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und wissenschaftlichen Literatur Indiens von den Veden bis zur Etablierung des Islams. Scherz 1988. S. 157.
3 Ein Beispiel ist die Dominanz der nominalen über die verbale Ausdrucksform, was im Sanskrit schließlich zu immer unüberschaubarer werdenden Kompositionen und regelrechten Wortungetümen führte.
1 Der Meghadūta besteht hauptsächlich aus dem Monolog eines verbannten Yaksa (eines halbgöttlichen Wesens), der sich in Sehnsucht nach seiner Frau verzehrt und einer Regenwolke – vergessend, dass diese kein lebendiges Wesen ist – eine Botschaft an die Geliebte mitgibt.
2 Das Drama gilt in der kāvya als höchste Gattung, da es Epik und Lyrik in sich vereint (es enthält sowohl Passagen in Prosa als auch in Lyrik), verschiedene Sprachen gebraucht (je nach Stand und Geschlecht der auftretenden Personen) und ein komplexes Gesamtkunstwerk aus Wort, Geste und Klang bilden muss.
DU FU
(712–770)
Vollkommene Symphonie – Der Dichterheilige
Du Fu, der Dichterheilige (Shisheng), ist zusammen mit seinem Zeitgenossen Li Bai oder Li Bo (701–762)1 der bedeutendste Poet der chinesischen Literatur. Er brachte die klassische Dichtung der Tang-Dynastie zu ihrem Höhepunkt und überschritt sie zugleich mit seinen kühnen sprachlichen und thematischen Innovationen, die ihrer Zeit oft Jahrhunderte voraus waren. Er brachte den Alltag in die chinesische Poesie und besticht doch durch seine ungeheure Gelehrsamkeit. Teilnahmsvoll dokumentiert Du Fu das Leiden seines vom Krieg gebeutelten Landes und der eigenen Familie, während er gleichzeitig in den meisten seiner Gedichte den melancholischen Gestus eines ewig Heimatlosen beibehält.
Die Zeit der Tang-Dynastie (618–907) sah die Blüte der klassischen chinesischen Kunst in all ihren Formen, und ihr Höhepunkt fiel in die Lebenszeit von Du Fu und seinem elf Jahre älteren Zeitgenossen Li Bai. Beide großen Dichter müssen fast in einem Atemzug genannt werden, erscheinen sie doch oft wie die zwei Seiten einer Münze: Während Li Bai für seine anarchische Weinseligkeit und seine überbordende Lebensfreude bekannt ist, verkörpert Du Fu den melancholischen Mahner und formstrengen Gelehrten. Diese beliebte (und vereinfachende) Kontrastierung2 darf aber nicht über die tiefe Verbundenheit dieser beiden bedeutendsten chinesischen Dichter hinwegtäuschen, die sich auf persönlicher Ebene durch eine, trotz nur einmaliger Begegnung3 ausgesprochen tiefe, Freundschaft niederschlug und auf künstlerischer Ebene durch eine allen Unterschieden zum Trotz sehr ähnliche poetologische Grundeinstellung. Diese äußerte sich bei Du Fu, wie Reinhard Emmerich anmerkt, etwa durch »eine in die höchste Überheblichkeit gesteigerte Auffassung über seine frühe literarische Reife und sein poetisches Schaffen, die sich mit einer Geringschätzung älterer Poeten paart oder ihn sagen ließ, wenn man (wie er) zehntausend Buchrollen zerlesen habe, führe einen gleichsam ein Geist den Schreibpinsel«1. Mit einer solchen, offensichtlich nicht unberechtigten, genialischen Einstellung brachten Li Bai und Du Fu die ausgesprochen regelstrenge klassische Poetik der Tang-Dichtung an ihre Grenzen – und darüber hinaus.
Während die weingetränkte Lebenslust des Li Bai im Westen lange Zeit größeren Anklang fand als Du Fus herb-alltägliche Schwermut – unter anderem ersichtlich an der Vertonung von sechs Li-Bai-Gedichten durch Gustav Mahler (1860–1911) in dessen Lied von der Erde (ca. 1908–1909) –, wird Du Fu in China selbst als der bedeutendste Poet überhaupt angesehen. Sein Einfluss auf die spätere chinesische, und ab dem 17. Jahrhundert auch auf die japanische2, Literatur und Kultur war derart groß, dass Du Fu als der chinesische Shakespeare bezeichnet werden kann; seit der Song-Dynastie (960–1279) – die Zeit der Wiederbelebung der Werke des bis dahin ob seiner innovativen Radikalität fast vergessenen Du Fu – kann sich kein chinesischer Literat dem Einfluss des Dichterheiligen ganz entziehen. Mehr noch als Li Bai bereicherte Du Fu die chinesische Literatur um sprachliche, formale und thematische Neuerungen, die selbst heute noch oft unkonventionell erscheinen.
Trotz oder gerade wegen seines Innovationsgeistes war Du Fu ein Meister jeglicher Spielart und Gattung der klassischen chinesischen Poesie. Deren Schwerpunkt lag von jeher auf der Harmonie der Form, die der Dichterheilige durch seine poetische Virtuosität zur Vollendung brachte. Seine Lyrik wird in China deswegen als jidacheng, als ›vollkommene Symphonie‹ bezeichnet, ein Begriff, mit dem auch das Werk des Konfuzius beschrieben wird. Sein Beiname Shisheng bringt Du Fu ebenfalls mit dem ›Philosophenheiligen‹ Konfuzius in Verbindung, dessen Lehre eine wichtige Rolle für die Weltsicht des großen Lyrikers spielte. Du Fus (dichterische) ›Heiligkeit‹ meint jedoch nicht eine weltabgewandte Jenseitigkeit, wie sie viele seiner vom Wunderglauben und dem Wunsch nach der Unsterblichkeit erfüllten Zeitgenossen charakterisiert, sondern vielmehr eine Hinwendung zum Hier und Jetzt, zu den kleinen und unscheinbaren Dingen und zum Alltag des Lebens und Leidens. So schreibt Du Fu in dem Gedicht Am reinen Strom:
Großmutter malt ein Schachbrett auf Papier,
Ein Kind klopft eine Nadel sich zur Angel.
Für Krankheit gibt’s Tinktur und Elixier.
Woran ist für den armen Leib noch Mangel? 1
Somit nennt Wolfgang Kubin Du Fu zu Recht den ersten »weltlichen« Dichter Chinas2, der über das tägliche Leben schreibt, über die eigene Familie3 und, oft klagend, über seine eigene Befindlichkeit, welche er jedoch meist in einen größeren Kontext stellt: eingebunden in die sich immer gleichbleibende Natur, verortet im zeitgeschichtlichen Geschehen oder über die Evokation historischer Gestalten in einen übergeordneten Zusammenhang gebracht. Dabei porträtiert sich Du Fu selbst sowohl als den körperlich wie seelisch Leidenden, der sozusagen das Elend seines von Bürgerkrieg, Hunger und Krankheit zerrissenen Volkes in sich aufnimmt, als auch als den rastlos Wandernden in der Fremde, der nie heimkommt:
Fremde
Nie war der Fluss so grün, das Weiß der Vögel weißer,
So blau der Berg, das Rot der Blüten heißer.
Und doch vergehts, das Jahr, gleich allen, wies auch brennt,
Und niemand ist, der mir den Tag der Heimkehr nennt.4
So ist dem ausgesprochen biographischen Werk des Du Fu1 aller vollendeten Symphonie in der poetischen Form zum Trotz eine gewisse melancholische Spannung zu eigen, die die vollständige Vereinigung von Mensch und Natur zu einen harmonischen Ganzen unmöglich macht. Dieser ›Riss in der Welt‹, der sich durch Du Fus Poesie zieht, spiegelt sich in seinem Leben sowie in dem historischen Hintergrund seiner Epoche. Es ist die Zeit des An-Lushan-Aufstandes2, der von 755 bis 764 andauerte und zusammen mit verheerenden Hungersnöten, Naturkatastrophen und außenpolitischen Gebietsverlusten die Bevölkerung Chinas von über 50 Millionen auf weniger als 20 Millionen reduzierte. In seiner Position als niederer Beamter am kaiserlichen Hof in Chang’an (dem heutigen Xi’an), die er von 755 bis 759 innehatte und die der Sohn einer verarmten adligen Familie sein ganzes unstetes Leben lang zu erreichen bestrebt gewesen war3, versuchte Du Fu, sich mit Rat und Tat am Widerstand gegen die Rebellion zu beteiligen. Aus Enttäuschung über die Zurückweisung seiner Bemühungen und die allgegenwärtige Korruption machte sich Du Fu im Jahr 759 auf in die Stadt Chengdu, wohin er seine Familie zu deren Sicherheit geschickt hatte. Während seiner Reise durch das Land wurde er Zeuge und Opfer des Elends, das im Reich herrschte und sich zum Hauptthema seiner Gedichte entwickelte. Du Fu wurde so zum ›Dichter-Historiographen‹ seiner Zeit, der den historischen Ereignissen sowie der Vergangenheit poetische Gestalt gab. Seine Verse über den Krieg – etwa Die müde Nacht, Die Wäscheklopferin, In einer Mondnacht an die Brüder denkend und Reise in den Norden – wurden zu den berühmtesten Werken des Dichterheiligen. Die nächsten Jahre verbrachte Du Fu in Chengdun, zwei davon in seiner berühmten Grashütte, in der er eine Art Eremitenexistenz führte. Deren Nachbildung neben einem Ehrentempel, der zur Zeit der Song-Dynastie in Erinnerung an den