Berühmte Briefe. Marcus Tullius CiceroЧитать онлайн книгу.
der res publica, die er ja in mehreren staatsphilosophischen Werken behandelt, gegen Popularen wie z. B. C. Iulius Caesar zu verteidigen. Sein Ziel war die concordia (Eintracht) aller guten Kräfte in Rom, namentlich der Optimaten und der Ritter. Die Rolle, die er dabei als Verteidiger der alten Verfassung und als Vermittler zwischen den Fronten spielen konnte, überschätzte er jedoch erheblich, weshalb er durch sein Taktieren, bisweilen auch seine Unentschlossenheit am Ende zwischen alle Fronten geriet.
Ciceros Briefe
Briefe in der Antike
Briefe in der Antike wurden auf Wachstäfelchen oder Papyrus geschrieben. Beide Arten von Briefen konnten mit einem Bändchen und Wachs versiegelt werden.
Auch wenn sie, wie etwa die hier versammelten Cicero-Briefe, private Gebrauchsbriefe waren, wurden sie in der Regel in schöner Sprache und stilisierter Form verfasst. Selbst Ciceros Exilbriefe sowie diejenigen an Terentia, die in Situationen tiefer Verzweiflung, Sorge und Enttäuschung abgefasst wurden, weisen zum Teil eine ausgefeilte und mit Stilmitteln geschmückte Sprache auf, da ihr Verfasser selbst bei den schnell hingeworfenen Texten den rhetorisch gebildeten Schriftsteller in sich nicht gänzlich verleugnen konnte. Umso bemerkenswerter ist es, wenn solche Elemente fehlen. Die formelhaften Bestandteile des antiken römischen Briefes sind das Präskript (Absender, Empfänger, Anfangsgruß, und zwar in dieser Reihenfolge), dann die guten Wünsche vor dem Hauptteil und gute Wünsche danach sowie die Schlussgrüße, bisweilen das Datum. Formelhafte Wendungen wie etwa das S. v. v. b. e. e. e. v. (Si vales valde, bene est, ego etiam valeo – Wenn es Dir gut geht, ist es recht, mir geht es auch gut.) oder kürzere Fassungen davon werden allerdings in sprachlich anspruchsvollen Briefen eher selten gebraucht, so dass dem modernen Leser deren Anfang und Schluss bisweilen abrupt vorkommen. Viele erhaltene Briefe dienen, wie es auch die Brieftheorie der Antike fordert, nicht nur praktischen Zwecken sondern vielmehr der Freundschaftsbekundung. Bei Cicero scheint, vor allem gegenüber Atticus, auch das Bedürfnis hinzuzukommen, sich jemandem mitzuteilen. Es kam allerdings auch vor, dass er sich aufgrund seiner Gemütsverfassung außer Stande fühlte, notwendige Briefe zu schreiben, und dann sogar Atticus damit beauftragte (Ad Atticum XI,2,4; 3,3; 7,7).
Briefe wurden entweder einem Sklaven diktiert oder, wenn sie persönlicher Natur waren, mit eigener Hand geschrieben. Daran hielt sich auch Cicero und diktierte nur, wenn er krank oder auf Reisen oder sehr beschäftigt war, wie er selbst in mehreren Briefen bezeugt. Diktiert wurden außerdem vor allem Briefe an Fremde, nicht zuletzt deswegen, damit gleich zwei Sklaven mitschreiben konnten und so eine Kopie des Briefes vorhanden war; bisweilen mussten sogar zwei Exemplare abgeschickt werden, damit die Wahrscheinlichkeit erhöht wurde, dass wenigstens eines davon den Empfänger erreichte. Auch das berichtet Cicero in mehreren Briefen.
Während die hier vorliegende Auswahl reine Gebrauchsbriefe versammelt, wurden von Cicero wie von anderen antiken Schriftstellern auch rein literarische Briefe verfasst. Um solche handelt es sich z. B. bei den ersten neun Büchern der Briefsammlung des jüngeren Plinius aus dem 1. Jh. n. Chr. Die Arten bewusst verbreiteter Briefe sind vielfältig: Neben Empfehlungsbriefen (wie sie das XIII. Buch von Ciceros Ad familiares enthält), offenen Briefen, die in Rom im 1. Jh. v. Chr. in den Bürgerkriegen häufig waren (z. B die von Sallust an Caesar, die allerdings hinsichtlich ihrer Echtheit umstritten sind), gab es Widmungsbriefe (z. B. Martial zu seinen Epigrammen), Lehrbriefe (z. B. Cato an seinen Sohn, Cornelia an ihre Söhne Tiberius und Gaius Gracchus, der Philosoph L. Annaeus Seneca an seinen jungen Freund und Schüler Lucilius), poetische und literarische Briefe (z. B. die Heroiden-Briefe Ovids oder die Briefsammlung des jüngeren Plinius, die der Selbstdarstellung dient und hohen Unterhaltungswert besitzt) und fiktive Briefe, in denen historische Gegebenheiten, etwa in Geschichtswerken, literarisch kunstvoll gestaltet wurden. Andere fiktive Briefe wurden im Namen bedeutender Persönlichkeiten geschrieben und sollten die jeweils eigene Position unterstützen (etwa der Briefwechsel zwischen dem Apostel Paulus und dem Philosophen Seneca). Deren literarische Fiktion war den zeitgenössischen Lesern wohl durchaus bewusst und wird nur von denen als Betrug aufgefasst, denen Erzähl- und Argumentationsformen der Antike nicht geläufig sind.
Das deutsche Wort »Brief« kommt vom lateinischen brevis (kurz). Nach antiker Brieftheorie sollte sich ein solches Schriftstück nämlich auf ein Thema beschränken und dabei zwar anmutig, aber nicht mit Stilmitteln überladen sein. Auch die Definition des Briefes als »Gespräch mit Abwesenden« legt eher einen schlichten Stil nahe. Diese Forderungen von Literaturtheoretikern wurden freilich zum Teil bei Gebrauchsbriefen, zum Teil bei der Ausgestaltung zur literarischen Gattung aufgegeben.
Ein Postwesen im modernen Sinne gab es in der Antike nicht. Einige Herrscher der Antike, etwa die Perserkönige, auch die Ptolemäer in Ägypten und später die römischen Kaiser, unterhielten ein Botensystem, das militärischen Zwecken sowie der Verwaltung ihres Reiches diente. Die Organisation der Beförderung von Briefen von Privatpersonen oblag dem Absender. Sie wurden von Reisenden, wie z. B. Kaufleuten, oder speziell ausgesandten Boten überbracht. Wer es sich leisten konnte, schickte als Boten die eigenen Sklaven, die dann tabellarii genannt wurden, los. Bisweilen scheint gar die Tatsache, gerade jemanden zur Hand zu haben, der als Bote dienen konnte, der Anlass gewesen zu sein, einen Brief zu schreiben. Es gab jedoch auch berufsmäßige Kuriere. Die Boten bewegten sich in der Regel zu Fuß und schafften dabei 20 bis 30 km am Tag, berufsmäßige Boten, wenn sie besonders schnell waren, auch einmal 50 km. Für die Strecke von Rom nach Brundisium geht Ovid (Briefe aus Pontus IV,5,7) von einer Reisedauer von neun Tagen aus, was einen Tagesmarsch von 59 km voraussetzte. Damit wird deutlich, wie unterschiedlich lange Briefe im Einzelfall unterwegs sein konnten.
Veröffentlichungen von Gebrauchsbriefen geschahen meist in Sammlungen, wie sie in Griechenland spätestens von Platon und Aristoteles existierten. Die ältesten Beispiele aus Rom sind die Briefe Cornelias an ihren jüngern Sohn Gaius Gracchus, von denen einer später oft mit den Schriften Cornelius Nepos’ überliefert wurde. Ihre Echtheit im modernen Sinn ist allerdings umstritten.
Ciceros Briefsammlung
Cicero selbst erwog im Jahre 44, seine eigenen Briefe zusammenzustellen und herauszugeben (Ad Att. XVI,5,5). Dabei beabsichtigte er jedoch verständlicherweise, sie vor der Veröffentlichung noch einmal durchzusehen und zu korrigieren. In diesem Fall wären die in der vorliegenden Auswahl zusammengestellten Briefe vermutlich nicht so überliefert worden, wie sie uns heute bekannt sind. Die Tatsache, dass Ciceros Briefe von anderen gesammelt und herausgegeben wurden, hat daher viel zu jener Unverfälschtheit und Unmittelbarkeit beigetragen, die diese Sammlung für die Antike so einmalig machen.
Die erhaltenen Briefsammlungen Ciceros umfassen 870 Briefe von und an M. Tullius Cicero. Von ihm selbst, der ein unermüdlicher Briefschreiber war, sind etwa 780 Briefe erhalten, von denen die Hälfte an seinen Freund T. Pomponius Atticus gerichtet sind. Letztere liegen dem heutigen Leser in einer Sammlung Ad Atticum vor, die in 16 Bücher antiker Zählung aufgeteilt ist, und sie stammen aus dem Zeitraum von 68 bis 44 v. Chr. In ihnen äußert sich Cicero sehr freimütig zu allen Themen, die ihn gerade beschäftigen. Sie zeigen auch besonders deutlich Ciceros ständigen Kampf um Anerkennung bei der römischen Nobilität, weshalb davon auszugehen ist, dass Cicero zumindest bei vielen dieser Briefe eine Veröffentlichung nicht vorsah. Atticus jedoch sammelte sie alle. Sie stellen nicht nur ein sehr persönliches Zeugnis vom Menschen Cicero, sondern auch eine unschätzbare historische und literarische Quelle dar.
Ebenfalls erhalten sind 28 Briefe an Ciceros Bruder Quintus in der Sammlung Ad Quintum fratrem. Diese Briefe stammen aus den Jahren 60 bis 54 v. Chr. und liegen chronologisch geordnet in drei Büchern vor. Im letzten der Briefe, deren Reihe plötzlich abbricht, äußert Cicero die Sorge, sie könnten eine dritte Person beleidigen. Er rechnete möglicherweise damit dass sie von anderen Personen als Quintus geöffnet wurden.
Zwei Bücher Briefe sind in der Schrift Ad Marcum Brutum zusammengefasst und wurden von Cicero im Jahr 43 an den Caesarmörder gerichtet; die Sammlung enthält allerdings auch einige Briefe Brutus’