Vom beinahe vollkommenen Menschen. LukianЧитать онлайн книгу.
zum bloßen Erwerbsmittel herabwürdigten und so ihren Verfall und ihre Verachtung herbeiführten. Es wimmelte ferner in jener Zeit von dem windigen Geschlechte der Sophisten oder Schönredner, welche mittels dialektisch-rhetorischer Kunstgriffe in schimmernden Deklamationen mit der Wahrheit ihr leichtfertiges Spiel trieben. Dazu kam, dass der religiöse Volksglaube gerade damals, als sich die alten Institute zum Untergange neigten, je ferner er jener Periode künstlerisch schaffender Phantasie stand, welche ihm das Dasein gegeben, und je mehr durch die Vereinigung der verschiedensten Nationen in einen Staatskörper, ein Gemenge der mannigfaltigsten Vorstellungen, Sagen und Gebräuche entstanden war, desto mehr seine Inkonsequenz und innere Unhaltbarkeit an den Tag legte. Zwar hing die Masse des Volks noch an den alten Sagen und äußeren götterdienstlichen Einrichtungen; allein das Unbefriedigende derselben, das immer fühlbarer ward, scheint jenen Hang zum Wunderbaren und zur Schwärmerei herbeigeführt zu haben, welcher Lukians Zeitalter ganz besonders charakterisiert: Der Orient mit seinen Mysterien, magischen Künsten und geheimen Wissenschaften beschäftigte die Einbildungskraft einer Generation, welche die sichersten Verwahrungsmittel gegen solche Verirrungen, nämlich frische Tatkraft und reges politisches Leben, längst verloren hatte; und so hatte denn eine Menge religiöser Gaukler in dem trüben Zwielicht jener Zeiten ein leichtes Spiel. Dass der äußerste Sittenverfall sich zu jenen krankhaften Erscheinungen gesellte, ist nichts weniger als befremdend: Und in dieser Beziehung erscheint uns besonders die damalige Welthauptstadt, wo alle Schätze und Herrlichkeiten des kultivierten Teiles der Erde zusammenflossen, als der Schauplatz einer Verdorbenheit, die in den Annalen der Menschheit ohne Beispiel ist. Geldsucht und Sklavensinn paarten sich hier mit brutalem Machtstolz und mit der üppigsten Verschwendung.
Lukian, ein heller Kopf und entschiedener Freund der Wahrheit, beschloss den Kampf gegen dieses Zeitalter des Trugs, Aberglaubens und Dünkels; und wäre er weniger kaltblütiger Verstandesmensch gewesen, er hätte ihn nicht mit so glücklichen Waffen geführt. Wie er selbst in jener schönen Allegorie vom Ausstreuen der Samenkörner andeutet (»Der Traum«, Kap. 15), so hatte er sich zur Aufgabe seines Lebens gemacht, Wahrheit und echte Lebensweisheit unter seinen Zeitgenossen zu verbreiten. Deklamationen, Strafpredigten und Ermahnungen hätten hier nichts verfangen: Die ernste Absicht musste, unter dem Scheine des heiteren, oft mutwilligen Scherzes verborgen, Torheit und Laster mit der Geißel der Satire gezüchtigt, dem Leser die bittere Arznei mit unterhaltender Ironie und Laune beigebracht werden. Dazu war unser Lukian durch seine Anlagen vor allen berufen. Er besaß von Natur in hohem Grade die Gabe des Witzes und das Talent, von jeder Sache die lächerliche Seite aufzufinden und ins Licht zu stellen, ein Talent, das sich durch den Umgang mit den besten Köpfen Athens nur umso glücklicher entwickelte und verfeinerte. Gesundes Urteil, Geschmack, Reichtum an Ideen und Kenntnissen, eine seltene Leichtigkeit in Erfindung der mannigfaltigsten und jedes Mal passendsten Formen, und, was das Genie charakterisiert, das glücklichste Gleichgewicht aller Geisteskräfte und die sicherste Harmonie in ihrer Zusammenwirkung – diese Vorzüge waren es, die ihn Werke von bleibendem, ja in gewissen Zeiten sich wieder verstärkendem Interesse schaffen ließen und ihm die Bewunderung jedes Gebildeten sichern.
Original ist Lukian schon dadurch, dass er sich das geschickteste Organ für seine Satire in der neuen Art von Dialog schuf, worin er die sokratische Gesprächsform der Philosophen mit der dramatischen der alten Komödie glücklich paarte und somit, indem er seine Charaktere gleichsam in Handlung setzte, um so lebhafter die Lichter seines Witzes wirken lassen konnte. Unstreitig sind seine satirischen Schriften der vorzüglichste Teil seines Nachlasses, und in ihnen hat sich seine Eigentümlichkeit am treusten ausgeprägt. Sie gelten zum Teil den gleisnerischen Afterphilosophen seiner Zeit (die vorzüglichsten hierher gehörigen sind Nigrinus, die Versteigerung, der Fischer, Hermotimus, die Entlaufenen, die neuen Lapithen, Ikaromenipp); in andern ließ er den religiösen Volksglauben seine Geißel fühlen, indem er die Lächerlichkeit und Inkonsequenz der Göttersagen in ihrer ganzen Blöße darstellte2 (z.B. Prometheus, Götter- und Meergötter-Gespräche, Jupiter Tragödus, Der überwiesene Jupiter, Die Götterversammlung, Ikaromenipp, Die Opfer); und da Pfafferei aller Art und in jeglicher Gestalt an ihm einen unerbittlichen Gegner fand, so empfanden besonders jene Gaukler, die unter religiöser Maske den Aberglauben des Volks sich zu Nutze machten, seine schärfsten Züchtigungen (z.B. Der Lügenfreund, Der falsche Prophet, Peregrinus). Endlich ergießt sich eine reiche Ader seiner Satire über die Torheiten der Menschen überhaupt, insbesondere über ihr Trachten nach vergänglichen äußeren Gütern, ihre Eitelkeit, ihren Hang zur Üppigkeit und dergleichen (z.B. Timon, Nigrin zum Teil, Totengespräche, Charon, die Überfahrt, die saturnalischen Aufsätze u. a. m.). Noch ist außer den genannten Klassen eine reiche Anzahl vermischter Dialoge und Aufsätze von verschiedenem, zum Teil vorzüglichem Wert und Interesse auf uns gekommen, von denen jedoch einige Lukians Namen fälschlich tragen. Wir nennen von den ausgezeichneteren unter diesen Produkten: »Die gedungenen Gelehrten«, die Abhandlung »Wie man Geschichte schreiben soll« sowie die Aufsätze Toxaris, Anacharsis, Demonax, Panthea.
Wenn man auch zuweilen über eine gewisse Kälte klagen möchte, die dem edleren Gefühl wehtut, so ist unserem Schriftsteller gleichwohl Achtung für alles wahrhaft Große und Liebe zum sittlich Schönen3 nicht abzusprechen. Als Philosoph machte er die praktische Weltweisheit zum Hauptgegenstande seines Studiums und bewegte sich zwischen den verschiedenen Systemen mit der Freiheit eines Eklektikers. Am meisten jedoch scheint er dem wahren Geist des Zynismus und Epikureismus zugetan gewesen zu sein.
Was seine Werke fast durchaus bezeichnet, ist eine gewisse Glätte, Leichtigkeit und muntere Laune. Die Schreibart ist den attischen Mustern mit vielem Glück nachgebildet, und erinnert nur selten an den Geschmack jenes späten Zeitalters. Dem Letzteren dürfte es zuzuschreiben sein, wenn der Stil besonders in jenen Schriften, deren Abfassung in die rhetorisch-sophistische Periode unseres Autors oder wenigstens in die Nähe derselben fällt, bisweilen mit Blumen überladen, mit falschem Witze spielend erscheint, wenn Metaphern zu sehr gehäuft, Allegorien zu lange fortgesetzt werden und dergleichen. Auch kann nicht geleugnet werden, dass der ihm besonders eigentümliche Wortreichtum, der nicht selten vollkommene Tautologien erzeugt, nicht eben zu seinen Vorzügen gehört.
Eine Übersetzung des Lukian, der sich durch eine so gefällige Leichtigkeit und Laune auszeichnet, muss sich, um eben diesen eigensten Reiz des Autors dem deutschen Leser zu bewahren, mit einiger Freiheit bewegen dürfen; und so konnte meine Aufgabe, gegenüber von einem Vorgänger wie Wieland, der gerade von dieser Seite ein Meisterwerk geliefert hat, nur diese sein, zu versuchen, wie sich jene Freiheit der Bewegung mit der Treue gegen die Urschrift noch näher möchte vereinigen lassen. Übrigens fühle ich nur zu sehr, wie diese Arbeit nachsichtiger Beurteilung bedarf, und wünschte mit größerer Zuversicht, als ich es kann, an die Worte Wielands zu erinnern: »Die Gelehrten, die Lukian mit Geschmack in seiner eigenen Schrift lesen, können allein von den Schwierigkeiten einer Arbeit urteilen, die oft da am schwersten ist, wo sie am leichtesten scheint; und sie sind es, von denen ich mir die meiste Billigkeit und Nachsicht verspreche.« – Noch bin ich das Geständnis schuldig, dass ich mich einige Male (z.B. im Timon) nicht enthalten konnte, unnachahmlich gelungene Stellen der Wieland’schen Übertragung, besonders im leichten und lebendigen Fluss des Dialogs, zu borgen. Warum hätte ich in solchen Fällen dem Leser etwas entschieden Mangelhafteres bieten sollen? Nur unterließ ich anfangs (was später nicht mehr geschehen soll) die ausdrückliche Nennung Wielands in der Note.
In der Ordnung der einzelnen Stücke folge ich den Ausgaben. – Dass ich die vorzüglichsten Bearbeitungen des ganzen Schriftstellers sowohl als einzelner Teile desselben benutze, brauche ich nicht zu versichern. Der Text, dem ich folge, ist der Lehmann’sche; einzelne Abweichungen werden in den Noten angezeigt. Nur im »Traum«, »Anacharsis« und »Vaterlandslob« übersetzte ich nach dem Texte meiner Ausgabe (Tübingen 1825).
Unter den Schriften Lukians finden sich drei: »Das Gericht der Vokale«, »Lexiphanes« und »Der Solözist«, welche, da sie grammatisch-rhetorische Spiele des Witzes zum Gegenstand haben, nur dem gelehrten griechischen Leser verständlich und von Interesse sein können. Ich wollte diese anfänglich ganz weglassen: Weil sie jedoch von der Redaktion gewünscht werden, so sollen sie am Schlusse des letzten Bändchens nachträglich folgen. Nur von einer Übersetzung der beiden »Eroten«, die Lukians Namen entehren würden, wenn er ihnen mit Recht vorgesetzt werden könnte, des fünften der »Hetärengespräche«, und