Gesammelte Romane und Erzählungen von Robert Louis Stevenson. Robert Louis StevensonЧитать онлайн книгу.
zu denken, daß es vielleicht gut sein könnte, eine Ansprache an seine Leute zu halten.
»Maate!« rief er, »da stehen zwei – der eine ist der alte Krüppel, der uns hierher gebracht hat und alles verpfuscht hat; der andere ist der Bengel, dem ich das Herz aus dem Leibe reißen will. Auf, Maate – –«
Er erhob Arm und Stimme und wollte offenbar zum Angriff schreiten. Aber gerade in diesem Augenblick ging es: Krack! Krack! Krack! – drei Musketenschüsse blitzten im Dickicht auf.
Merry fiel kopfüber in die Grube; der Mann mit dem verbundenen Kopf drehte sich wie ein Kreisel um sich selber und fiel, so lang er war, auf die Seite. Er zuckte noch ein paarmal – aber er war tot.
Die anderen drei Piraten machten kehrt und liefen davon, so schnell sie konnten.
Im Nu hatte Long John die beiden Läufe seines Pistols dem in der Grube noch wild um sich schlagenden Merry in den Leib abgefeuert; der Mann sah ihn im Todeskampf noch einmal mit rollenden Augen an. John aber sagte:
»George, ich rechne, dir hab’ ich’s gegeben!«
In demselben Augenblick sprangen der Doktor, Gray und Ben Gunn mit rauchenden Gewehren aus dem Muskatnußgebüsch hervor.
»Vorwärts!« rief der Doktor. »Macht fix, Jungens! Wir müssen sie von den Booten abschneiden!«
Und wir brachen in schnellstem Lauf durch die Büsche, die uns zum Teil bis an die Brust reichten.
Ich kann versichern: dem Silver lag daran, gleichen Schritt mit uns zu halten! Wie er sich an seiner Krücke vorwärts schwang, daß die Muskeln seiner Brust beinahe barsten – das war eine Leistung, die kaum ein Mensch mit gesunden Gliedern ihm nachgemacht hätte! Trotzdem war er um dreißig Schritt hinter uns anderen zurückgeblieben und einem Schlaganfall nahe, als wir den Rand der Hochfläche erreichten. Da rief er:
»Doktor! Sehen Sie doch! Wir brauchen uns nicht zu übereilen!«
Und richtig – Eile war überflüssig. Wir konnten die drei noch am Leben gebliebenen Piraten sehen, wie sie über eine Waldlichtung gerade auf den Besanmast-Berg zurannten – also immer in dieselbe Richtung. Wir befanden uns bereits zwischen ihnen und den Booten. Und so setzten wir vier uns denn nieder, um uns zu verschnaufen, während John, sich den Schweiß abwischend, langsam zu uns herankam.
»Danke Ihnen vielmals, Herr Doktor!« sagte er. »Sie kamen, denk’ ich, gerade im allerletzten Augenblick für mich und Hawkins. Und so bist du das, Ben Gunn!« fuhr er fort; »na, du bist mir ein netter Kerl!«
»Bin Ben Gunn – gewiß,« stotterte der Mann der Insel und wand sich dabei wie ein Aal in seiner Verlegenheit.
»Und«, setzte er nach einer langen Pause hinzu, »wie geht es Ihnen, Herr Silver? Sehr gut, sagen Sie – na, das freut mich, danke.«
»Ben, Ben!« murmelte Silver vor sich hin; »wenn ich denke, daß du mich angeführt hast – oh! oh!«
Der Doktor schickte Gray fort, um eine von den Hacken zu holen, die die Meuterer bei ihrer eiligen Flucht in der Grube liegen gelassen hatten, und während wir dann gemächlich den Berg hinunter nach der Stelle gingen, wo die Boote lagen, erklärte er uns mit ein paar Worten, was vorgegangen war. Es war eine Geschichte, die Silver sehr zu Herzen ging, und Ben Gunn war der Held der Geschichte von Anfang bis zu Ende.
Ben hatte auf seinen langen, einsamen Wanderungen über die ganze Insel das Gerippe gefunden; natürlich war er es, der es ausgeplündert hatte. Dann hatte er den Schatz gefunden (die zerbrochene Pickaxt; die in der Grube lag, gehörte ihm). Er hatte in vielen Tagereisen mit saurem Schweiß den ganzen Schatz auf seinem Rücken vom Fuß der Riesenfichte nach einer Höhle geschleppt, die er an dem zweigipfeligen Berg auf der Nordostspitze der Insel bewohnte, und dort hatte der Schatz sich seit zwei Monaten vor der Ankunft der Hispaniola in Sicherheit befunden.
Als der Doktor ihm, am Nachmittag nach dem Angriff der Piraten, dieses Geheimnis aus der Nase gezogen hatte, und dann am nächsten Morgen den Ankergrund leer sah, war er zu Silver gegangen, hatte ihm die jetzt nutzlos gewordene Karte gegeben – hatte ihm die Vorräte gegeben (denn Ben Gunns Höhle war reichlich mit Ziegenfleisch versehen, das dieser selbst eingepökelt hatte) –, hatte ihm alles und jedes gegeben, nur um dadurch die Möglichkeit zu erlangen, in Sicherheit von dem Blockhaus nach dem zweigipfeligen Berg zu ziehen, wo sie keine Malaria zu befürchten hatten und den Schatz hüten konnten.
»Daß wir dich im Stich lassen mußten, Jim,« sagte der Doktor, »tat mir innig leid – aber ich handelte so, wie es mir am besten für die schien, die bei ihrer Pflicht geblieben waren; und wenn du nicht bei diesen warst – wessen Schuld war das?«
Als er nun am Morgen fand, daß ich in die furchtbare Enttäuschung, die der Meuterer harrte, mit hineingeraten mußte, da hatte er den ganzen Weg nach Bens Höhle im Laufschritt zurückgelegt. Er hatte den Squire zur Pflege des Kapitäns dort gelassen und war mit Gray und Ben quer durch die Insel marschiert, um zur rechten Zeit an der Riesenfichte zu sein. Er sah jedoch bald, daß die Piraten einen Vorsprung vor ihm hatten, und da hatte er den schnellfüßigen Ben Gunn vorausgeschickt, um die Kerle zu beschäftigen. Der war auf den guten Gedanken gekommen, seine früheren Schiffsmaate bei ihrem Aberglauben anzupacken, und hatte denn auch damit so weit Erfolg gehabt, daß Gray und der Doktor zur rechten Zeit ankamen und bereits im Hinterhalt lagen, bevor die Schatzsucher eintrafen.
»Ah!« rief Silver, »es war ein Glück für mich, daß ich Hawkins bei mir hatte! Sie hätten den alten John in Fetzen schlagen lassen, ohne sich einen Augenblick darum zu bekümmern, Herr Doktor!«
»Nicht einen Augenblick!« rief der Doktor lustig lachend.
Mittlerweile waren wir bei den Booten angekommen. Der Doktor schlug mit der Pickaxt das eine in Stücke; dann bestiegen wir alle das andere und fuhren los, um auf dem Seewege die Nordbucht zu erreichen.
Es war eine Fahrt von acht oder neun Meilen. Silver mußte, wie die anderen alle, ein Ruder nehmen, obgleich er vor Müdigkeit halbtot war, und bald flogen wir schnell über eine glatte See dahin. Binnen kurzem waren wir aus dem engen Sund heraus und um die Südostspitze der Insel herum, um die die Boote vor vier Tagen die Hispaniola am Tau geschleppt hatten.
Als wir an dem zweigipfeligen Berg vorüberfuhren, konnten wir die schwarze Mündung von Ben Gunns Höhle sehen und neben dieser eine menschliche Gestalt, die sich auf eine Muskete lehnte. Es war der Squire, und wir winkten mit einem Taschentuch und brachten ein dreifaches Hurra aus, in welches Silver so herzhaft wie alle anderen einstimmte.
Als wir drei Meilen weiter gerade in die Mündung der Nordbucht einfuhren, wem begegneten wir da? Der Hispaniola, die auf eigene Hand sich auf die Fahrt begeben hatte!
Die letzte Flut hatte sie flott gemacht, und wäre ein kräftiger Wind geweht oder wäre die Strömung so stark gewesen wie an dem südlichen Ankergrund, so hätten wir das Schiff überhaupt nicht mehr oder jedenfalls als hoffnungslos gestrandetes Wrack gefunden. So war der Schaden nicht groß, abgesehen davon, daß das Hauptsegel etwas gelitten hatte. Ein anderer Anker wurde fertig gemacht und in anderthalb Faden tiefem Wasser ausgeworfen. Dann ruderten wir wieder nach der Rumbucht zurück, der nächsten Landungsstelle bei Ben Gunns Schatzhaus; und dann kehrte Gray allein mit dem Gig nach der Hispaniola zurück, auf der er die Nacht über wachen sollte.
Eine sanfte Steigung führte vom Strande bis zum Eingang der Höhle hinauf. Oben trat der Squire uns entgegen. Zu mir war er herzlich und freundlich; von meinem Durchbrennen sagte er kein Wort, weder des Lobes noch des Tadels. Als Silver ihn höflich mit einer Verbeugung begrüßte, wurde der Squire etwas rot und sagte:
»John Silver, Ihr seid ein überlebensgroßer Schurke und Betrüger – ein fürchterlicher Betrüger, Herr! Mir ist gesagt worden, ich soll Euch nicht verfolgen. Nun gut, ich tu’s auch nicht. Aber die Toten, Herr, hängen an Eurem Halse wie Mühlsteine!«
»Danke Ihnen freundlichst, Herr!« antwortete Long John mit einer abermaligen Verbeugung.
»Verschont mich mit Eurem Dank!« rief der Squire. »Es ist eine schwere Pflichtverletzung von