Harald Harst Krimis: Über 70 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Buch. Walther KabelЧитать онлайн книгу.
Papiere, Herr Wirt. – Kann ich wohl bei Ihnen ein paar Tage bleiben. Ich bin mit einem Heulager zufrieden. Und ich helfe auch gern ’n bißchen mit.« – »Wollen sehen –«
Abends kamen ein paar Bauern zum Skat in die Dorfschenke. Schraut erzählte ihnen gepfefferte Witze und machte Kartenkunststücke. Es ging sehr vergnügt her, und der Wirt merkte, daß Max Schraut ein nutzbringender Gast war. So kam’s denn, daß Harsts Privatsekretär diese Nacht in einem Stübchen neben dem Schankraum in einem sauberen, weichen Bett schlief, während sein Herr mit den Flöhen des Gerichtsgefängnisses zu derselben Zeit einen ebenso erbitterten wie aussichtslosen Kampf ausfocht. – Am Morgen durfte Max Schüler, der Geigenkünstler, den Schweinestall ausmisten. Dann aber zog er es vor, sich zu drücken und zu Schimmeck zu gehen. Dieser arbeitete auf seinem Hof an einem Pfluge. Er war ein älterer, ernster Mann mit der ruhigen Art der alteingesessenen, wohlhabenden Bauern. Sein Gesicht verriet jene Schlauheit, die selbst höhere Bildung entbehrlich macht. Als Schraut ihn nach einigen einleitenden Sätzen fragte, ob er sich auf seine Verschwiegenheit jedermann gegenüber wohl verlassen könnte, meinte Schimmeck bedächtig: »Das können Sie. – Ich merke aus dieser Frage schon, daß Sie kein echter wandernder Musikant sind. Sind Sie etwa gar – Herr Harst? Der Graf sagte gestern zu mir, der Detektiv würde wahrscheinlich in einer Verkleidung herkommen.«
»Ich bin Harald Harst,« erklärte der Komiker leise. »Nein – danke, nicht ins Haus. Wir können uns auch hier unterhalten. – Woher weiß der Graf, daß ich in Szentowo auftauchen würde?«
Der Gemeindevorsteher erwiderte, Lippstedt wäre gerade bei ihm im Dienstzimmer gewesen, als Harst vorgestern telephonisch um Auskunft über die angeblichen Unfälle auf dem See gebeten hätte. »Er zeigte gleich ein großes Interesse für Sie, Herr Harst, fragte, ob Sie mich schon früher mal angerufen hätten, und kam dann gestern gegen Abend mit der neuesten Berliner Zeitung zu mir, las mir den Artikel über Sie vor und war sehr aufgebracht darüber, daß – »dieser Unsinn von dem See nun wieder aufgewärmt würde«, wie er sich ausdrückte. Ich soll ihm auch sofort melden, wenn Sie sich hier blicken lassen oder mich nochmals antelephonieren. Natürlich werde ich nun schweigen. Mein Versprechen halte ich. – Hm – Sie möchten wissen, weshalb der Graf es nicht gern sieht, daß über das Leuchten in unserem See gesprochen wird. Ja, das ist nun eigentlich eine merkwürdige Sache, Herr Harst. Bevor ich mich darüber auslasse, will ich noch bemerken, daß unser Graf früher – noch vor einem Jahr – ein sehr gemütlicher Herr war. Dann aber kam seine erste Frau, eine geborene Komtesse Hildegard Hersfeld, bei dem Eisenbahnunglück bei Köslin ums Leben und er heiratete schon nach vier Monaten die jetzige Gräfin Tilla, die bis dahin in Berlin Schauspielerin gewesen sein soll. Er muß sie wohl schon vordem gekannt haben. Seine erste Gattin war kränklich, und – er fuhr sehr viel nach Berlin. Im vorigen Sommer hielt die neue Gräfin nach einer Hochzeit, der von der Verwandtschaft nur der Neffe, ein Herr von Blenkner, beigewohnt hatte, hier ihren Einzug. Nun – sie hat es schnell fertiggebracht, sich und leider auch den ganz unter ihrem Pantoffel stehenden Grafen überall unbeliebt zu machen. Sie spielt sich sehr auf, tut als hätte sie niemals Mathilde Mulack geheißen, hat den Neffen schon zwei Wochen nach der Hochzeit ganz vergrault und – den Grafen zu dem gemacht, der er heute ist, – ein zerfahrener, leicht aufbrausender und körperlich ganz heruntergekommener Mann. Sie hätten ihn früher kennen sollen, Herr Harst! Da war er frisch, lebenslustig, da –« Und Schimmeck redete in dieser Weise noch eine Weile weiter, bis Schraut ihn fragte, was der Neffe für ein Mensch wäre. »Oh, – ein sehr netter Herr. Ein richtiger Neffe vom Grafen ist’s aber nicht, nur ein Sohn einer älteren Schwester seiner ersten Frau. Er ist Schriftsteller und wohnt drüben in der Kreisstadt.« – »So so. – Was halten Sie von dem Güterdirektor Bollschwing?« – »Sehr viel. Ein Ehrenmann durch und durch. Wenn der nicht auf den Besitzungen des Grafen nach dem Rechten sähe, wäre längst alles verlottert.« – »Wir sind vom Thema etwas abgekommen, Herr Schimmeck. Sie wollten mir doch erklären, weshalb es eine merkwürdige Sache wäre, daß der Graf –« »Ach so, richtig. – Nun, zunächst das Leuchten im See – damit hat’s seine Richtigkeit. Ich habe es selbst wiederholt gesehen. Der Graf hat nun immer so getan, als ob ihm die Geschichte sehr gleichgültig wäre. Den Detektiv Holzmüller ließ er nur herkommen, weil der Amtsrichter Mörner in Malchin – es gibt dort nur den einen Richter – ihm den Vorschlag wiederholt gemacht hat, die Angelegenheit doch untersuchen zu lassen. Er hat immer über die Sache gelacht und gesagt, es wären ganz sicher Sumpfgase, die auf dem Seegrund brennen. Aber, Herr Harst, – aber in Wirklichkeit war er doch wohl anderer Ansicht, da er viele Nächte im verflossenen Herbst und in diesem Frühjahr sich in seinem Boot auf dem See heimlich herumgetrieben hat, nachdem er sehr bald nach dem ersten Auftauchen des Spuks streng verboten hatte, dort zu fischen oder Kahn zu fahren. Ja – er ließ sogar alle anderen Kähne und Boote unter einem Vorwand zerschlagen. Und dabei gab er sich vor den Leuten stets den Anschein, als wäre ihm das Leuchten im Wasser nicht mal eines Wortes wert.«
Schraut hatte sich auf einen Holzklotz gesetzt und überdachte das soeben Gehörte. – Schade, daß der echte Harst nicht hier war. Der hätte vielleicht aus Schimmecks recht vielseitigen Angaben manches Wichtige herausgefunden. Schraut versuchte dies auch, aber umsonst. Er sah nur das eine mit aller Deutlichkeit: das Geheimnis des Sees wurde immer verworrener. – Wie sollte man wohl Blenkner und Ballschwing dazu in irgend eine Beziehung bringen? – Da begann Schimmeck wieder, der inzwischen ein paar Nägel in den hölzernen Pflug geschlagen hatte: »Richtig – eins fällt mir noch ein, Herr Harst, was für Sie vielleicht auch ganz interessant ist. Im letzten Herbst ist der Familienschmuck der ersten Gattin unseres Gutsherrn gestohlen worden. Der Diebstahl wurde von dem Grafen ganz zufällig entdeckt. Die Schmucksachen lagen in einem geheimen Wandfach in seinem Arbeitszimmer, das er selten öffnete. Als er’s nach einigen Wochen wieder mal tat, fand er das Schloß zerstört vor, und der Schmuck war verschwunden. Unser Gendarm hat diese Sache untersuchen müssen. Aber natürlich kam nichts dabei heraus. Seit dem Diebstahl waren ja schon Wochen vergangen, wenigstens seit dem Tage, als der Graf das Wandfach zum letzten Mal geöffnet hatte. Es wußte ja auch niemand so recht, wann die Schmuckstücke verschwunden waren. Einen Verdacht gegen irgendwen konnte der Graf auch gar nicht äußern. – Ja, Herr Harst, – und nun will ich Ihnen schließlich auch noch als letzte anvertrauen – aber Sie dürfen um Himmelswillen zu keinem Menschen ein Wort darüber äußern – daß ich persönlich der Ansicht bin, die jetzige Gräfin dürfte bei diesem Diebstahl nicht ganz unbeteiligt sein. Eine Nichte meiner Frau ist im Schlosse nämlich beim Güterdirektor in dessen Bureau beschäftigt – als Gutssekretärin. Sie hat nun mal ein paar Worte eines leisen Gesprächs zwischen Bollschwing und seinem Intimus Blenkner aufgeschnappt. Und aus diesen Worten habe ich mir zusammengereimt, daß die beiden Herren die Gräfin Tilla auch nicht für harmlos halten, was den verschwundenen Schmuck anbetrifft. Anderseits geht hier im Dorfe so ein Getuschel um, Herr von Blenkner wäre der Dieb, was der reinste Unsinn ist. Die Nichte meiner Frau meint, die Gräfin hat an diesem albernen Gewäsch schuld. – Sie sehen, Herr Harst, – von den Schloßbewohnern gibt’s so allerlei zu berichten. – Hoffen Sie nun, die Sache mit dem Leuchten aufklären zu können? – Ich helfe Ihnen gern in allem, schon aus Ärger über die Gräfin Tilla, die immer so überlegen lächelt, wenn das Seeleuchten mal erwähnt wird, und die dabei doch ebenfalls so und so oft nachts ihren Mann im Boot begleitet hat. Noch vor acht Tagen habe ich die beiden bemerkt. Ich habe manche Nacht geopfert und am Ufer auf der Lauer gelegen, da ich selbst versuchen wollte, hinter diese seltsame Geschichte zu kommen. Ich bin ja nicht ganz ungebildet, Herr Harst, habe eine Landwirtschaftsschule besucht und mich dann allein aus Büchern über vieles unterrichtet.«
Schraut verabschiedete sich gleich darauf. – Wirklich – ein Jammer, daß Harst eingesperrt war, – besser, daß er sich hatte einsperren lassen, denn es wäre ihm ja ein leichtes gewesen, dem Grafen gegenüber die Maske zu lüften. Nun – er mußte wohl seine Gründe gehabt haben, daß er’s nicht tat. – Am Nachmittag half Schraut beim Unkrautjäten im Garten, und erst nach elf Uhr abends, als die letzten Gäste die Dorfkneipe verlassen hatten, stieg er zum Fenster seines Stübchens hinaus und schlich nach dem See hinab.
4. Kapitel
Die falsche Theorie