Kurt Tucholsky - Gesammelte Werke - Prosa, Reportagen, Gedichte. Kurt TucholskyЧитать онлайн книгу.
»Ja, sehr angenehm …« Wir schwiegen wieder und ließen uns von der Sonne bescheinen. Der Wind atmete über uns her, fächelte die Haut und spülte durch die Poren, in denen das Blut sang. Ich war in der Minderheit, aber es war schön. Meist bildeten die beiden eine Einheit – nicht etwa gegen mich … aber ein bißchen ohne mich. Bei aller Zuneigung: wenn ich dann neben ihnen ging, fühlte ich plötzlich jenes ganz alte Kindergefühl, das die kleinen Jungen manchmal haben: Frauen sind fremde, andre Wesen, die du nie verstehen wirst. Was haben sie da alles, wie sind sie unter ihren Röcken … wie ist das mit ihnen! Meine Jugend fiel in eine Zeit, wo die Takelage der Frau eine sehr komplizierte Sache war – zu denken, was sie da alles zu haken und zu knöpfen hatten, wenn sie sich anzogen! Ein Ehebruch muß damals eine verwickelte Sache gewesen sein. Heute knöpfen die Männer weit mehr als die Damen; wenn die klug sind, können sie sich wie einen Reißverschluß aufmachen. Und manchmal, wenn ich Frauen miteinander sprechen höre, dann denke ich: sie wissen das »Das« voneinander; sie sind denselben Manipulationen und Schwankungen in ihrem Dasein unterworfen, sie bekommen Kinder auf dieselbe Weise … Man sagt immer: Frauen hassen einander. Vielleicht, weil sie sich so gut kennen? Sie wissen zu viel, eine von der andern – nämlich das Wesentliche. Und das ist bei vielen gleich. Wir andern haben es da wohl schwieriger.
Da saßen sie in der Sonne und schwatzten, und ich fühlte mich wohl. Es war so etwas wie ein Eunuchenwohlsein dabei; wäre ich stolz gewesen, hätte ich auch sagen können: Pascha – aber das war es gar nicht. Ich fühlte mich nur so geborgen bei ihnen. Nun war Billie vier Tage bei uns, und in diesen vier Tagen hatten wir miteinander keine schiefe Minute gehabt … es war alles so leicht und fröhlich.
»Wie war er?« hörte ich die Prinzessin fragen. »Er war ein Kavalier am Scheitel und an der Sohle«, sagte Sibylle, »dazwischen …« Ich wußte nicht, von wem sie sprachen – ich hatte es überhört. »Ach wat, Jüppel-Jappel!« sagte die Prinzessin. »Wenn einen nichts taugt, denn solln sofordsten von ihm aff gehn. Was diese Frau is, diese Frau ischa soo dumm, daß sie solange – na ja. Seht mal! Pst! Ganz stille sitzen – dann kommt er näher … Und wie er mit dem Schwänzchen wippt!« Ein kleiner Vogel hüpfte heran, legte den Kopf schief und flog dann auf, von etwas erschreckt, das in seinem Gehirn vor sich gegangen war – wir hatten uns nicht geregt. »Was mag das für einer gewesen sein?« fragte Billie. »Das war ein Amselbulle«, sagte die Prinzessin. »Ah – dumm – das war doch keine Amsel …«, sagte Billie. »Ich will euch was sagen«, sprach ich gelehrt, »bei solchen Antworten kommt es gar nicht darauf an, ob’s auch stimmt. Nur stramm antworten! Jakopp hat mal erzählt, wenn sie mit ihrem Korps einen Ausflug gemacht haben, dann war da immer einer, das war der Auskunftshirsch. Der mußte es alles wissen. Und wenn er gefragt wurde: Was ist das für ein Gebäude? – dann sagte er a tempo: Das ist die Niedersächsische Kreis-Sparkasse! Er hatte keinen Schimmer, aber alle Welt war beruhigt: eine Lücke war ausgefüllt. So ist das.« Die Mädchen lächelten höflich, ich war auf einmal allein mit meinem Spaß. Nur ein Sekündlein, dann war es vorbei. Sie standen auf.
»Wir wollen noch laufen«, sagte Billie. »Einmal rund um die Wiese! Eins, zwei, drei – los!« Wir liefen. Billie führte; sie lief regelmäßig, gut geschult, der Körper funktionierte wie eine kleine exakte Maschine … es war eine Freude, mit ihr zu laufen. Hinter mir die Prinzessin japste zuweilen. »Ruhig laufen!« sagte ich vor mich hin, »du mußt durch die Nase atmen – mit dem ganzen Fuß auftreten – nicht zu sehr federn!« und dann liefen wir weiter. Mit einem langen Atemzug blieb Billie stehn; wir waren beinah einmal um die große Wiese herumgekommen. »Uffla!« – Wir waren ganz warm. »Ins Schloß unter die Brause!« Wir nahmen unsere Bademäntel und gingen langsam über die Wiese; ich trug meine Turnschuhe in der Hand, und das Gras kitzelte meine Füße. Das ist schön, mit den Mädchen zusammen zu sein, ohne Spannung. Ohne Spannung?
»Was nehmen wir denn dem Kind nun mit?«
»Bonbons«, schlug Billie vor. »Nein«, sagte ich, »das wird ihr die Alte verbieten – oder sie muß sie an die ganze Belegschaft austeilen.« – »Wir gehn Knöpfchen kaufen«, sagte die Prinzessin. »Ich werde schon was finden. Kommt – ach was, Hut! Aber Billie!« Wir gingen.
Frau Collin hatte geschrieben. Sie wäre uns sehr dankbar, und wir möchten zu der Frau Adriani hingehn und mit ihr sprechen, und dann sollten wir sie anrufen. Die Auslagen würde sie gern …
»Nicht huddan! Ladi!« rief die Prinzessin. Billie sah sie entgeistert an, und ich mußte ihr erklären, daß das »rechts« und »links« bedeute – so trieb man in manchen plattdeutschen Ecken die Esel an. Gott weiß, woher diese alten Rufe stammen mochten.
Ja, das Kind, der »kleine Gegenstand …« Ich dachte mit Kraft daran, daß es geplagt und geschlagen würde, denn hier stand nun etwas bevor … Als Junge hatte ich immer an Portal-Angst gelitten, an jener rasenden Furcht, in ein fremdes, in ein ganz fremdes Haus hineinzugehn – geduckt ging ich dann schließlich und fiel natürlich auf die moralische Nase. Tiere wittern Furcht. Menschen wittern Furcht. Seitdem ich aber gelernt habe, daß sie alle sterben müssen, geht es schon besser. Zwanzig Jahre hat das gedauert. Der Plattdeutsche drückt die Sache kürzer und unpathetischer aus: »Wat is he denn? Sin Mors hat man ook bloß twee Hälften!« Ja, das ist wahr.
Und nun sollte ich da als fremder Mann zu einer bösen, fremden Frau gehn – ich spielte einen Augenblick alle Phasen: Hänsel bei der Knusperhexe, dann: ich geniere mich doch aber so … und dann war es vorbei. Es ging viel schneller vor sich, als man es schreiben kann. Vorbei. »Man muß«, hat ein kluger Inder gesagt, »den Tiger vor der Jagd in Gedanken töten – der Rest ist dann nur noch eine Formalität.« Die Frau Adriani …? Ich dachte an meinen Feldwebel, an das geprügelte, weinende Kind … in Ordnung.
»Sei still!« rief die Prinzessin in ein Fenster hinein, an dem ein Papagei in seinem Käfig krächzte, »sei still! Sonst wirst du ausgestopft!« Das Tier mußte wohl deutsch verstehn – denn nun schwieg es. Billie lachte. »Ihr wolltet doch noch englische Sauce kaufen«, sagte sie in einer jener Ideenverbindungen, derer nur Frauen fähig sind. »Tun wir auch – komm, wir gehen in die Fruktaffär, die haben alles.« Die Schweden schreiben manche Fremdwörter phonetisch, das macht viel Spaß. Wir kauften also englische Sauce, die Prinzessin beroch mißtrauisch die verstöpselte Flasche und machte mit Händen und Füßen dem Verkäufer das Leben schwer; Billie warf ein Glas mit Senfgurken herunter, die solches aber gut überstanden, sie kamen mit dem Schreck davon und schäumten nur noch eine Weile in ihrem Essig … »Sieh mal, so viel Salz!« sagte ich. Die Prinzessin sah das Faß an: »Als Kind habe ich immer gedacht: wenn in ein Salzmagazin ein Tropfen Wasser fällt, dann verzehrt er das ganze Lager.« Darüber mußte ich scharf nachdenken und vergaß beinah, hinter den beiden herzugehn, sie standen schon auf der Straße und knabberten Rosinen. »Und dem Kind nehmen wir eine Puppe mit«, sagte die Prinzessin. »Kommt mal rüber! Ach, bleibt da – ich werde schon … nein, Billie kommt mit!« Einen winzigen Augenblick lang tat mir das leid; ich hätte gern mit Billie allein auf der Straße gestanden. Was hätten wir uns dann erzählt? Nichts, natürlich.
»Habt ihr?« – »Wir haben«, rief Billie. »Zeigt mal«, bat ich. »Doch nicht hier auf der Straße!« sagte sie. »Meinst, die Puppe wird sich verkühlen?« sagte die Prinzessin und wickelte an dem Paket herum. Ich guckte hinein. Da lag ein Schwedenmädchen, in der Landestracht von Dalarne, bunt und lustig. Sie wurde wieder zugedeckt. »Einpacken ist seliger denn nehmen«, sagte die Prinzessin und band die Schnur zu. »Ja, dann wollen wir mal … Ob sie schießt, die liebe Dame?« – »Laß mich nur …!« – »Nein, Daddy, ich laß dich gar nicht. Du greifst erst zu, wenn sie frech wird und alles drunter und drüber geht. Sag du die Einleitung, und daß wir den Brief bekommen haben und alles, und dann werde ich mal mit ihr.« – »Und ich?« fragte Billie. »Du legst dich derweil in den Wald, Billie; wir können unmöglich zu der Frau wie ein rächender Heerhaufe geströmt kommen. Dann ist gleich alles verloren. Es ist schon dumm – hier geht’s lang – schon dumm, daß wir zwei sind. Zwei gegen einen – da knurrt der ja schon von vornherein …« – »Na, mehr als die kann man nicht gut knurren. Ist das ein Deubel!« Ich hatte Billies Arm genommen. »Arbeiten Sie hier eigentlich?« fragte Billie. »Ich werde meiner Arbeit was blasen!« sagte ich. »Nein – hier legen wir eine schöpferische Pause ein … Billie, Sie sind ein netter Mann«, sagte ich ganz unvermittelt. »Na, junges Volk«,