Gesammelte Werke von Sacher-Masoch. Леопольд фон Захер-МазохЧитать онлайн книгу.
dann gab sie dem Soldaten das Buch zurück, lächelte und ging weiter die Allee hinab.
Am andern Morgen, kurz vor der Ablösung, rief die Wache in das Gewehr. Iwan stand am Flügel, die Mannschaft präsentierte, die Fahne wurde zur Erde gesenkt, die Trommeln wirbelten, von vier Rappen gezogen flog eine schöne Frau im Hermelin vorbei. Iwan hatte sie sofort erkannt, es war die Dame von gestern.
»Wer war die Frau in dem Wagen?« fragte er leise seinen Nebenmann.
»Du kennst sie nicht?« erwiderte dieser, »wer kann es sein, als unser Mütterchen, die Zarin!«
Iwan wurde purpurrot.
»Warum bist Du wieder so rot im Gesicht?« rief Pauloff, indem er seinen Degen einsteckte, »das ist gegen das Reglement, es ist nicht erlaubt, daß ein Soldat im Gliede röter ist als die andern. Ich lasse Dich dafür auf vierundzwanzig Stunden krumm schließen.«
V.
Es schlug sechs Uhr abends. Die Stunde, zu der Frau von Mellin ihr großes Ziehkind, den schönen Grenadier, bei sich erwartete. Die junge reizende Frau schritt seit einer halben Stunde aufgeregt in ihrem Boudoir auf und ab, nur von Zeit zu Zeit vor dem großen Trumeauspiegel stehen bleibend, um von Neuem zu sehen, wie anmutig ihr der offene Schlafrock von weißem Mull mit den Rosabändern ließ. Noch ein halbe Stunde verstrich, Iwan kam nicht. Die Ungeduld der schönen Amazone, welche zu befehlen, alles ihrem Winke folgen zu sehen gewohnt war, wuchs von Minute zu Minute. Sie begann Klavier zu spielen. Es schlug sieben Uhr.
Der Oberst-Kommandant sprang zornig auf und schickte in die Kaserne. »Wo bleibt er?« rief sie dem zurückkehrenden Diener entgegen.
»Iwan Nahimoff ist im Arrest.«
»Im Arrest – wer hat gewagt –?«
»Der Herr Kapitän Pauloff hat ihn krummschließen lassen.«
»Krummschließen!« seufzte der weibliche Oberst. »Nun wohl – wir werden sehen!– –«
Als Iwan an dem nächsten Tage pünktlich zur festgesetzten Stunde erschien, fragte Frau von Mellin hastig: »Was hast Du begangen, weshalb hat Dich Dein Kapitän krummschließen lassen?«
»Weil ich rot geworden bin.«
»Weil Du – ah! es ist nicht zu glauben, der abscheuliche Tyrann!« rief die schöne Amazone.
»Und bei welcher Gelegenheit bist Du rot geworden?« forschte sie weiter.
»Als Ihre Majestät, die Zarin vorbeifuhr«, berichtete Iwan in aller Unschuld.
»So – dann hast Du es verdient«, stotterte Frau von Mellin; ihre Lippen zuckten unheimlich, ihre dunklen Augen loderten. »Was hast Du rot zu werden, wenn Du die Zarin siehst, gefällt sie Dir so sehr, bist wohl verliebt, was? Weißt Du nicht, daß das ein Verbrechen ist, wenn Du in Deine Kaiserin verliebt bist, ja, wenn Du überhaupt verliebt bist? – Du sollst nur an Deine Flinte denken und an Deine Bücher. O! es giebt indes noch Mittel, Dich zu kurieren, siehst Du hier!« Die eifersüchtige Frau hatte ihren Rohrstock ergriffen und hielt ihn ihrem erschreckten Günstling unter die Nase.
»Verstehst Du mich?«
»Ja, ich verstehe«, sagte Iwan, aber er hatte von der ganzen Sache nichts weiter verstanden, als daß Iwan der Schreckliche und sein Leibwächter, wie sie im Volksliede verkörpert sind, wahre Engel gegen seinen Kapitän und seinen Obersten waren.
»So«, sagte Frau von Mellin, »jetzt wollen wir in Ovid’s Kunst zu lieben weiter lesen.« Sie setzte sich auf das kleine Sofa und Iwan auf ein Tabouret zu ihren Füßen. Sie reichte ihm den französischen Ovid. Er schlug das Buch auf, wo das rotseidene Merkzeichen darin lag, und las – aber seine Stimme zitterte.
VI.
Das war ein böser Tag für das Regiment. Der schöne Oberst erschien in der bösesten Laune beim Morgenrapport, in jener Laune, in der die gefürchtete Soldatendespotin stets »gerecht«, aber mit unerbittlicher Strenge und ohne das geringste Erbarmen so lange Knute und Spießruten spielen ließ, bis die Falten von ihrer Stirne verschwunden waren. Auch heute mußte sie Strafen diktieren, Seufzer hören, Blut sehen, und das alles nur, weil sie Iwan gestern Abend trotz seiner Versicherungen nicht verstanden hatte.
Ihre düstere Toilette, ein Oberkleid von schwarzem Samt mit dunklem Zobelpelz besetzt, das über dem Unterkleide von gleichem Stoff und gleichen Farben eng in die Taille schloß und dann weit nach rückwärts auseinanderfloß, paßte vortrefflich zu ihrer neronischen Stimmung. Sie hätte am liebsten gleich die Kaserne angezündet und ihr ganzes Regiment verbrannt.
Vor ihr standen Offiziere und Unteroffiziere und erstatteten ihre Berichte.
»Der Soldat Peter Repkin wurde auf frischer That bei einem Einbruch in das Gewölbe des Kaufmanns Nowasilkoff ergriffen«, meldete ein Kapitän.
»Ist dies sein erster Fehltritt?« fragte Frau von Mellin.
»Allerdings, er hat sich bisher ganz gut aufgeführt –«
»Er soll also nur gepeitscht werden.«
»Wie viel Hiebe?«
»Fünfzig.«
»Dimitri Paschkan hat seinen Kameraden bestohlen –,« sagte ein anderer Kommandant.
»Paschkan? War der nicht schon abgestraft?« fragte der militärische Nero, die Brauen zusammenziehend.
»Allerdings, wiederholt abgestraft.«
»So, da muß man den Burschen diesmal schärfer fassen,« entschied Frau von Mellin böse lächelnd, »er soll mir vorerst durch eine Woche in den Bock gespannt werden und zwar in einem finstern Kerker bei Wasser und Brot, und dann soll er Spießruten laufen, zehn Mal durch zweihundert Mann.«
»Das wird der Mann kaum aushalten,« sagte der Kommandant, »er ist noch jung und schwächlich.«
»Nun, soll er meinetwegen in der Gasse sterben!« rief die schöne Frau, »an so einem Menschen verliert die Gesellschaft nichts.«
»Der Sergeant Isidor Tscholowik hat sich bei einem Raufhandel in der Schenke seinem Lieutenant widersetzt und die Hand gegen ihn erhoben.«
»Solche Fälle müssen besonders streng gestraft werden,« sagte Frau von Mellin, »sonst lösen sich alle Bande der Disziplin. Der Mann ist zu degradieren und zwanzig Mal durch zweihundert Mann zu jagen. Hält er es aus, so ist er nach Sibirien abzuführen.«
Nach einem köstlichen Diner sich halb träge, halb mißmutig auf dem Balkon ihres kleinen Palastes die Zähne stochernd, sah Frau von Mellin den Exekutionen zu, welche auf ihren Befehl auf dem großen Platze vor der Kaserne vollzogen wurden. Sie sah kaltblütig die von ihr Verurteilten an den Pfahl binden, unter der Peitsche des Profoßen bluten oder in der Gasse vor den Bajonetten, welche dieselbe sperrten, zusammenbrechen, und warum nicht? – Sie that kein Unrecht, sie quälte niemand, sie fand nur Vergnügen an der Gerechtigkeit, welche sie nach Recht und Gewissen übte.
Plötzlich trieb es sie, in die Kaserne zu gehen. Sie konnte sich keine Rechenschaft von dem geben, was sie dahin zog, aber sie mußte hin. Sie setzte eine kleine runde Mütze von Zobelpelz auf ihr weiß gepudertes Haar und schritt, ihr spanisches Rohr in der Hand, rasch über den Platz hinüber. Welch’ ein Schauspiel bot sich ihr im Kasernenhofe! Vor der Front seiner Kompagnie stand Pauloff auf den Degen gestützt, während zwei Korporale ihren Günstling Iwan, welcher die Hände gebunden hatte und in höchster Verzweiflung Verwünschungen ausstieß und weinte, auf die bereit stehende Prügelbank zu schnallen suchten. Schon schien der Widerstand des schönen Grenadiers fruchtlos und die Kameraden freuten sich, ihn, der längst ihren