Gesammelte Erzählungen von Anatole France. Anatole FranceЧитать онлайн книгу.
sie ihn, ›mein Mann wird Ihnen gern eine Krawatte leihen, verehrter Herr Rektor.‹
Und ich dachte bei mir, ich habe sie zum Spaß versteckt, und nun hat er sie allen Ernstes verloren. Und darüber war ich sehr erstaunt.«
Die großen Manöver von Montil
Das Gefecht war im vollsten Gange, alles ging vorzüglich. General Ducuir von der Südarmee, dessen Brigade eine starke Stellung im Gehölz von St. Colomban inne hatte, ließ um 10 Uhr morgens eine glänzende Rekognoszierung vornehmen, welche ergab, daß der Feind nirgends in Sicht sei.
Hierauf bekamen die Kavalleristen ihre Suppe, der General ließ seine Schwadron in St. Luchaire und stieg mit dem Hauptmann Varnot in das Automobil, das von Schloß Montil gekommen war, wo die Baronin Bonmot sie zum Frühstück erwartete. Das Dorf Montil war feierlich bekränzt. Der General fuhr durch den Triumphbogen, der ihm zu Ehren am Eingang des Parkes errichtet war, mit Fahnen, Waffentrophäen, Eichenlaub und Lorbeerzweigen.
Die Frau Baronin empfing den General auf der Terrasse des Schlosses und führte ihn in den riesigen Waffensaal, der von blitzendem Eisen wiederstrahlte.
»Welch ein wunderbarer Besitz, Frau Baronin, und welch herrliche Landschaft!« sagte der General. »Ich habe hier oft in der Gegend gejagt, und wenn ich nicht irre, habe ich Ihren Herrn Sohn bei gemeinsamen Bekannten getroffen, nämlich bei den Brekes.«
»Ja, ja, ganz recht, Herr General,« stimmte Ernst von Bonmot bei, der die Herren aus St. Luchaire abgeholt hatte, »es war bei Brekes, aber es ist zum Sterben langweilig bei denen.«
Das Frühstück fand im kleinsten Kreise statt. Außer dem General, dem Hauptmann, der Baronin und ihrem Sohn waren nur noch Frau Worms-Clavelin und Joseph Lacrisse zugegen.
» A la Guerre, comme à la guerre,« sagte die Baronin lächelnd und wies dem General den Platz zu ihrer Linken an der blumengeschmückten Tafel, auf welcher ein berittener Napoleon aus Sevres-Bisquit prangte.
Der General ließ seine Blicke über die lange Galerie schweifen, von der die kostbarsten alten Teppiche herabhingen.
»Wie groß ist der Saal!« sagte er bewundernd.
»Ja, Herr General hätten die ganze Brigade hier hereinführen können,« meinte der Hauptmann lachend.
»Sie wäre mir willkommen gewesen,« sagte die Baronin heiter.
Die Unterhaltung war einfach, ruhig und herzlich. Man war taktvoll genug, nicht von Politik zureden. Der General war Monarchist. Er äußerte sich nicht darüber, aber es war bekannt. Seine beiden Söhne hatten beim Regierungsantritt des Präsidenten Loubet »Panama« gerufen auf den Boulevards und waren verhaftet worden. Er selbst bewahrte stets eine große Zurückhaltung.
Heute sprach man von Pferden und Kanonen.
»Das neue 75er Geschütz ist ein Juwel,« sagte der General.
»Und es ist wirklich bewunderungswürdig, mit welcher Leichtigkeit es sich einstellen läßt,« bemerkte Hauptmann Varnot.
»Und während abgeschossen wird, bieten die Munitionswagen durch eine ingeniöse Vorrichtung den Mannschaften Schutz,« sagte Frau Worms-Clavelin.
Man bewunderte die militärischen Kenntnisse der Dame, worauf dieselbe beflissen war, sich auch sonst ins beste Licht zu setzen.
»Wissen Sie wohl, Herr General,« sagte sie, »daß wir hier in unserm Kirchspiel eine wundertätige Mutter Gottes haben?«
»Ja, ich habe davon gehört,« antwortete der General.
»Bevor unser verehrter Abbé Guitrel zum Bischof ernannt wurde, interessierte er sich sehr für die Wunder der Madonna. Er hat sogar ein Buch darüber geschrieben, und wie Sie wohl wissen, ist sie die Beschützerin der französischen Armee.«
»Wirklich? das muß ich lesen, wo bekommt man das Buch?«
Frau Worms-Clavelin versprach, es ihm zu schicken.
Kurz und gut, es wurde bei Tisch nichts gesprochen, was einen Mißklang gegeben oder nach Klatsch ausgesehen hätte.
Nach dem Frühstück machte man einen Rundgang durch den Park, und darauf verabschiedete sich Hauptmann Varnot.
»Meine Schwadron soll in St. Luchaire auf mich warten, Herr Hauptmann« sagte der General.
Dann wandte er sich an Lacrisse und sagte:
»Sehen Sie, die Manöver geben uns ein Bild des Krieges, aber das Bild stimmt insofern nicht ganz, als alles im voraus festgelegt ist und daß im Kriege das Unvorhergesehene eine große Rolle spielt.«
»Herr General, Sie müssen meine Fasanerie sehen,« bat die Baronin.
»Mit Vergnügen, meine Gnädige.«
»Kommst du nicht mit, Ernst?«
Ernst war angehalten worden von dem guten alten Raulin, dem Ortsvorsteher von Montil.
»Sie werden entschuldigen, Herr Baron, wäre es nicht möglich, daß Sie bei dem Herrn General ein gutes Wort für mich einlegten? Vielleicht ließe es sich einrichten, daß die Artillerie über meinen Kleeacker fährt.«
»Steht denn der Klee schlecht, Raulin?« »Ach, das nicht gerade, Herr Baron. Die Ernte wird ganz gut ausfallen, aber die Entschädigung ließe sich doch mitnehmen. Im vorigen Jahr hat Houssiaux sie bekommen, da ist es doch nicht mehr als recht und billig, daß ich sie diesmal kriege. Ich bin Amtsvorsteher, habe alle Lasten und Scherereien mit der Gemeinde, da meine ich, wenn eine Vergütung geboten wird, käme sie mir doch wohl zu.«
Als der General die Fasanerie besichtigt hatte, meinte er:
»Nun muß ich zu meiner Brigade.«
»Ach,« sagte der junge Baron, mit meinem »dreißigpferdigem« ist es ein Katzensprung bis dahin.
Nun besichtigte man die Pferdeställe, die Hundezwinger und die Gärten.
»Wundervoll sind diese Rosen,« sagte der General, der ein großer Blumenfreund war.
Der Lärm der Geschütze erstarb in der duftenden Atmosphäre vor ihren Ohren.
»Ein festlicher Schall, der das Herz freudig bewegt,« sagte Lacrisse.
»Ja, es ist wie Glockenläuten, schwärmte Frau Worms-Clavelin.
»Sie sind eine echte Französin, gnädige Frau,« sagte der General, »aus allen Ihren Worten spricht ein wahrhaft patriotisches Herz.«
Es war inzwischen 4 Uhr geworden, der General konnte unmöglich länger weilen. Ein Glück, daß man mit dem »dreißigpferdigem« im Umsehen bei der Brigade sein konnte.
Der General verabschiedete sich und bestieg das Auto, begleitet von dem jungen Baron, von Lacrisse und dem Chauffeur, und wieder ging es durch den Triumphbogen.
In 40 Minuten war der General in St. Luchaire, aber die Schwadron fand er nicht mehr dort. Alle vier machten sich auf die Suche nach dem Hauptmann Varnot. Vergeblich – das Dorf war leer, kein einziger Soldat mehr zu sehen. Als sie einen vorüberfahrenden Schlachter nach der Brigade Ducuir fragten, sagte der:
»Fahren Sie man die Chaussee nach Cagny hinunter, vorhin hörte man die Kanonen aus der Richtung, ich kann Ihnen sagen, das war ein Geknatter!«
»Cagny, wo liegt das?« fragte der General.
»Beunruhigen Sie sich nicht, Herr General,« sagte der junge Baron, »ich weiß, wo es ist, ich werde Sie hinführen.«
Und da die Fahrt etwas lange dauern konnte, reichte er dem General eine Automütze, Brille und Staubmantel.
Nun schlugen sie die Landstraße ein, passierten St. André, Villeneuve, Letaf, St. Porçain, Trupféme, Mirange und kamen schließlich an