Unter Palmen und Buchen. Gerstäcker FriedrichЧитать онлайн книгу.
Die nächsten drei Tage vergingen ihm wie ein Traum. Fremde Leute kamen und gingen ein und aus im Hause; er sah sie, wie man gleichgültige Menschen auf offener Straße vorbeipassiren sieht, und selbst als sie die Leiche in den Sarg legten, blieb er still und theilnahmlos. Die Kinder kamen über Tag zu ihm, hingen an seinem Hals und weinten; er preßte sie fest an sich und küßte sie und blieb dann wieder allein bei der Geschiedenen.
Endlich kam die Stunde, wo der Sarg fortgeschafft werden mußte, und jetzt war es, als ob er sich dem widersetzen wolle. Aber es traten eine Masse Leute in's Zimmer; Freunde von ihm dazu, die herzlich mit ihm sprachen und ihm zuredeten, daß er sich den Unglücksfall nicht so schwer zu Herzen nehmen solle. Er hörte ihre Trostgründe gar nicht, aber er fühlte, daß was hier geschah – eben geschehen mußte, und duldete Alles.
Nach dem Begräbniß kehrte er mit seinen Kindern nach Haus zurück, schloß sich hier in sein Zimmer ein und weinte sich recht von Herzen aus. Danach wurde ihm etwas leichter – und es ist ein altes und wahres Sprüchwort – die Zeit mildert jeden Schmerz, denn das Menschenherz wäre sonst nicht im Stande zu tragen, was nach und nach ihm aufgehoben bleibt. Die Zeit mildert jeden Schmerz, aber – die Zeit mildert und sühnt keine Schuld.
Den Verlust der Gattin hätte er ertragen – mit bitterem Weh wohl, es ist wahr, denn er hatte sie treu und innig geliebt, aber mit Jahr und Tag wäre die schwere Stunde des Verlustes, das Gefühl, nie mehr ihr treues Auge wieder schauen zu können, mehr in den Hintergrund getreten, und ihm nur die Erinnerung an ihre Liebe und Treue geblieben. Jetzt aber nagte ein anderes Gefühl an seinem Herzen, nicht allein das Gefühl der Schuld, nein auch die Reue über vergangene Zeit mit dem Bewußtsein, diese nie zurückbringen, das Versäumte nie, nie wieder nachholen oder ungeschehen machen zu können, und das bohrte sich ihm in's Herz, nicht mit der Zeit weichend, nein, mit den wachsenden Jahren fester und fester und unzerstörbarer.
Draußen die Welt merkte Nichts davon; er war immer ernst und abgeschlossen für sich gewesen, und daß er sich jetzt vielleicht noch etwas zurückgezogener hielt, konnte nicht auffallen, aber daheim in seiner jetzt verödeten Klause, da stieg die Erinnerung an die Geschiedene mahnend vor ihm empor, und je weniger Vorwürfe sie ihm je im Leben gemacht hatte, desto mehr machte er sich jetzt selber.
Wieder und wieder malte er sich die Stunden aus die er mit vollkommen gleichgültigen Menschen draußen bei den Karten oder hinter dem Wirthstische verbracht, während seine Bertha daheim mit einer wahren Engelsgeduld auf ihn wartete, und so lieb, so freundlich ihn empfing, wenn er endlich zurückkehrte. Wieder und wieder malte er sich die einzelnen Fälle aus, wo er rauh und heftig gegen sie gewesen, die nie ein rauhes und heftiges Wort zu irgend einer Erwiderung gehabt, und vor Scham und Reue hätte er in die Erde sinken mögen, wenn er sich jetzt überlegte, wie er damals immer – immer Unrecht gehabt, und das nur, wenn er es auch früher eingesehen, nicht früher hatte eingestehen mögen.
Aber das Alles kam jetzt zu spät – zu spät für ihn wenigstens. Er hatte einen Schatz gehalten, und mißachtet, bis er von ihm genommen wurde – keine Reue brachte ihn je zurück, und daß er sich jetzt elend und unglücklich fühlte, war nur die Strafe für eine begangene Sünde.
Für ihn war es zu spät – aber noch nicht für Viele, die diese Zeilen lesen. Viele, viele halten in gleicher Weise einen ähnlichen Schatz – und vernachlässigen, mißhandeln ihn ebenso, und es war der Zweck dieser Zeilen, daß sie sich den Moment jetzt, da es noch für sie Zeit ist, ausmalen möchten, wo die Gattin plötzlich, unvorbereitet abgerufen wurde, und die Reue des Mannes dann zu spät kam, und nie, nie wieder gut gemacht werden konnte.
Die Vision.
Erstes Capitel.
Die Sturmnacht.
In Alburg, einer nicht ganz unbedeutenden deutschen Stadt, lebte der Justizrath Bertling in glücklicher und zufriedener Ehe mit seiner jungen Frau.
Bertling war ein ruhiger, behäbiger Charakter, der die Welt gern an sich kommen ließ, und nichts weniger liebte als unnütze und unnöthige Aufregungen. Er hatte auch in der That besonders deshalb sein Junggesellenleben aufgegeben, um sein Haus gemüthlich zu machen, und sich – bisher vermißte – Bequemlichkeiten zu verschaffen; aber er liebte nichtsdestoweniger seine Frau von ganzem Herzen und fühlte sich glücklich in ihrem Besitz.
Auguste paßte auch vortrefflich für ihn, und zwar nicht etwa durch eine Aehnlichkeit ihres Charakters, sondern eher durch einen Gegensatz, durch welchen sich die beiden Gatten vollständig ergänzten, denn man darf ja nicht glauben, daß zu einer glücklichen Ehe stets gleiche Neigungen und Ansichten, gleiche Tugenden und Fehler gehören. Auguste war denn auch, während ihr Mann ganz entschieden dem praktischen und realen Leben angehörte, weit mehr schwärmerischer Natur, ohne jedoch im Geringsten überspannt zu sein. Unermüdlich thätig in ihrem Hausstand, beschäftigte sie sich aber auch gern mit Lectüre, und vorzüglich mit solcher, die einer ideellen Richtung angehörte. Sie phantasirte vortrefflich auf dem Piano, und liebte es sogar, selbst noch nach ihrer Verheirathung – was ihr Gatte entschieden mißbilligte – bei mondhellen Nächten im Garten zu sitzen.
Lebhaft und heiter dabei, mit einem warmen Gefühl für alles Schöne, wob sie bald mit diesen Tugenden und Vorzügen einen ganz eigenen Zauber um ihre Häuslichkeit, dem sich ihr Gatte nicht entziehen konnte und wollte, so daß er bald von anderen Frauen, ihren Männern gegenüber, als das Muster eines vortrefflichen Ehemannes aufgestellt wurde.
So hatten die jungen Leute – denn der Justizrath zählte kaum ein und dreißig und seine Frau erst zwanzig Jahr – etwa zwei Jahre in glücklicher, durch nichts gestörte Ehe gelebt, als eine schwere Krankheit – ein damals in Alburg umgehendes Nervenfieber – die junge Frau erfaßte und lange Wochen auf das Lager warf.
Ihr Mann wich in dieser Zeit fast nicht von ihrer Seite und nur die wichtigsten Geschäfte konnten ihn abrufen – ja oft versäumte er selbst diese und ganze Nächte hindurch wachte er neben ihrem Bett. Allerdings paßte ihm das nicht zu seinem sonst gewohnten, bequemen Leben, aber die Angst, sein Weib durch irgend eine Vernachlässigung zu verlieren, oder auch nur ihren Zustand gefährlicher zu machen, ließ ihn das Alles nicht achten, und so ward ihm denn auch endlich die wohlverdiente Freude zu Theil, die schlimmste Krisis überstanden und die geliebte Frau nach und nach genesen zu sehen. Aber es dauerte lange – sehr lange, bis sie sich wieder vollständig von dem überstandenen Leiden erholen konnte.
Der Körper gewann dabei noch verhältnißmäßig am Schnellsten die frühere Frische wieder, wenn auch die Wangen bleicher, die Augen glänzender schienen, als sie sonst gewesen. Sie hatte aber in ihrer Krankheit besonders viel phantasirt und dabei oft ganz laut und deutlich die tollsten, wunderlichsten Dinge gesprochen. Darum bedurfte es weit längerer Zeit, ehe der Geist wieder Herr über diese Träume wurde, die sich mit der Erinnerung früherer wirklich erlebter Scenen so vermischten, daß sie oft anhaltend nachdenken mußte, um das Wahre von dem Falschen und Eingebildeten oder nur Geträumten zu sondern und auszuscheiden.
Auch das gab sich nach und nach oder stumpfte sich doch wenigstens ab. Die Erinnerungen an diese Träume wurden unbestimmter, wenn auch einzelne von ihnen noch manchmal wiederkehrten und sie oft, mitten in der Nacht, plötzlich und ängstlich auffahren machten, ja sogar wieder bestimmte Bilder und Eindrücke annahmen.
Bertling behagte das nicht recht, denn er wurde dadurch ein paar Mal sehr nutzloser Weise alarmirt. Einmal – und noch dazu in einer sehr kalten Nacht – behauptete seine Frau nämlich bei ihrem plötzlichen Erwachen, es wäre Jemand im Zimmer und unter das Sopha gekrochen – sie habe es deutlich gehört, ja sogar den Schatten durch das Zimmer gleiten sehen. Bertling protestirte gegen die Möglichkeit,