und Wenige wieder eine andere Gattung als jene bildet, so wird auch kein anderer der übergeordneten Begriffe in dem untergeordneten enthalten sein. Aber auch das Breite ist doch keine Art des Hohen; sonst würde der Körper eine Fläche sein. Die Punkte sodann, woraus soll man sie ableiten? Plato hat zwar diesen Begriff als eine Erfindung der Mathematiker bekämpft; er sprach lieber von dem »Prinzip der Linie«, und als solches pflegte er häufig den Begriff der »unteilbaren Linien« einzuführen. Aber auch diese müssen doch irgendwie eine Grenze haben, und darum wird in demselben Begriffe, in dem die Linie gedacht wird, auch der Punkt mitgedacht.
Kurz, indem unsere Wissenschaft die Erklärung suchte für die Tatsachen, haben wir gerade diese beiseite liegen lassen. Von der Ursache, aus der die Veränderung stammt, sagen wir überhaupt nichts - und indem wir das Wesen des Realen zu bezeichnen meinen, reden wir davon, daß es andere Wesen gebe, behelfen uns aber mit leeren Redensarten, wenn wir angeben sollen, wie diese Wesen mit jenen zusammenhängen. Denn das »Teilnehmen« bedeutet, wie schon oben bemerkt, gar nichts. Auch dasjenige, was wir als erzeugenden Grund für die Wissenschaften wirksam sehen, das, um dessen willen alle Vernunft und alle Natur tätig ist, auch diese Art des Grundes, der wir doch die Geltung als eines der Prinzipien zugestehen, hat mit den Ideen keinerlei Berührung. Dafür ist bei den Heutigen die Mathematik an die Stelle der Philosophie getreten, während sie doch selber sagen, man müsse die Mathematik deshalb betreiben, um sich den Weg zu den höheren Erkenntnissen erst zu bahnen. Sodann aber, was die Platoniker als Materie und Substrat setzen, das möchte man eher als zu mathematisch gefaßt ansehen und eher für ein Prädikat der Substanz, für einen Unterschied an der Substanz und an der Materie, als für die Materie selber halten; - ich denke dabei an das Groß-und-Kleine; - es ist die gleiche Manier, wie ja auch die Naturphilosophen vom Dünnen und Dichten als den obersten Unterschieden an dem Substrat reden. Auch dies bedeutet ein Hinausgehen über und ein Zurückbleiben hinter dem Maß.
Was aber die Bewegung anbetrifft, so wird man den Ideen, wenn das Groß-und-Kleine Bewegung ist, Bewegung beilegen müssen.Wenn man sie ihnen aber nicht beilegen darf, woher ist dann die Bewegung gekommen? Damit wäre denn die ganze physikalische Betrachtung eigentlich beseitigt.