Die großen Literaten der Welt. Katharina MaierЧитать онлайн книгу.
und weltlichen Liebesgedichten. Letzteres erregte nicht selten den Unmut der kirchlichen Obrigkeit. Der Bischof von Puebla rügte die Nonne mehrmals öffentlich wegen ihrer weltlichen Gelehrsamkeit und unangemessenen Verse, was Sor Juana mit scharfzüngigen offenen Briefen beantwortete. Diese – z. B. die berühmte Antwort an Schwester Philothea (La Requesta de la poetisa a la muy ilustre Sor Philotea de la Cruz, um 1690)1 – können als frühe feministische Manifeste gelesen werden, in denen Sor Juana das Recht der Frauen auf Bildung verteidigt, wie sie es etwa auch in dem folgenden zu Ehren der Heiligen Katharina von Alexandria verfassten Gedicht tut2:
Einer Frau ist es gelungen
all den Weisen von Ägypten
zu beweisen, dass Erkenntniskraft
nicht bedingt ist durchs Geschlecht.
Triumph! Triumph!
Ein Wunder, ja, ein Mirakel.
Aber nicht, dass sie obsiegte
war das Wunder, sondern dass
die Männer sich vor ihr beugten.
Triumph! Triumph!
Sie forscht, diskutiert und lehrt,
tätig im Dienste der Kirche,
weil er, der ihr den Verstand gab,
nicht will, dass sie nichts erkenne.
Triumph! Triumph!
Es ist wenig verwunderlich, dass Sor Juana, die in diesem Gedicht recht unverblümt die Gottgewolltheit ihrer eigenen Gelehrsamkeit propagiert, die innigste Beziehung in ihrem Leben zu einer anderen Frau hatte: der Vizekönigin María Luisa de Padera. Die beiden Frauen pflegten eine intellektuelle Zweisamkeit, und Sor Juanas schönste – und leidenschaftlichste – Liebesgedichte, in den Konventionen höfischer Liebesdichtung verfasst, sind der Vizekönigin gewidmet. Diese werden nur übertroffen von Sor Juanas großem philosophischen Gedicht Erster Traum (Primero sueño, 1685), das von ihrer Stellung als Universalgelehrte an der Schwelle der anbrechenden Moderne zeugt.
Bei ihrer Rückkehr nach Spanien brachte María Luisa de Padera die Poesie Sor Juanas mit in die Alte Welt und trug so wesentlich zur Verbreitung des Ruhms ihrer gelehrten Freundin bei. Gleichzeitig jedoch verlor die Dichterin durch die Ablösung von María Luisas Ehemann als Vizekönig von Mexiko dessen Protektorat – und war von da an den Kirchenoberen ausgeliefert. Im Jahr 1691 beugte sie sich schließlich dem Druck unter dem Schatten der Inquisition, unterschrieb ein Sündenbekenntnis, verkaufte ihre wissenschaftlichen Instrumente und ihre gesamte Bibliothek – und hörte auf zu schreiben. Sor Juana Inés de la Cruz überlebte dieses poetische Verstummen nur um zwei Jahre. Ihr Ruf und ihre Poesie jedoch lebt noch heute. Nicht nur Octavio Paz’ Biographie der großen Dichterin zeugt davon, sondern auch die Verfilmung derselben von der argentinischen Regisseurin María Luisa Bemberg (1922–1995) aus dem Jahr 1990, Yo, la peor de todas (Ich, die Unwürdigste von allen). Eine deutsche Sammlung von Sor Juanas Werken findet sich unter dem Titel Es höre mich dein Auge.
Wichtige Werke:
Primero sueño (Erster Traum, 1635)
La Requesta de la poetisa a la ilustre Sor Philotea (Die Antwort an Schwester Philothea, um 1690)
1 Der Bischof hatte seine rügenden Worte der fiktiven Sor Philothea in den Mund gelegt.
2 Die Heilige Katharina von Alexandria soll, so die Legende, 50 heidnische Philosophen allein durch die Kraft ihrer Argumentation zum Glauben an Christus bekehrt haben.
EDGAR ALLAN POE
(1809–1849)
Nimmermehr – Der Nachtseitenpoet
Der Name Edgar Allan Poe wird populärerweise am ehesten mit exquisiten Schauergeschichten und grotesk-unheimlichen Gedichten – wie sein berühmtestes lyrisches Werk Der Rabe (The Raven, 1845) – in Verbindung gebracht. Poe war jedoch viel mehr als der Master of Horror, nämlich Initiator verschiedener Neuentwicklungen der amerikanischen wie europäischen Literatur, sowohl auf dem Gebiet der Prosa als auch der Lyrik. Seine poetologischen Überlegungen beeinflussten die französischen Symbolisten nachhaltig, er war der Begründer der Gattung der Detektivgeschichte und eröffnete in seinen Erzählungen und Gedichten den Zugang zu den Nachtseiten der menschlichen Psyche wie kaum ein Dichter vor ihm. Auch heute noch ist Poe einer der meistgelesenen US-amerikanischen Schriftsteller überhaupt.
Nicht nur die Literatur Edgar Allan Poes ist von einer Aura des Mysteriösen umgeben, sondern auch sein Leben. Es ist schwer, in seinem Fall Fakt von Legende zu trennen, nicht nur, weil er sich ähnlich wie der englische Romantiker George Gordon Lord Byron (1788–1824) als eine Art Byronic hero1 zu inszenieren pflegte, sondern auch wegen der Verleumdungskampagnen, die Poes angeblicher Freund Rufus Griswold nach dessen Tod unter anderem durch Fälschung von Korrespondenzen führte. Selbst was von Poes Leben als relativ gesichert bekannt ist, hat den Touch des Melodramatischen. Er wurde in Boston als Sohn der Schauspielerin Elizabeth Arnold Poe und von David Poe Jr. geboren. Als der kleine Edgar gerade mal zwei Jahre zählte, starb seine Mutter und der Vater ließ die drei Kinder im Stich, die von verschiedenen Familien aufgenommen wurden. Edgar kam zu der Familie des wohlhabenden Tabakhändlers John Allan in Richmond (daher der mittlere Name des Schriftstellers). Von 1815 bis 1820 lebte die Familie in England, wo Edgar zur Schule ging, 1826 besuchte der junge Poe die University of Virginia, die er jedoch aufgrund seiner Spielschulden trotz seiner außergewöhnlichen Leistungen bald wieder verlassen musste. In der Zeit von 1827 bis 1831 versuchte sich der Universitätsabgänger recht erfolgreich an einer militärischen Karriere, gab diese jedoch wieder auf. Die `30er Jahre verbrachte Poe in relativer Armut in Baltimore, Richmond, New York und Philadelphia, wo er für verschiedene Zeitschriften tätig war. Der eifrige Literat hatte bis 1831 zwar schon drei Gedichtbände veröffentlicht2, mit Metzgengernstein 1832 seine erste Kurzgeschichte publiziert und im Laufe des Jahrzehnts seine größten Erzählungen verfasst, aber der Publikumserfolg blieb aus. Dafür machte sich Poe während seiner Zeit beim Southern Literary Messenger (Richmond, 1835–1837) einen nationalen Namen als genialer Rezensent und Literaturkritiker, den er bis heute behalten hat. Erst das Jahr 1845 brachte dem Dichter Poe, der inzwischen wieder in New York lebte, den literarischen Durchbruch, und zwar mit der Veröffentlichung seiner berühmten Schauerballade Der Rabe, die eine Sensation auslöste und ihm den Zugang zu den literarischen Kreisen New Yorks erschloss. Gerade Letzteres genoss Poe in vollsten Zügen. Poes Glück zerbrach jedoch abrupt, als seine geliebte Frau Virginia1 tödlich erkrankte. Poe blieb als gebrochener Mann zurück, der zwar weiterhin literarisch tätig war – etwa veröffentlichte er 1848 mit seinem philosophischen Prosagedicht Heureka (Eureka) eine Summe seines sowohl romantisch wie naturwissenschaftlich geprägten Weltbildes –, verfiel aber zusehends der Paranoia und Halluzinationen. 1849 verschwand er während einer Reise nach Philadelphia und wurde drei Tage später verletzt und halluzinierend gefunden. Kurz darauf verstarb der Poet im Alter von 40 Jahren.
Edgar Allan Poe nimmt eine Sonderstellung unter den Dichtern der sogenannten Amerikanischen Renaissance ein. Während es seinen poetischen Zeitgenossen ein Anliegen war, eine eigenständige amerikanische Nationalliteratur zu kreieren, verstand sich Poe als Kosmopolit und die gesamte Welt als die einzig angemessene Bühne für die Literatur. Er thematisierte nicht die Alltagsrealität der jungen Staatengemeinschaft, sondern schuf in seinen Gedichten und Geschichten eine zeitlose, surreale, universale und archetypische Atmosphäre. Er kann als einer der europäischsten der amerikanischen Literaten bezeichnet werden, und zwar sowohl von seinen Wurzeln her (seine Vorbilder waren die englischen und deutschen Romantiker) als