Zur Geschichte der Handelsgesellschaften im Mittelalter. Max WeberЧитать онлайн книгу.
zu erörtern, ob nicht etwa schon im römischen Recht wenigstens Ansätze zu einer Ueberwindung der rein obligatorischen Natur der societas und ihrer Beschränkung auf Wirkungen inter socios sich finden.
Angebliche Ansätze zur Wandlung der römischrechtlichen Grundsätze.
Im allgemeinen muß dies entschieden in Abrede gestellt werden, für das Gebiet des Privatrechts unbedingt.
Man könnte in einzelnen Bestimmungen eine Ueberschreitung jener Grenzen finden wollen. So wenn dem socius das Recht gegeben wird – D 63 § 5 pro socio – bei Zahlungsunfähigkeit eines socius sich an diejenigen anderen socii zu halten, welche ihren Teil von demselben voll beigetrieben haben.
Diese anscheinende Ueberschreitung der rein quotenmäßigen Regelung des Verhältnisses ist indessen nur eine Konsequenz der Natur der actio pro socio, bei welcher – es handelt sich nur um das Verhältnis unter den socii – die bona fides gleichmäßige Teilung der Verluste fordert.
Rößler6 hat ferner D. 44 § 1 de aed. ed. herangezogen: Proponitur actio ex hoc Edicto in eum, cujus maxima pars in venditione fuit, quia plerumque venaliciarii ita societatem coëunt, ut quid-quid agant, in commune videantur agere; aequum enim Aedilibus visum est, vel in unum ex his, cujus major pars, aut nulla parte minor esset, aedilicias actiones competere, ne cogatur emptor cum singulis litigare. – In der Tat liegt in dieser, der Praxis des Marktgerichts entwachsenen Bestimmung eine von den Juristen durch die präsumtive Interessengemeinschaft der venaliciarii als billig motivierte, juristisch nicht weiter analysierbare Singularität vor, deren Grundlage im Sozietätsrecht nicht zu suchen ist. Die präsumtive Sozietät wird nicht als rechtliches Fundament der erweiterten Klage, sondern nur als legislatorisches Motiv der Aedilen dargestellt.
Schon eher könnte das Verhältnis der plures argentarii als eine wirkliche Modifikation der römischen Auffassung gelten. Die davon handelnden Quellenstellen7 ergeben in der Tat eine wohl aus Besonderheiten des Litteralkontrakts und der Buchführung (»nomina simul facta«) der Bankiers hervorgehende Rechtsbildung, jedoch nicht eigentlich ein Institut des Sozietätsrechts. Das Bestehen einer Sozietät wird nicht als der Rechtsgrund hervorgehoben.
Tatsächlich aus dem Rechtsgrund der Sozietät hervorgehende Solidarberechtigungen enthält dagegen anscheinend das Statut der latinischen Colonia Malaca8 in der, hinsichtlich der Bedeutung des Ausdrucks »socius« freilich nicht zweifelsfreien Bestimmung: Lex Malac. c. 65 (es handelt sich um den Verkauf der praedes praediaque):
... ut ei qui eos praedes cognitores ea praedia mer cati erunt praedes socii heredesque eorum i[i]que ad quos ea res pertinebit de is rebus agere easque res petere persequi recte possit.
Also: der socius des Käufers hat eine direkte Klage wie der heres. Zu berücksichtigen ist, daß wir uns auf dem Boden des Verwaltungsrechts befinden und ein durch die Hand des Magistrats geschlossener Kontrakt vorliegt. Wie weit hier die besondere Natur der öffentlichrechtlichen leges contractus9 einwirkt, und daher das Privatrecht zessiert, steht dahin10. Auf dem Boden des Privatrechts11 finden wir jedenfalls auch im spätrömischen und im Recht der Basiliken und ihrer Scholien12 noch keine Modifikationen der alten Grundsätze. Daß jene erwähnten Spezialrechtssätze oder daß lokale Rechtsbildungen des Vulgärrechts. Anknüpfungspunkte für die spätere, dem mittelalterlichen Großverkehr angehörige Entwicklung der von uns zu behandelnden Institute geboten haben sollten, dafür fehlt zum mindesten jeder Anhalt.
Gang der Untersuchung. Verhältnis der wirtschaftlichen und rechtlichen Gesichtspunkte.
Wie im römischen Recht, so bezeichnet nun auch im Mittelalter, namentlich in den italienischen Quellen, der Ausdruck »societas« nicht sowohl ein individuell gestaltetes Rechtsverhältnis, als vielmehr eine allgemeine Kategorie von Verhältnissen, deren gemeinsames Merkmal, bei höchst differenter rechtlicher Struktur, darin besteht, daß, sei es der Gewinn, sei es die Gefahr, oder die Kosten einer Unternehmung, oder mehrere dieser Eventualitäten, auf gemeinsame Rechnung mehrerer gehen sollen. Aus welchem der verschiedenen Vergesellschaftungsverhältnisse die Prinzipien der heutigen offenen Handelsgesellschaft stammen, ist im wesentlichen unsere Frage.
Wir können behufs Lösung derselben nicht einfach von der Form aus, in welcher bei der heutigen offenen Handelsgesellschaft Sachgüter und Arbeitsleistungen kombiniert sind, rückschließend, die wirtschaftlich ähnliche Funktionen versehenden Gebilde des mittelalterlichen Rechts abgrenzen und dann konstatieren, wann unter denselben ein der offenen Handelsgesellschaft ähnliches, historisch auf sie hinabführendes Institut erscheint und uns auf dessen Betrachtung beschränken. Denn wir haben es nicht mit der wirtschaftlichen Seite der Frage zu tun, sondern mit der Genesis von Rechtsgrundsätzen und sind a priori nicht berechtigt zu der Annahme, daß im vorliegenden Fall rechtliche und wirtschaftliche Differenzen von Anfang an annähernd koinzidierten. Es ist vielmehr möglich, daß die maßgebenden Rechtsgrundsätze ursprünglich auf wirtschaftlich weit abliegenden Gebieten entstanden sind und daß die tatsächlichen Verhältnisse, welche durch sie reguliert wurden, sich völlig verändert haben.
Wir müssen daher – übrigens auch der durch den Gegensatz zu gewinnenden Begrenzung wegen – unsere Betrachtung auf die Hauptgruppen der uns rechtshistorisch entgegentretenden. Gesellschaftsformen ausdehnen.
Für das Recht sind besonders geartete, vom wirtschaftlichen Standpunkt aus oft äußerliche Merkmale maßgebend. Gerade diese Eigentümlichkeit der Rechtsbildung ergibt aber, daß da, wo infolge wirtschaftlicher Differenzen äußerlich markante Unterschiede des Tatbestandes hervortreten, wir zu der Vermutung berechtigt sind, daß auch verschiedene und somit gesondert zu betrachtende Rechtsformen zur Entstehung gelangt sein werden. Hiernach bestimmt sich dasjenige Maß wirtschaftlicher Gesichtspunkte, welches in einer Betrachtung wie der folgenden Platz finden darf und soll, und ferner ergeben sich hiernach die Abschnitte der folgenden Erörterung, wie sich zeigen wird, aus der Natur des Gegenstandes von selbst.
II. Die seehandelsrechtlichen Sozietäten.
1. Die Kommenda und die Bedürfnisse des Seehandels.
Daß der Handel in größerem Maßstabe im Mittelalter zuerst in den mittelländischen Seestädten anzutreffen ist, ist ebenso begreiflich wie historisch sicher. Speziell in den am westlichen Mittelmeerbecken liegenden Seestädten ist er schwerlich je ganz erloschen. Hier hat denn auch ein wesentlich dem Um- und Absatz von Gütern durch Seehandel dienendes Geschäft, die Kommenda, seine Heimat, insbesondere wohl im Verkehr der westitalienischen mit der spanischen Küste13.
Dieser mittelländische Seeverkehr hat schon in alter Zeit im Obligationenrecht eigenartige Grundsätze entwickelt.
Schon das römische Recht hatte im foenus nauticum und der lex Rhodia besondere Rechtssätze aufgestellt unter Rücksichtnahme auf die besondere Art des Risikos, welches der Seehandel zu tragen hat. Gerade diese Institute sind durch die Zeit der Völkerwanderung hindurch nie ganz obsolet geworden, wir treffen sie bekanntlich in den frühesten mittelalterlichen Rechtsquellen wieder an14. Aber das Mittelalter, weniger als das antike Recht sich bindend an die Konsequenzen der juristischen Analyse, hat die Tragung der Gefahr auf diesem Gebiet überhaupt selbständigen Regeln zu unterstellen versucht. –
Wer im Seehandel Gläubiger oder Partizipant geworden ist, der – so etwa ist der Gedankengang – ist beides nicht für einen resp. an