Harald Harst Krimis: Über 70 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Buch. Walther KabelЧитать онлайн книгу.
und zerrte ihn nach dem Wandsofa hin, neben dem unsere Sessel standen. Die Lady folgte ihnen mit verängstigtem Gesicht. Ihre Augen waren vom Weinen stark gerötet.
Wir fünf saßen nun schweigend da und warteten. Worauf? – Keiner von uns ahnte es.
Eine Viertelstunde mochte verstrichen sein, als die andere Tür aufging und – eine verschleierte, schlanke Frau eintrat.
Sie trug eine Gesellschaftsrobe, mattlila, reich mit Spitzen garniert, dazu einen Spangenschuh aus mattgoldenem Stoff. Auf den Schuhen blitzten und sprühten Diamanten. Ihr Gesicht war durch einen jener silberdurchwirkten Kaschmirschleier verhüllt, wie sie höchst selten in den Handel kommen. Dieser Schleier aber befindet sich jetzt in Haralds Raritätensammlung.
Sie schritt langsam bis in die Mitte des Salons, winkte den Malaien, die sofort verschwanden, und zog den Schleier vom Gesicht.
Es war ein pikantes Frauenantlitz von eigenartigem Liebreiz. Es waren aber James Goorbs Augen, die sich jetzt fest auf Lord Blackmoore richteten.
Blackmoore schrie leise auf, hatte die Hände wie abwehrend erhoben.
Die Frau machte ebenso plötzlich kehrt und ging wieder hinaus.
Diese kurze Szene war wie ein seltsamer Spuk. Leider aber war das, was nun folgte, desto eindrucksvoller durch die Gebärden und die Mienen der Beteiligten.
Lady Blackmoore weinte und rief mit halb erstickter Stimme:
„Percy, wer war diese Frau?!“
Und Albemarle brüllte wieder in neu erwachter Wut:
„Blackmoore, ich verlange Aufschluß über –“
Percy Blackmoore war mit einem Male wie in einer Ohnmachtsanwandlung zusammengesunken und hatte die Stirn auf die Tischkante gestützt. –
Die Malaien erschienen. „Folgt uns!“ rief der eine dem Ehepaar und Albemarle zu. Dieser jedoch hatte schon einen Sessel gepackt und wollte ihn auf den Malaien schleudern. Im selben Moment erlosch das Licht im Salon.
Harald und ich hörten Albemarle fluchen, hörten noch ein Röcheln, einen Aufschrei Lady Blackmoores und ihres Gatten matte Stimme: „Ich wehre mich nicht. Meinetwegen könnt Ihr mich ersäufen –“
Das Licht flammte wieder auf. Wir waren wieder im Salon mit den beiden Malaien allein, die uns nun zurück in unsere Kammer brachten.
5. Kapitel
Lady Anna Broog
Wir erhielten Essen und Trinken. Man hatte uns auch die Fesseln wieder abgenommen. Vor der Kammertür lagen auf einer Matte beständig die beiden Malaien. Wir durften nicht sprechen. Als Harald dieses Verbot mißachtend mit mir zu flüstern begann, warf der eine Malaie seinen Dolch haarscharf an Harsts Kehle vorbei in die Wand, wo die lange Waffe stecken blieb.
Nein – dieses Abenteuer wurde jetzt wirklich ungemütlich. Die Tür blieb offen. Und die Acetylenlaterne umhüllte uns ständig mit ihrem grellen Licht.
Ich sah nach der Uhr. Es war jetzt genau Mittagszeit. Noch neun Stunden beließ man uns in der Kammer. Dann wurden wir wieder gefesselt und mit verbundenen Augen in ein Boot geführt. Es war ein Motorboot. Über eine Stunde, so schätzte ich, fuhren wir auf einem Flusse entlang. Ich hörte Bäume rauschen, hörte das Gekreisch von Affenherden, hörte auch das Brüllen von Wasserbüffeln und den heiseren Schrei von Vögeln.
Das Boot hielt an. Man brachte uns über eine Laufplanke an Land. Man führte uns offenbar durch eine felsige Wildnis, ließ uns klettern, half uns über Hindernisse hinweg.
Dann ging es eine endlose Steintreppe abwärts. Es mußte ein Tunnel, ein Schacht sein, in dem die Treppe abwärts lief. Die Luft wurde kühler und kühler, dann wieder wärmer. Wir schritten nun über kahlen, ebenen Felsboden hin. Und abermals ging es eine Steintreppe aufwärts. Dann schienen wir am Ziel zu sein. Man nahm uns die Tücher wieder ab.
Vor uns standen die beiden Malaien und der Matrose Brigham.
„Master Goorb läßt Ihnen sagen,“ erklärte Brigham „daß es ihm sehr leid tut, Ihnen gegenüber Zwang anwenden zu müssen. Er macht Ihnen nochmals den Vorschlag, daß Sie beide –“
Harst winkte kurz ab. „Lassen Sie, Brigham. Jedes weitere Wort ist zwecklos. Sie werden die Suppe ausessen müssen, die Sie sich hier eingerührt haben.“
Der Pockennarbige blickte zu Boden. Ihm war offenbar nicht ganz behaglich zu Mute. – „Ich habe Ihnen dann zu eröffnen,“ erklärte er darauf recht kleinlaut, „daß jeder Fluchtversuch Sie das Leben kostet. Sie haben hier zwei Räume zur Verfügung. Am Tage werden Sie ein paar Stunden im Tale auf und ab gehen dürfen.“
Er nahm uns die Handfesseln ab. „So – ich lasse Ihnen diese Petroleumlaterne hier. Gute Nacht.“
Die schwere, dunkle Holztür fiel zu. Wir waren allein. Harald schaute mich an und lächelte.
„Spiegelfechterei, mein Alter!“ sagte er auf deutsch. „Diese exzentrische Dame hat bis zuletzt gehofft, wir würden nachgeben –“
Er beleuchtete dann mit der Laterne diesen kleinen Raum, der mit seinen kahlen Steinwänden und den dürftigen Möbeln nicht gerade wohnlich wirkte. Eine durch einen Vorhang verhüllte Türöffnung führte in ein noch kleineres Gemach, das so etwas wie ein Badezimmer ohne Badewanne vorstellen sollte. Auch hier gab es nur schießschartenähnliche Fenster, die für einen Mann zum Durchkriechen zu schmal waren.
Harst löschte die Laterne aus. Wir hatten ja unsere Feuerzeuge, konnten sie also jeden Augenblick wieder anzünden. Wir setzten uns auf das eine Bett, nachdem wir versucht hatten, durch die Schießscharten einen Blick ins Freie zu werfen. Es war draußen jedoch so dunkel, daß wir nichts sehen konnten.
„Lady Anna Broogs Absichten sind jetzt geklärt,“ begann Harald leise. „Sie will Lady Blackmoore aus Eifersucht verschwinden lassen.“
„Lady Anna Broog? Wer ist denn das?“ fragte ich erstaunt.
„Das ist James Goorb, mein Alter. In den Zeitungen, die auf dem Tische in der Kabine lagen, fand ich noch mehr recht interessante Notizen. Aus ihnen ging hervor, daß die „exzentrischsteDame dieses Jahrhunderts“ eine junge Witwe Anna Broog, Lady Broog, ist. Ihr Name war mir nicht fremd. Sie hat schon manchen tollen Streich sich geleistet und – Horch’, was war das eben?! Das klang wie Weinen und Schluchzen!“ Er sprang auf und eilte an das eine Fenster. Dort stand noch der Tisch, auf den wir vorhin gestiegen waren, um hinausschauen zu können. Harst war mit einem Satz oben und steckte den Kopf durch die schmale Maueröffnung, zog ihn wieder zurück und flüsterte: „Hilf mir! Vielleicht kann ich in der Seitenlage doch hindurch Hebe mir die Beine an. – Warte – so, nun los!“
Und wirklich: es glückte! Der schlanke Harst hing jetzt nur noch mit einem Fuß in der Öffnung, den Kopf nach abwärts. Dann verschwand auch dieser Fuß. – Unsere Zellen lagen im Erdgeschoß dieses Steingebäudes. Man hatte uns im Innern des Hauses keine Treppe hinaufgeführt. Harald konnte sich also kaum beschädigt haben, als er sich aus dem Fenster auf den Boden fallen ließ. Trotzdem wartete ich auf ihn mit steigender Ungeduld und Sorge. – Das Weinen und Schluchzen war verstummt.
Mit einem Male ein Geräusch von der Tür her, dann eine Stimme: „Komm’, es sind nur die beiden Malaien als Wächter hier. Sie sitzen eine Treppe höher in einem Gemach und rauchen und schwatzen.“
Ich mußte die Stiefel ausziehen. Harald nahm mich bei der Hand. Es ging in tiefster Dunkelheit eine gewundene Steintreppe empor. Dann sah ich in dem etwas helleren Gange vor mir einen Lichtschimmer.
„Dort stecken sie,“ hauchte Harst. „Sie haben unsere Pistolen vor sich auf dem Fußboden liegen. Ich habe mir zwei Steine besorgt. Ich bin nicht gerade für Roheiten. In diesem Falle geht’s nicht anders –“
Er