Harald Harst Krimis: Über 70 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Buch. Walther KabelЧитать онлайн книгу.
bedürfte nur noch des Beweises, daß der Liebhaber Thoras wirklich ein Deutscher ist,“ fügte er hinzu. „Diesen Beweis liefert der Brief, dessen Schnitzel Sie aus dem Wasser herausgefischt haben!“
„Und – wer ist’s?“ meinte der Kapitän gespannt, und seine sonngebräunten Hände schlossen sich zu Fäusten.
„Ein Mann von hervorragender Intelligenz, der stets viel Glück bei Frauen gehabt hat, – ein Mensch, auf den die Bezeichnung „faszinierende Persönlichkeit“ zutrifft, – ein gewissenloser Schürzenjäger, der schon viel Unheil angerichtet, – ein Gelehrter, der das Verbrechen an den Quellen studiert hat –“
„Und der Name?“ keuchte Boomlund mit verzerrtem Gesicht.
„Was besagt ein Name?! Sie kennen den Mann nicht, wenn Sie auch seinen Namen fraglos wiederholt gehört haben. Warten Sie noch drei Tage, dann erfahren Sie auch den Namen!“
„Dann bin ich bereits mit meinem Dampfer in Stettin. Ich gehe heute früh in See –“
„Ah – das trifft sich gut. Sie passieren ja Rügen, Herr Kapitän. Nehmen Sie uns mit. Dann brauchen wir nicht erst nach Trelleborg zurück. In Saßnitz lassen Sie uns dann ausbooten.“
„Ich werde vor Saßnitz vor Anker gehen, Herr Harst. Ich will Thora noch einmal sehen. Sie hat gesühnt. Sie mag diesem Anderen mit Leib und Seele verfallen gewesen sein, kam von ihm nicht mehr los. Sie war nicht schlecht. Nein – sie hatte bei mir Schutz vor diesem Anderen gesucht. Aber – er war stärker als sie! Es gibt ja eine Liebeshörigkeit, wie man im Altertum die Sklaverei als Hörigkeit bezeichnete. Und – diese Liebeshörigkeit hat Thora den Tod gebracht. Doch – weshalb dieser Mord, Herr Harst, – weshalb?!“
„Gewinnsucht – Raubmord!“ erklärte Harald sehr bestimmt.
Boomlund schüttelte den Kopf. „Der 15 000 Kronen wegen, die Thoras Koffer enthielt?! Deswegen ein Mord?!“
„Der Koffer kann auch Thoras ganzes Barvermögen enthalten haben, was ich übrigens als sicher annehme. Der Mörder hat Thora eben in jenem Briefe, dessen Schnitzel Sie fanden, überredet, mit ihm zu fliehen. Und da wird sie in aller Stille ihr Geld abgehoben haben.“
5. Kapitel
Um Minuten
Nachmittags warf der Dampfer Haugesund vor Saßnitz Anker.
Die Leiche war in einem Raume des Gemeindehauses vorläufig untergebracht. Doktor Olavsen, den wir von Kopenhagen aus davon benachrichtigt hatten, daß wir direkt nach Saßnitz führen, war hier zusammen mit Bließke schon um zwei Uhr eingetroffen und hatte in der Toten seine Schwester sofort wiedererkannt.
Bereits um 6 Uhr verließen wir beide Saßnitz mit dem D-Zuge und fuhren über Stralsund nach Berlin, wo wir um 11 Uhr eintrafen.
Harald war während der Reise stumm wie ein Fisch. Ich sah es ihm an, daß ihn irgend etwas quälte. Erst als wir vor dem Stettiner Bahnhof in Berlin ein Auto bestiegen hatten und als er dem Chauffeur als Ziel „Polizeipräsidium Alexanderplatz“ genannt hatte, sagte er zu mir:
„Wenn meine Kombinationen, was die Person des Mörders betrifft, nicht stimmen, dann dürfte dieses Verbrechen nie aufgeklärt werden. Ich hätte nicht nach Kopenhagen fahren, sondern in Trelleborg bleiben und der Grauhaarigen nicht von den Fersen weichen sollen, denn – sie war der Mörder. Das leere Auto hat man ja noch an demselben Abend in der Nähe von Trelleborg gefunden. Wer weiß, was Freund Lenk dazu sagen wird!“ –
Dann begrüßten wir den langen Lenk, der uns sofort mit den Worten empfing:
„In allen Zeitungen steht bereits, daß Harald Harst das Verschwinden der Norwegerin aufzuklären sucht. Und heute brachten die Abendblätter die Nachricht von dem Leichenfund bei Binz. – Sie haben den Mörder ermittelt. Harst, – das sehe ich Ihnen an!“
„Ich hoffe es. Setzen wir uns. Urteilen Sie selbst, Lenk, ob mein Belastungsmaterial genügt. – Sie kennen den Rechtsanwalt Ruperti doch persönlich, nicht wahr –“
Ah – endlich ein Name – der Name! – Ruperti also! Niemals wäre ich auf Ruperti gekommen!
„Ja, ich kenne ihn, natürlich! So ein bekannter Strafverteidiger, nebenbei noch Liebhaberdetektiv wie Sie!“
„Ruperti ist seit sechs Jahren mit einer Norwegerin, die sehr reich war, aber weder äußere noch geistige Vorzüge besitzt, verheiratet. Der Ehe sind zwei Kinder entsprossen. Ruperti ist als Weiberheld ebenso berüchtigt wie als geistvoller Verteidiger berühmt. Nebenbei spielt er, treibt Sport, ist Jäger, schießt sehr gut, liebt es, in Verkleidungen Verbrecherkaschemmen zu besuchen –“
„Das stimmt alles,“ nickte Lenk. „Weiter nur!“
„Am 30. September ist er mit den Seinen nach Bad Harzburg gereist. Dorthin telegraphierte ich Thora Olavsens wegen. Die Antwort war „Lotte Ruperti“ unterzeichnet, obwohl ich mich doch nicht an seine Frau, sondern an ihn gewandt hatte. Dies fiel mir auf. – Dann zweitens: Thora Olavsen hat bei Rupertis ein halbes Jahr gewohnt. Konnten sich da nicht zwischen Ruperti und Thora Beziehungen angesponnen haben?! – Drittens: Thora ließ sich alle Briefe – erst nach ihrer Rückkehr aus Berlin – postlagernd senden. Sie wollte also verhüten, daß ihr Bruder erführe, mit wem sie Briefe wechselte. Einer dieser Briefe, von einem Deutschen, geriet zum Teil in die Hände ihres Verlobten. Der Liebhaber Thoras war also ein Deutscher – konnte also Ruperti sein! – Viertens: Wenn es Ruperti war, dann war auch eine Erklärung dafür gegeben, weshalb der Liebhaber Thora nicht heiratete, weshalb diese Heimlichkeiten mit dem Briefwechsel nötig waren: Ruperti war ja bereits verheiratet! – Und fünftens: Ruperti schießt vorzüglich! Und die Grauhaarige schoß ebenfalls glänzend – auf mich! Wie durch ein Wunder kam ich nur mit einem Streifschuß davon. – So, wenn wir nun bedenken, daß Ruperti bartlos ist, sich gut zu verkleiden versteht, dann –“
Lenk war aufgesprungen.
„Und wenn wir hier feststellen, daß er nicht in Harzburg in den letzten drei Tagen war –“
„Worauf das von seiner Frau unterzeichnete Antworttelegramm hindeutet,“ ergänzte Harald.
„– Dann soll er uns beweisen, wo er gewesen! – Harst, wir fahren noch heute abend!“ –
Als wir drei am folgenden Vormittag gegen zehn Uhr durch die Straßen Harzburgs dem Pensionat Arnhelm zuwanderten, sagte Lenk ehrlich:
„Mir ist etwas beklommen zu Mute. Wir werden Ruperti gegenüber keinen leichten Stand haben! Er ist mit allen Hunden gehetzt. Er wird für ein Alibi gesorgt haben –“
„Das sich leicht nachprüfen läßt,“ erklärte Harald gelassen. „Ich fürchte nur, er wird nicht anzutreffen sein –“
„Entflohen?“
„Nein – gar nicht mehr nach Harzburg zurückgekehrt! Ich bin überzeugt, er hat sich gesichert, ist gestern bis Berlin hinter Schraut und mir her gewesen und weiß, daß wir Sie sofort aufsuchten, lieber Lenk. Wenn er dann noch beobachtet hat, wie wir gestern abend Fahrkarten nach hier lösten, dann – wird er sich wohl selbst sagen, daß wir es auf ihn abgesehen haben. – Ich habe ja scharf aufgepaßt, ob jemand uns beobachtete. Aber ein Ruperti versteht seine Sache!“
Lenk blieb stumm. – Wir waren vor der mitten in einem Garten liegenden Villa angelangt. – Gleich darauf standen wir der Pensionsinhaberin gegenüber. Lenk legitimierte sich als Kriminalkommissar, fragte dann:
„Herr Rechtsanwalt Ruperti aus Berlin wohnt doch hier bei Ihnen, Fräulein Arnhelm?“
„Gewiß, gewiß!“ bestätigte die hagere, etwas säuerlich-liebenswürdige Pensionsmama. „Allerdings ist zur Zeit nur seine Gattin mit den beiden Kindern anwesend. Er selbst ist verreist. – Sie kommen