Die großen Literaten der Welt. Katharina MaierЧитать онлайн книгу.
Dichter und Sprachgelehrter. Er verfasste philologische Werke, unter anderem ein grammatikalisches Lehrgedicht und die Abhandlung Die Perle des Tauchers über die Sprachfehler der Gebildeten (Durrat al-gawwās fī auhām al-hawāss), in der er seinen schneidenden Witz und seine messerscharfe Sprachpräzision einsetzte, um die ›Sprachdummheiten‹ bloßzulegen, mit denen die angeblich Gebildeten in Wort und Schrift – seiner Meinung nach – die klassische arabische Literatursprache verunreinigten1. Während der Sprachgelehrte al-Harīrī die Annäherung der arabischen Umgangs- und Hochsprachen nicht aufhalten konnte, machte der Dichter al-Harīrī seine ›reine Diktion‹ mit seinen Makāmen unvergänglich.
Über das Leben al-Harīrīs ist wenig überliefert. Es scheint jedenfalls nicht sonderlich ereignisreich gewesen zu sein. Der große Sprachmeister wurde geboren und starb auf der Dattelpalmenplantage seiner Familie nahe der Hafenstadt Basra, wo er vermutlich studierte. Später wurde er Vorsteher des Post- und Nachrichtendienstes von Basra, eine Aufgabe, die ihn des Öfteren nach Bagdad geführt haben dürfte. Ansonsten führte der Sohn einer reichen Familie das Leben eines freien Gelehrten. Seine Makāmen, die aus 50 Einzelgeschichten bestehen und zwischen 1101 und 1107 als geschlossenes Gesamtwerk entstanden, verfasste der Dichter wohl im Auftrag eines Wesirs (Minister); die Überlieferung erzählt allerdings, al-Harīrī sei eines Tages in einer basrischen Moschee einem zerlumpten, aber ungeheuer sprachgewandten und gebildeten alten Mann namens Abū Zaid aus der Stadt Sarūğ in Nordsyrien begegnet – den der Dichter dann zu dem pikaresken Helden seiner Makāmen machte.
Makāmen bzw. Maqāmāt sind ein spezifisch arabisches Genre, das auf die mittelalterliche Straßenunterhaltung zurückgeht (der Begriff maqāmāt wird üblicherweise mit ›Bettleransprachen‹ oder ›Straßenpredigten‹ übersetzt). Es handelt sich um Geschichten in Reimprosa und/oder lyrischem Vers, vorgetragen von einem Erzähler, der jede Makāme traditionellerweise mit der Formel »Mir berichtete …« einleitet und die Schelmereien und Gaunereien einer eulenspiegelhaften Figur wiedergibt. Der schelmische Held der Maqāmāt – zumeist Bettler, Gelehrter und Galgenvogel in einer Person1 – schwindelt sich üblicherweise durch alle Fährnisse hindurch. Nichtsdestotrotz konstituieren die Geschichten in der Regel realistische Erzählungen, die den Alltag des Volkes und vor allem auch dessen Schattenseiten thematisieren. Begründet wurde das literarische Genre der Maqāmāt von dem ›Wunder der Zeit‹ Badī as Samān al-Hamadhāni (968–1008), der neben al-Harīrī der berühmteste und bedeutendste Vertreter dieses Genres ist; üblicherweise wird al-Hamadhāni die größere Originalität und Kreativität im Umgang mit den der mündlichen Überlieferung entnommenen Stoffe zugesagt, dem ›Seidenhändler‹ dagegen die überlegene Sprachvirtuosität. Al-Harīrī kann seine Inspiration durch den großen Vorgänger nicht verleugnen (gelegentlich übernimmt er den Inhalt gewisser Episoden kurzerhand von al-Hamadhāni), doch vergleicht er selbstbewusst den ersten Maqāmāt-Dichter mit einem Tröpfeln, sich selbst dagegen mit einem Regenguss2. – Diese wenig bescheidene Analogie ist durchaus berechtigt; al-Haīrīs Makāmen sind – um den Metaphernbereich zu wechseln – ein Feuerwerk von Sprachwitz und Bildgewalt, von lyrischen Kunststücken und geistreichen Gedankenspielen. Die in eleganter, komplexer Reimprosa verfassten Erzählungen sind durchsetzt mit Gedichten, ausgeklügelten Rätseln, religiösen und sprachphilosophischen Reflexionen, einer Vielzahl von Anspielungen auf die arabische Literatur, Kultur und Geschichte und nicht zuletzt mit Formspielen und -witzen, wie sie nur in der arabischen Schrift möglich sind1. Berühmt ist etwa die sogenannte ›krebsgängerische‹ Makāme2, in der al-Harīrī 100 gereimte arabische Sprichwörter so aneinanderreiht, dass sie rückwärts gelesen genau die gegenteilige Aussage ergeben wie vorwärts; oder das Streitgespräch zwischen einer Rechnung und einem literarischen Essay, das zynisch zugunsten der Rechnung entschieden wird. Außerdem handelt es sich bei den Makāmen al-Harīrīs um ein strukturell konsequent durchkomponiertes Gesamtkunstwerk. Die in sich geschlossenen Episoden (also die einzelnen Makāmen) werden zusammengehalten durch die Figuren des schelmenhaften Helden Abū Zaid, der sich mit Sprach- und Mutterwitz durchs Leben gaukelt und gaunert, und des Erzählers al-Hārit Ibn Hammām, der als moralisch-kritische Instanz fungiert und Abū Zaid am Ende jeder Makāme von der Unlauterkeit seines Lebensweges überzeugt. Diese Bekehrung ist natürlich, wie die Gesamtheit der Makāmen zeigt, nie von sonderlicher Tiefe und Dauer. Erst die letzte Geschichte präsentiert uns einen hochbetagten Abū Zaid, der als Asket in seine von den Arabern befreite Heimatstadt, aus der er von den Kreuzrittern vertrieben worden war, zurückkehrt und somit dem Erzählwerk einen abgerundeten Abschluss gibt.
Der Einfluss der Makāmen al-Harīrīs auf die arabische Literatur ist enorm. Bis heute werden seine Reimerzählungen mit ihrer stilisierten, blumigen und teilweise durchaus abenteuerlichen Sprache als Stilideal und rhetorisches Meisterwerk angesehen. Al-Harīrī beeinflusste mit seinem Werk außerdem die hebräische und persische Literatur, und auch in Europa sind die Makāmen wohlbekannt, dank zahlreicher Übersetzungsversuche (wobei der Bildreichtum des Arabischen im Allgemeinen und al-Harīrīs Sprachwitz im Besonderen eine ganz eigene Herausforderung darstellt). Besonders hervorzuheben ist dabei die kongeniale Übertragung der Makāmen ins Deutsche durch den Orientalisten Friedrich Rückert (1826/37), dem es gelang, die Sprachspiele des ›Seidenhändlers‹ adäquat zu übertragen. Doch schon lange vor den Übersetzungsversuchen des 18. und 19. Jahrhunderts machten die Makāmen ihren Einfluss in Europa geltend: Bereits im Jahr 1108 kamen die Schelmengeschichten nach Andalusien (vermutlich von einem maurischen Dichter aus Bagdad mitgebracht, der sie von al-Harīrī selbst erzählt hörte), von wo aus sie sich in ganz Spanien verbreiteten – und so die Entwicklung des pikaresken bzw. Schelmenromans im 16. Jahrhundert entscheidend anregten, jener Gattung, die von so immenser Bedeutung für den neuzeitlichen Roman im Besonderen und die Weltliteratur im Allgemeinen werden sollte1.
Wichtige Werke:
al-Maqāmāt (Die Makāmen, 1101–1107)
Durrat al-gaww’as fī auhām al-hawāss (Die Perle des Tauchers)
1 Allerdings unterliefen al-Harīrī, so meisterhaft die Sprache der Makāmen auch ist, einige der von ihm in der Perle des Tauchers ausgemachten Fehler durchaus auch selbst.
1 Der gebildete Bettler bzw. der verarmte Gelehrte scheint zu der Entstehungszeit der Gatt ung der Maqāmāt eine alltägliche Erscheinung gewesen sein.
2 vergl.: Wiebke Walter. Kleine Geschichte der arabischen Literatur. Von der vorislamischen Zeit bis zur Gegenwart. München 2004; der Vergleich mit einem Regenguss ist im Arabischen – der Sprache der Wüste – nachvoll-ziehbarerweise rein positiv besetzt; man kann sogar soweit gehen, zu sagen, dass al-Harīrī mit dieser Analogie seiner Poesie lebensspendende Kraft zuschreibt.
1 Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass al-Harīrī seine Makāmen als Leseliteratur verfasst hatte und sie so ihrem mündlichen Ursprung entrückte.
2 Die Bezeichnung geht auf den großen Orientalisten und al-Harīrī-Übersetzer Friedrich Rückert (1788–1866) zurück.
1 Bekannte deutsche ›Schelmen‹ sind etwa der Simplicissimus (1668) von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen (1622–1676) und Oskar Matzerat aus der Blechtrommel (1959) von Günter Grass‹ (*1927).
LI QINGZHAO
(UM 1084–1150)
Klarer Gedanke – Die Lieddichterin
Li Qingzhao gilt als die größte Dichterin der traditionellen chinesischen Literatur. Ihre ausdrucksstarken ci (Lieder) ließen sie aus dem Meer von Dichtern der Nördlichen Song-Dynastie herausragen und berühren ihre Leser bis auf den heutigen Tag aufs Tiefste.
Die Epoche der Nördlichen Song-Dynastie (960–1279) war eine Zeit der Bildung und des Schöngeistes;