Gesammelte Romane und Erzählungen von Robert Louis Stevenson. Robert Louis StevensonЧитать онлайн книгу.
Aber nun hatten wir keinen Steuermann; es war daher natürlich notwendig, einen von den Matrosen zu dieser Stelle zu befördern. Der Bootsmann Hiob Andersen schien sich von allen an Bord noch am besten dazu zu eignen; er behielt zwar seinen Rang, aber er hatte gewissermaßen den Dienst als Steuermann. Herr Trelawney war viel zur See gefahren, und seine Kenntnisse machten ihn sehr nützlich; denn bei gutem Wetter hielt er oft eine Wache. Der Schaluppmeister Israel Hands war ein sorgsamer, besonnener und erfahrener alter Seemann, dem man im Notfall so ziemlich alles anvertrauen konnte.
Er war sehr befreundet mit Long John Silver, und so bringt mich die Erwähnung seines Namens ganz naturgemäß darauf, hier von unserem Schiffskoch zu sprechen: Barbecue, wie die Leute ihn nannten.
Seitdem er an Bord war, trug er seine Krücke an einem Bindfaden um den Hals, um beide Hände möglichst frei zu haben. Es war wirklich der Mühe wert, ihm zuzusehen, wie er das Fußende seiner Krücke gegen einen Balken stemmte, sich auf diese Weise stützte und, jeder Bewegung des Schiffes nachgebend, seine Kocherei so flink und gewandt besorgte, wie wenn er auf festem Lande gewesen wäre. Noch merkwürdiger war es anzusehen, wie er im schwersten Sturmwetter über Deck ging. Er hatte sich ein paar Tauringe an geeigneten Stellen angebracht, um über die weitesten Zwischenräume hinüberzukommen. Long Johns Ohrringe wurden sie genannt; mit deren Hilfe bewegte er sich von einer Stelle zur andern, indem er sich bald auf seine Krücke stemmte, bald diese an dem Bindfaden hinter sich herschleppte, und das machte er so schnell, wie irgendein anderer Mensch laufen konnte. Trotzdem sprachen einige von den Leuten, die schon früher mit ihm zur See gefahren waren, oftmals davon, wie jammerschade es doch sei, daß der Mann in solchem Zustande sich befinde.
»Der ist kein gewöhnlicher Mensch, unser Barbecue!« sagte der Schaluppmeister eines Tages zu mir. »Er hat in seinen jungen Tagen was in der Schule gelernt und kann wie ein Buch sprechen, wenn er gerade Lust hat; und mutig ist er – ein Löwe ist nicht zu vergleichen mit Long John. Ich habe gesehen, wie er vier Mann packte und mit den Köpfen zusammenstieß – dabei war er unbewaffnet!«
Die ganze Mannschaft achtete ihn und gehorchte ihm sogar. Er hatte eine besondere Art, mit jedem zu sprechen und jedem einzelnen ganz besonders gefällig zu sein. Zu mir war er unablässig freundlich; er freute sich immer, wenn ich zu ihm in seine Kombüse kam, die er so sauber hielt wie eine neue Schüssel; die Pfannen hingen blank geputzt an ihren Haken, und in der einen Ecke saß sein Papagei in einem Käfig.
»Komm’ mal rein, Hawkins!« sagte er oftmals; »komm’ und erzähle dir ein bißchen mit John! Bist mir immer willkommen, mein Sohn. Setz’ dich und höre, was es Neues gibt. Hier ist Käpp’n Flint – ich nenne meinen Papagei Käpp’n Flint, nach dem berühmten Seeräuber – hier ist Käpp’n Flint und prophezeit unserer Reise Erfolg. Nicht wahr, Käpp’n?«
And der Papagei schrie dann mit großer Zungenfertigkeit: »Piaster! Piaster! Piaster!« – bis John sein Taschentuch über den Käfig warf.
»Na, sieh mal,« sagte er dann, »dieser Vogel, der ist vielleicht zweihundert Jahre alt, Hawkins – sie leben beinahe ewig; und wenn einer mehr Ruchlosigkeiten gesehen hat, dann muß das der Teufel selber sein. Der Vogel ist mit England gefahren, mit dem großen Käpp’n England, dem Piraten. Er ist auf Madagaskar gewesen und auf Malabar und in Surinam und Providence und Portobello. Er war dabei, als die gescheiterten Silberschiffe wieder aufgefischt wurden. Da hat er dies Geplapper von den Piastern gelernt, und das ist wohl kein Wunder: Dreihundertundfünfzigtausend waren’s, Hawkins! Er war dabei, als der Vizekönig von Indien aus dem Hafen von Goa herausgeholt wurde, jawoll, das war er! Und wenn du ihn so ansiehst, möchtest du denken, er wäre unschuldig wie ein kleines Kind – aber du hast Pulver gerochen – nicht wahr, Käpp’n?«
»Mach’, daß du weiterkommst!« kreischte der Papagei.
»Tscha, er ist ein hübsches Kerlchen!« sagte der Koch und gab ihm ein Stück Zucker aus der Tasche, und dann hackte der Vogel gegen die Stäbe des Käfigs und fluchte dabei so greulich, wie man sich’s nicht vorstellen kann.
»Tscha,« pflegte John dann zu sagen, »man kann kein Pech anfassen und dabei reine Finger behalten, mein Junge! Hier flucht mein armer, alter, unschuldiger Vogel das Blaue vom Himmel herunter und hat dabei keine Ahnung, was er sagt – darauf kannst du dich verlassen. Er würde ebenso fluchen, wenn er mit einem Kaplan zusammen wäre, und würde denken, es sei bloß eine gemütliche Unterhaltung.«
Und dabei tippte John sich auf die Stirn und machte dazu ein so frommes Gesicht, daß ich überzeugt war, er sei der beste Mensch auf der Welt.
Während dieser ganzen Zeit standen der Squire und Kapitän Smollett immer noch auf sehr gespanntem Fuß zueinander. Der Squire machte gar kein Hehl daraus, daß er von dem Kapitän gering dachte. Der Kapitän seinerseits sprach nur, wenn er angeredet wurde, und dann waren seine Antworten scharf und kurz und trocken – niemals ein Wort zuviel. Wenn er in die Ecke getrieben wurde, gab er zu, er scheine in bezug auf die Mannschaft sich geirrt zu haben; einige von ihnen seien wirklich flotte Matrosen, und alle hätten sich ziemlich gut benommen. In das Schiff war er geradezu verliebt. Oftmals sagte er:
»Sie liegt einen Strich näher am Wind, als ein Mann von seiner eigenen Ehefrau verlangen kann! Aber,« setzte er dann immer hinzu, »ich sage bloß so viel: wir sind noch nicht zu Hause, und die ganze Kreuzfahrt gefällt mir nicht.«
Dann drehte der Squire sich um, warf das Kinn in die Luft und marschierte so auf dem Deck auf und ab.
»Wenn ich von dem Mann noch ein bißchen mehr kriege,« pflegte er zu sagen, »dann geh’ ich in die Luft!«
Wir hatten zuweilen schweres Wetter; aber dabei zeigten sich die großartigen Eigenschaften der Hispaniola nur um so besser. Alle Leute an Bord schienen recht zufrieden zu sein, und sie hätten allerdings von Natur sehr unzufriedene Menschen sein müssen, wenn es anders der Fall gewesen wäre; denn ich bin der Meinung: niemals ist eine Schiffsmannschaft so verwöhnt worden, seit Noah in See stach. Doppelter Grog wurde bei jedem nur erdenklichen Anlaß ausgeteilt; mitten in der Woche gab es Pudding, zum Beispiel, wenn der Squire hörte, daß einer von den Leuten Geburtstag hätte; und eine Tonne voll von Äpfeln stand offen auf dem Mitteldeck, so daß jeder nur zuzulangen brauchte, wenn er Lust hatte.
»Habe noch nie gehört, daß so was gut getan hätte!« sagte der Kapitän zu Doktor Livesey. »Verwöhnst du die Matrosen, machst du Teufel aus ihnen! sagt das Sprichwort, und das ist auch meine Meinung.«
Indessen tat die Apfeltonne doch etwas Gutes, wie man hören wird; denn wäre die nicht gewesen, so hätten wir keine Warnung bekommen und wären vielleicht alle meuchlerisch ermordet worden.
Und das kam so:
Wir waren vor den Passatwinden gefahren, um auf die Luvseite der von uns gesuchten Insel zu kommen – deutlicher darf ich mich nicht ausdrücken – und hielten jetzt Tag und Nacht scharfen Ausguck nach unserem Ziel. Nach allen Berechnungen mußten wir am letzten Tage unserer Ausreise sein; wahrscheinlich noch in der Nacht, oder jedenfalls vor dem nächsten Mittag mußten wir die Schatzinsel sichten. Wir steuerten nach Süd-Südwest, hatten eine steife Brise im Stern und eine ruhige See. Die Hispaniola fuhr ihren sicheren Kurs und tauchte ab und zu ihr Bugspriet ein, daß eine Sprühwelle über sie wegging. Alles ging gut vonstatten, und alle Leute waren in bester Stimmung, weil wir jetzt dem Ende des ersten Teiles unseres Abenteuers nahe waren.
Als ich gleich nach Sonnenuntergang mit aller meiner Arbeit fertig war und nach meiner Koje ging, da fiel mir ein, daß ich wohl Lust auf einen Apfel hätte. Ich lief auf Deck. Die Leute von der Wache sahen alle nach vorne, nach der Insel aus. Der Mann am Helm sah nach den Segeln und pfiff leise vor sich hin, und das war der einzige Ton, der zu hören war außer dem Klatschen der Wellen gegen den Bug und die Seiten des Schiffes.
Ich stieg in die Apfeltonne hinein und fand, daß kaum noch ein Apfel übrig war; aber ich hockte mich im Dunkeln hin, und da muß mich das Klatschen des Wassers und die wiegende Bewegung des Schiffes wohl schläfrig gemacht haben; ich war entweder schon eingeschlafen oder war jedenfalls dicht davor, als plötzlich ein Mensch sich schwer gegen das Faß setzte. Die Tonne schwankte, als er seinen Rücken anlehnte, und ich wollte gerade