Der Herr der Welt. Robert Hugh BensonЧитать онлайн книгу.
»Bist du zu müde zum Sprechen, mein Lieber?«
Er öffnete seine Augen.
»Gewiss nicht, Liebling. Was gibt es?«
»Was glaubst du, werden die Folgen sein?«
Er richtete sich ein wenig auf und blickte, wie er es gewohnt war, hinaus in die Dunkelheit, hin auf dieses staunenswerte Schauspiel. Allenthalben flammten Lichter, ein Meer von sanftleuchtenden Kugeln schwebte über den Häusern, und darüber wölbte sich das geheimnisvolle, schwere Blau eines Sommerabends.
»Die Folgen?«, sagte er. »Sie können nur gut sein. Es war Zeit, dass einmal etwas geschah. Liebste, du weißt, ich fühlte mich manchmal sehr niedergedrückt. Nun, ich glaube, jetzt werde ich dieses Gefühl nicht mehr haben. Ich konnte mich manchmal der Furcht nicht erwehren, dass wir alle unseren Geist verlieren und dass die alten Tories teilweise recht hatten, wenn sie prophezeiten, was der Kommunismus zur Folge haben werde. Aber jetzt, nach diesem …«
»Nun?«
»Nun, wir haben gezeigt, dass wir sogar unser Blut zu vergießen imstande sind. Es kam auch alles wie gerufen, gerade in der Krisis. Ich will nicht übertreiben; es ist nur eine Schramme, — aber es war so wohl erwogen und — so dramatisch. Der arme Teufel hätte keinen ungeschickteren Moment wählen können. Das Volk wird es nicht vergessen.«
Mabels Augen glänzten vor Vergnügen.
»Du Armer«, sagte sie, »hast du Schmerzen?«
»Nicht besonders, übrigens macht mir das den wenigsten Kummer. Wenn nur diese elende Geschichte mit dem Osten erst vorüber wäre!«
Er fühlte, dass er fieberte und in gereizter Stimmung war, und bemühte sich, dies niederzuzwingen.
»O, meine Liebe«, fuhr er fort, während ihm die Röte ins Gesicht stieg, »wenn sie nicht solch verbohrte Narren wären; sie begreifen nicht, verstehen nicht!«
»Was, Oliver?«
»Sie begreifen nicht, wie erhaben das alles ist: Humanität, Leben, endlich Wahrheit und Untergang der Torheit! Aber habe ich es ihnen nicht hundertmal gesagt?«
Sie blickte ihn mit freudestrahlenden Augen an. Wie gern sah sie ihn so, seine zuversichtlichen, geröteten Züge, die Begeisterung in den blauen Augen, und das Bewusstsein, dass er litt, entflammte ihr Gefühl zur Leidenschaft. Sie beugte sich schnell vorwärts und küsste ihn.
»Liebster, ich bin so stolz auf dich, Oliver.«
Er erwiderte kein Wort, aber sie konnte sehen, was sie so gerne sah, jene innere Übereinstimmung, und so saßen sie schweigend da, während die Nacht sich langsam herabsenkte, und nur das Klappern des Schreibers im Nebenzimmer erinnerte sie daran, dass die Welt noch bestand und sie ihr angehörten.
Plötzlich erwachte Oliver.
»Hast du eben etwas bemerkt, mein Liebling, als ich die Bemerkung über Jesus Christus machte?«
»Sie hielt einen Moment im Stricken inne.«
»Du sahst es also auch … Mabel, glaubst du, dass sie rückfällig wird?«
»O, sie wird alt«, warf diese leicht ein. »Natürlich blickt sie da ein wenig zurück.«
»Aber du meinst doch nicht etwa … Es wäre zu schrecklich.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Nein, nein, mein Lieber; du bist erregt und müde. Es ist nur eine kleine Gemütsbewegung … Oliver, ich glaube, ich würde so etwas nicht vor ihr sagen.«
»Aber sie hört es doch jetzt überall.«
»Nein, sie hört es nicht. Bedenke nur, sie geht fast nie aus. Außerdem hasst sie es. Und dann muss man nicht vergessen, dass sie katholisch erzogen wurde.«
Oliver nickte und lehnte sich zurück, indem er träumerisch vor sich hinblickte.
»Ist es nicht erstaunlich, wie lange die Suggestion fortwirkt? Sie kann die Idee nicht los werden, selbst nach fünfzig Jahren noch nicht. Nun, habe ein Auge auf sie, ja? … übrigens …« »Ja?«
»Es sind ein paar weitere Nachrichten aus dem Osten eingelaufen. Man sagt, Felsenburgh habe jetzt die ganze Sache in der Hand, überall ist er, und im Auftrag des Reiches — in Tobolsk, Benares, Yakutsk, — überall, auch in Australien war er.«
Mabel richtete sich rasch auf.
»Gibt uns das nicht gute Hoffnung?«
»Meiner Meinung nach, ja. Es ist kein Zweifel, dass die Sufis gewinnen, aber auf wie lange, ist eine andere Frage. Dazu kommt, dass die Truppen immer noch zusammengezogen sind.«
»Und Europa?«
»Europa rüstet sich in möglichster Eile. Wie ich höre, treten wir mit den übrigen Mächten nächste Woche in Paris zusammen. Ich muss auch gehen.«
»Aber dein Arm, Liebster?«
»Mein Arm muss eben gut werden. Aus alle Fälle wird er mit mir gehen müssen.«
»Erzähle mir noch etwas mehr!«
»Ich habe dir schon alles erzählt. Aber das ist ganz sicher, dass dies die Krisis ist. Wenn der Osten überredet werden kann, jetzt seine Hand zurückzuhalten, wird er sie wohl nie mehr erheben. Das würde dann für die ganze Welt freien Handel und dergleichen mehr bedeuten, so vermute ich. Wenn jedoch —«
»Nun?«
»Wenn nicht, dann gibt es eine Katastrophe, wie sie keine Fantasie bisher zu malen imstande war. Die ganze menschliche Rasse wird unter Waffen stehen, und entweder der Osten oder der Westen wird weggefegt werden. Die neuen Benninscheinschen Explosivstoffe garantieren einen solchen Ausgang.«
»Aber ist es denn absolut sicher, dass der Osten sie besitzt?«
»Absolut! Benninschein verkaufte sie gleichzeitig an den Osten und an den Westen. Dann starb er, und das war sein Glück.«
Mabel hatte früher davon sprechen gehört, aber sie hatte sich immer gesträubt, daran zu glauben. Ein Zweikampf zwischen Ost und West war unter den jetzigen Umständen etwas ganz Undenkbares. Seit einem Menschenalter hatte Europa keinen Krieg mehr gesehen, und die Kriege des Ostens im vergangenen Jahrhundert waren noch mit den alten Kampfmitteln ausgefochten worden. Nunmehr aber wäre, wenn das, was man sich erzählte, der Wahrheit entsprach, ein einziges Geschoss hinreichend, um eine ganze Stadt zu vernichten. Was ein Krieg unter den jetzigen Umständen wäre, dazu reichte keine Einbildungskraft hin. Was militärische Sachverständige voraussagten, war überschwänglich und schon in den Hauptpunkten voll